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"Wir stehen am Anfang" mit Verbunddatei für Neonazis

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Einrichtung einer Verbunddatei für Neonazis beschlossen. Bernd Carstensen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter sieht sie nur als Einstieg und fordert ähnliche Dateien auch für Linksextremisten.

Bernd Carstensen im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Ihr Vorbild finden sie in der Anti-Terror-Datei und Parallelen können zum Register von gewaltbereiten Fußball-Fans gezogen werden. Das Bundeskabinett hat jetzt beschlossen, eine Neonazi-Datei einzurichten. Alle Datenbanken haben eines gemeinsam: sie sollen die Erkenntnisse von Polizei und Geheimdiensten zusammenführen, um möglichst Straftaten zu verhindern, ohne dass Informationen dabei verloren gehen, weil es keine, oder zumindest nur eine schlechte Kommunikation etwa zwischen den Verfassungsschützern der Länder gibt, so wie wir es bei den Ermittlungen rund um die Zwickauer Terrorzelle beobachten mussten. Die sogenannte Verbunddatei für Rechtsextremisten soll also kommen, jedoch nicht ohne Kontroverse.

    Das Bundeskabinett hat also am Vormittag den Gesetzentwurf zur Einrichtung einer Verbunddatei für Neonazis beschlossen. Darüber wollen wir sprechen mit Bernd Carstensen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Ich grüße Sie, Herr Carstensen.

    Bernd Carstensen: Hallo! Guten Tag.

    Dobovisek: Welchen Mehrwert kann eine solche Datei haben, die so weit abgespeckt werden musste, dass selbst der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar inzwischen keine Einwände mehr hat?

    Carstensen: Wir sehen die Einrichtung dieser Verbunddatei zumindest als Einstieg in die Ermittlungen rechtsextremistischer Strukturen bundesweit. Denn den Mehrwert haben wir tatsächlich, dass wir die wenn auch schon vorhandenen Informationen der einzelnen Bundesländer und der Bundesbehörden zusammenführen können, um dann auch auf dieser Basis analytisch tätig werden zu können. Diesen Mehrwert haben wir auf jeden Fall, allein durch die Einrichtung dieser Verbunddatei schon.

    Dobovisek: Sie, Herr Carstensen, nennen es einen Einstieg. Herr Ziercke vom Bundeskriminalamt sprach von einem Gesamtsystem. Stehen wir noch am Anfang?

    Carstensen: Ja, wir stehen am Anfang. Die Verbunddatei, die jetzt eingerichtet und auch gespeist wird von den unterschiedlichen Behörden, wird tatsächlich die Grundlage sein dessen, um Gefahren zu erkennen, ob es tatsächlich schon terroristische, rechtsterroristische Strukturen gibt, ob es kriminelle Vereinigungen gibt, ob es Bandenstrukturen gibt, die schon zusammenarbeiten und die politische Aktivitäten vorhaben, terroristische Anschläge vorbereiten. Ich denke, dass wir das tatsächlich analysieren können.

    Dobovisek: Wird mit dem Vorschlag, der jetzt beschlossen wurde, mit dieser Datei – wir haben das Stichwort Gewaltbezug gehört -, überhaupt das möglich sein, was Sie gerade angesprochen haben, weil da geht es ja auch um gewaltbereite Neonazis, die aber noch nicht straffällig geworden sind?

    Carstensen: Ja, genau. Das ist auch das, was wir in der Gesamtheit, wir als Berufsverband, als Bund Deutscher Kriminalbeamter, zu Beginn jetzt also auch kritisieren. Gerade die Abgrenzung im Bereich von Kontaktpersonen und Gewaltbezug, der auch Grundlage sein soll, um in diese Datei eingespeist zu werden, das ist nach unserer Einschätzung eine sehr hohe Einstiegsgrenze, die auch den gesamten Ermittlungen möglicherweise zuwider laufen kann, denn um Strukturen einer kriminellen Vereinigung herauszubekommen, bedarf es ja dieser Logistik: den Wohnraum zur Verfügung stellen, die Fahrzeuge zur Verfügung stellen, die Gelder zur Verfügung stellen. Das muss man alles zusammenführen, um dann auch tatsächlich diese Struktur ermitteln zu können, und zumindest ist es nach unserer Vorstellung jetzt schwierig, das tatsächlich unter diesen Bedingungen ermitteln zu können.

    Dobovisek: Ist die neue Datei also ungenügend auch als Einstieg, um Ihr Wort noch mal zu benutzen?

    Carstensen: Ein Einstieg ist es auf jeden Fall. Ich gehe mal ganz sicher davon aus, dass wir auch in den unterschiedlichen Behörden unsere Erfahrungen auch machen werden, dass wir auch in dem gemeinsamen Abwehrzentrum gegen den Rechtsextremismus die Erfahrungen machen werden, dass wir dann belegen, welche Erfolge wir haben beziehungsweise was wir nicht recherchieren konnten, und dass es dann möglicherweise auch veränderte Sichtweisen in der Politik noch geben kann.

    Dobovisek: Wird die neue Datei dann letztendlich gemeinsam auch mit dem Terrorzentrum die Geheimnistuerei und das Konkurrenzdenken der Verfassungsschützer beenden können?

    Carstensen: Es gibt natürlich eine eigenständige Aufgabenstellung der Verfassungsschützer, die sich selbst auch definiert haben zwischen Bund und Land und den einzelnen Ländern. Wir haben aber gute Erfahrungen aus den anderen Bereichen. Es wird ja immer genannt das GTAZ, das Abwehrzentrum gegen den islamistischen Terrorismus, wo tatsächlich auch die unterschiedlichen Informationen, die aus allen Behörden zusammengeführt werden, die Grundlage für Analyse sind, und dort haben wir bisher schon erfolgreich gearbeitet. Das erhoffen wir uns in diesem Aufgabenbereich auch.

    Dobovisek: Das heißt, wir decken damit jetzt den Rechtsextremismus ab, wir decken damit auch den islamistischen Terrorismus ab. Was ist mit den vielen, vielen anderen Baustellen? Heißt das, wir müssen uns in Zukunft noch anderen Defiziten stellen?

    Carstensen: Ich bin mir ziemlich sicher, dass wir auch andere Bereiche in ähnlicher Form von Verbunddateien abdecken müssen, um eine breite analytische Grundlage zu haben, um Straftaten verhindern zu können. Selbstverständlich ist es nach unserer Vorstellung auch der Bereich von Linksextremismus. Wir folgen in unseren politischen Entscheidungen in der Republik immer nur den aktuellen Daten und Sachverhalten, aber selbstverständlich ist es so, dass natürlich auch im Bereich von Linksextremismus Vorbereitungen laufen könnten, wo diese Informationen auch Grundlage sein können für Analyse.

    Dobovisek: Ist es dann nicht an der Zeit, hier in die Details zu gehen, in das Grundsätzliche, anstatt sich einzelnen Verbrechen zu widmen, zum Beispiel im Rechtsextremismus?

    Carstensen: Wir müssen auch schauen, welche Deliktsfelder wir uns immer angucken. Wir brauchen nicht für einfache Diebstähle Verbunddateien für die ganze Bundesrepublik.

    Dobovisek: Aber vielleicht durchaus eine Zusammenarbeit der Behörden, die ja durchaus zu kritisieren ist?

    Carstensen: Zusammenarbeit von Behörden auf jeden Fall, und die gibt es in anderen Deliktsbereichen auch schon über den kriminalpolizeilichen Meldedienst und dergleichen. Da gibt es so etwas also auch schon. Aber wir haben auch noch regionale Täter. Also wir müssen schon differenzieren und schauen, welches Deliktsfeld tatsächlich weit stattfindet und wo die Information des Verfassungsschutzes aus Bayern genauso wichtig ist wie die des Landeskriminalamtes aus Schleswig-Holstein. Da müssen wir uns genau die Deliktsfelder ansehen und welche Informationen dann auch zusammengeführt werden müssen.

    Dobovisek: In der neuen Neonazi-Datei soll es auch verdeckte Dateien geben. Widerspricht das nicht auch ein Stück weit Ihrer Forderung nach der Transparenz, nach der Zusammenarbeit der Behörden?

    Carstensen: Es ist immer so, dass Sachverhalte auch ganz intern nur zusammengehalten werden dürfen, weil es den sogenannten Quellenschutz auch gibt, dass man Informationen verarbeitet hat, die von V-Leuten oder von verdeckten Ermittlern da sind. Die kann man nicht Transparenz in alle Behörden geben. Aber – und so ist unsere Information – es wird auf solche Hinweise einen Index geben, also eine Mitteilung, dass eine Behörde bestimmte Informationen über eine Person, über einen Sachverhalt gespeichert hat, ohne diesen Sachverhalt so schon offen in diese Datei einzuspeisen.

    Dobovisek: Mehr werden wir wohl heute Nachmittag erfahren, nach der Pressekonferenz des Bundesinnenministers, die etwa in einer Stunde beginnen wird. Bernd Carstensen vom Bund Deutscher Kriminalbeamter war das über die von der Bundesregierung beschlossene Neonazi-Datei. Vielen Dank für Ihre Einschätzungen.

    Carstensen: Gerne.

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