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"Wir sollten es bei dem Kriterium des Hirntodes belassen"

Im Streit um die Neuregelung der Organspende favorisiert der hessische Gesundheitsminister Grüttner die sogenannte Widerspruchslösung. Man müsse endlich die schweigende Mehrheit aktivieren, betonte der CDU-Politiker.

Stefan Grüttner im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Die Gesundheitsminister haben das Thema Organspende ganz oben auf der Agenda bei ihrer Konferenz heute und morgen in Frankfurt. Mit dabei ist auch der hessische Ressortchef Stefan Grüttner, CDU, zugleich Chef der Ministerkonferenz, ein Verfechter der Widerspruchslösung. Guten Morgen!

    Stefan Grüttner: Guten Morgen!

    Müller: Herr Grüttner, was haben Sie dagegen, die Menschen zu fragen, ob sie wollen oder nicht?

    Grüttner: Ich habe überhaupt nichts dagegen, die Menschen zu fragen, ob sie wollen oder nicht, aber wenn die Menschen keine Antwort geben, müssen wir auch wieder eine Antwort wissen. Und es geht nicht um die Fragestellung, dass wir das nur alleine zum Thema machen, sondern wir müssen die Situation verbessern, und die Situation in der Frage der Organspende in Deutschland ist ausgesprochen unbefriedigend. Und deshalb ist jeder Weg, der zu einer Verbesserung der Situation führt, erst mal ein guter Weg. Aber es geht auch darum, endlich zu handeln und nicht nur darüber zu reden.

    Müller: Herr Grüttner, ich muss da noch mal nachfragen: Das heißt, Sie haben nichts dagegen, wenn die Menschen gefragt werden, ob sie später wollen?

    Grüttner: Nein, ich habe da nichts dagegen, aber ich sagte gerade eben: Was passiert dann, wenn die Menschen schlicht und einfach, wenn sie gefragt werden, keine Antwort geben? Man soll das jetzt ja nicht so theoretisch machen, sondern wenn es um die Entscheidungs- oder um die Erklärungslösung geht, ist es so: Wenn ich mich nicht erkläre als Mensch, was mache ich dann? Wir haben eine Situation, in der wir wissen, dass 75 Prozent der Menschen eigentlich als Organspender sich zur Verfügung stellen wollen, wenn sie verstorben sind, also dass sie sagen, wir haben nichts dagegen. Aber wir haben nur eine ganz geringe Zahl von Organspendeausweiseinhabern. Und insofern gibt es eine schweigende Mehrheit derjenigen, die sagen, ja, ich bin bereit dazu, und ich finde, man muss diese schweigende Mehrheit aktivieren. Dazu ist mir eigentlich jeder Weg recht, wenn es denn tatsächlich zu einer Aktivierung kommt. Die bisherigen Erfahrungen zeigen halt, dass es mit der Fragestellung einer entsprechenden Selbsterklärung nicht ausreicht. Deswegen meine ich, kann man auch einen anderen Weg gehen.

    Müller: Und dieser andere Weg ist die sogenannte Widerspruchslösung, also bei der jeder als Spender gilt, der nicht ausdrücklich widerspricht?

    Grüttner: So ist es. Dieses nämlich aber ist eine erweiterte Widerspruchslösung, das heißt, da müssen wir auch den Angehörigen noch die Möglichkeit geben, für den Menschen, wenn er denn verstorben ist, auch eine entsprechende Erklärung abzugeben, das heißt, auch der Angehörige wird befragt werden müssen, wenn es keinen Widerspruch gegeben hat. Insofern kann man davon ausgehen: Wenn man sich auch mit seinen Angehörigen unterhalten hat, dass der eigene Wille immer respektiert wird.

    Müller: Nicht nur die Gesundheitsminister beraten und diskutieren über eine mögliche Lösung für eine Organspende, auch im Bundestag wird das ja diskutiert. Volker Kauder, Frank-Walter Steinmeier haben sich für diese sogenannte Entscheidungslösung ja ausgesprochen. Sehen Sie Kompromisslinien?

    Grüttner: Wenn wir keine Kompromisslinien sehen würden, dann würden wir auch wieder auf der Stelle treten. Ja, ich sehe natürlich Kompromisslinien, denn alles ist gut, was erst mal die derzeitige Situation verbessert. Aber die Kompromisslinie muss sich auch in der Fragestellung dann wiederfinden, indem man eben sagt: Was passiert, wenn einer einfach, schlicht und einfach sagt, ich entscheide mich nicht?

    Müller: Was soll man dann machen?

    Grüttner: Ja, und deswegen sage ich: An einer solchen Situation ist es ... und zwar entscheide ich mich nicht aus einer Überzeugung heraus, sondern einfach aus einer Bequemlichkeit heraus.

    Müller: Ist das keine Entscheidung des Individuums, aus Bequemlichkeit heraus zu sagen, ich melde mich nicht?

    Grüttner: Ja, aber die Situation haben wir ja zum jetzigen Zeitpunkt auch, die zu dieser unbefriedigenden Situation führt, dass Menschen schlicht und einfach sagen, ich bin eigentlich bereit dieses zu tun, aber ach ja, also ich habe jetzt gerade keinen Organspendeausweis irgendwo in der Nähe gehabt oder ich habe mich mit dieser Frage noch nicht auseinandergesetzt. Also die Entscheidungslösung alleine reicht meines Erachtens nicht aus, sondern wir müssen sie kombinieren möglicherweise mit einer Form der Widerspruchslösung, dort sehe ich das aus einer Kompromissbereitschaft, wobei es ja nicht um Kompromissbereitschaft geht, sondern es geht darum, die Emotion des Einzelnen durchaus, und die Befindlichkeit des Einzelnen bei diesem Thema, durchaus ernst zu nehmen, aber trotzdem rational zu handeln.

    Müller: Wir reden aber, Herr Grüttner, ja nicht über eine Steuererklärung, die ausbleibt oder wozu jemand aus Bequemlichkeit keine Lust hat, sie abzugeben. Es geht ja in die tiefste Struktur, in die tiefste Substanz des Menschen, um Leben und Tod. Kann der Staat so weit gehen, zu sagen, wir verfügen ganz einfach, wenn du nichts gesagt hast, wenn du dich nicht erklärt hast, dass wir dein Organ später entnehmen?

    Grüttner: Das ist ja die Frage der Grundrechte, die an dieser Stelle mit eine Rolle spielt. Es ist eine berechtigte Frage, es geht aber nicht um den Punkt der Verfügbarkeit, sondern es geht einfach darum, einen Menschen auch dazu zu bringen, eben sich dann letztendlich zu entscheiden. Denn derjenige, der sich ernsthaft mit der Fragestellung Organspende auseinandersetzen wird, der wird sich erklären. Er wird entweder ja sagen oder er wird einen Widerspruch einlegen, und darum geht es, und es geht nicht um die Verfügbarkeit des Staates über einen Menschen.

    Müller: Ein anderes wichtiges Thema, ein umstrittenes Thema ist ja in dieser Auseinandersetzung die Frage: Wann ist ein Mensch tot, hirntot, wird dort immer wieder in die Diskussion gebracht? Der CSU-Politiker Singhammer hat heute Morgen auch noch einmal gesagt, der Hirntod ist für ihn kein Kriterium, zu sagen, jetzt können wir die Organe freigeben. Wie sehen Sie das?

    Grüttner: Das ist die zweite Ebene der Diskussion, die würde ich an dieser Stelle nicht verändern. Es ist für mich eindeutig so, dass die bisherige Situation des Hirntodes eben auch das entscheidende Kriterium ist, wenn es zu einer entsprechenden Organentnahme kommen kann. Das ist eine schwierige Situation, denn die Fragestellung des Hirntodes ist insbesondere für die Angehörigen ein schwieriges Unterfangen, denn der Körper ist noch warm, man hat den Eindruck, der Mensch lebt noch, aber er ist eben durch den Arzt als hirntot erklärt worden, der das sehr verantwortungsbewusst macht, also so, dass man auch keine Angst haben muss. Aber ich denke, das ist das richtige Kriterium. Also nicht jeder Verunfallte, nicht jeder durch einen anderen Umstand Gestorbener sollte dann als Organspender dienen, sondern wir sollten es bei dem Kriterium des Hirntodes belassen.

    Müller: Um das, Herr Grütter, noch einmal auf den Punkt zu bringen: Sobald der Arzt Hirntod feststellt, ist das Organ freigegeben?

    Grüttner: So ist es.

    Müller: Und das soll so bleiben?

    Grüttner: Das soll so bleiben, da sehe ich keinen Änderungsbedarf. Ich finde, das ist auch der richtige Weg.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der hessische Sozial- und Gesundheitsminister Stefan Grüttner, CDU. Vielen Dank für das Gespräch!