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"Wir verfolgen Taten, aber nicht die Gesinnungen"

Beim politischen Aschermittwoch hat CSU-Chef Horst Seehofer Karl-Theodor zu Guttenberg nach der Plagiatsaffäre moralisch verteidigt, indem er die Grünen als RAF-Sympathisanten und Steinewerfer bezeichnete. Rainer Erlinger findet den Vorwurf nicht angebracht: Es gebe einen Unterschied zwischen dem, was man tue und der Gesinnung.

Rainer Erlinger im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die CSU will Karl-Theodor zu Guttenberg weiterhin geschlossen den Rücken stärken und bei der CSU stehen ihm auch künftig alle Türen offen. Das sagte Horst Seehofer beim Politischen Aschermittwoch in Passau, und die für uns interessante Passage war gegen die Grünen gerichtet und lautete, "Von einer Partei der Steinewerfer und RAF-Sympathisanten lasse sich die CSU nicht anstacheln." Das ist ein zumindest impliziter Vergleich, und vom Vergleichen beziehungsweise von der Frage, ob dieser Vergleich zulässig ist, oder nicht etwa anstößig, lebt spätestens seit dem Historikerstreit eine ganze Branche, nämlich wir, das Feuilleton. Was also macht Seehofer, wenn er Karl-Theodor zu Guttenberg, dessen Doktorarbeit zu über 70 Prozent aus kopiertem Material bestehen soll, mit Joschka Fischer in eine Reihe stellt? Wird da vielleicht eine strafrechtliche Tat zur Jugendsünde verharmlost? – Am Aschermittwoch, dem Tag der Buße und Einkehr, lässt sich darüber trefflich räsonieren, und zwar mit Rainer Erlinger, der im Magazin der "Süddeutschen Zeitung" Gewissensfragen klärt und gerade das Buch "Moral" herausgebracht hat. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, was genau das für ein Vergleich ist.

    Rainer Erlinger: Ja. Also ich glaube, dieser Vergleich ist aus mehrerer Hinsicht ganz interessant. Da ist einmal diese Frage, das ist so in der Moralphilosophie ein Streit, dieses Problem des Glashauses. Da ist ja der Vorwurf, jemand, der selbst im Glashaus sitzt, sprich der früher auch etwas Unrichtiges getan hat, der darf gar keine Vorwürfe machen. Und das ist natürlich immer ein sehr schöner und schneller Reflex, wenn man Vorwürfe abwehren will. Und wenn man das aber hier ein bisschen beleuchtet, wird es schwierig. Es gibt tatsächlich dieses Prinzip, dass man sagt, man darf sich nur auf moralische Grundsätze berufen oder die vorwerfen, die man selbst anerkennt. Wenn jetzt also jemand zum Beispiel von der Piratenpartei dem Herrn zu Guttenberg vorwerfen würde, dass er Plagiat begangen hat, dann wäre das schwierig, weil die Piratenpartei ja für die Freiheit des Wissens eingetreten ist. Das ist aber jetzt etwas ganz anderes, weil hier verknüpft Herr Seehofer ja einerseits das Steinewerfen und andererseits das Plagiat. Aber vor allem ist die Problematik, dass ja man umgekehrt der CSU sagen kann, sie vertritt ja eben gerade das Hochhalten der Werte, der Ehrlichkeit, der Aufrichtigkeit, des Sauberhaltens des geistigen Eigentums und so weiter, dass es natürlich schon zulässig ist, dann jemandem dieser Partei vorzuwerfen, wenn er dagegen verstößt.

    Fischer: Lassen Sie uns noch mal bei den Begriffen bleiben. Der RAF-Sympathisant ist ein geistiger Unterstützer, der Abschreiber ist ein Täter, der sich am geistigen Eigentum anderer vergreift. Nun werden aber Worte als generell eher harmlos betrachtet, die RAF aber natürlich nicht. Was ist denn schlimmer? Was sagt die Rechtsordnung dazu?

    Erlinger: Ja, das sind zwei Sachen, die man sehr, sehr sauber trennen muss. Einerseits sind die Rechtsgüter, die durch die RAF bedroht und tatsächlich auch verletzt wurden, höherwertige Rechtsgüter, wenn man an das Leben und die Gesundheit von Menschen denkt. Da sind ja Morde begangen worden, Geiselnahmen, Bombenattentate, also wirklich schlimmste Verbrechen. Da ist natürlich im Vergleich das Abschreiben und eventuell das Lügen wesentlich geringer zu bewerten.

    Fischer: Aber wir reden ja über den Sympathisanten und nicht über den Terroristen.

    Erlinger: Genau. Das ist die zweite Ebene, dass man sagt, aber auf der anderen Seite ist ja ein großer Unterschied zwischen dem, was ich tue, und der Gesinnung. Wir haben zum Beispiel im Strafrecht eine ganz klare Trennung, dass wir sagen, wir haben kein Gesinnungsstrafrecht, sondern ein Tatstrafrecht, wir verfolgen Taten, aber nicht die Gesinnungen. Und in der Moral muss man da auch unterscheiden und sagen, es ist sehr, sehr umstritten, inwiefern überhaupt Gefühle, Sympathien, Antipathien oder etwas dergleichen in irgendeiner Art moralisch relevant sind, weil man ja zum Teil gar nichts für sie kann. Ich kann zum Beispiel irgendwie eine Sympathie für etwas hegen, was ich aber als moralisch sehr verwerflich betrachte und es deswegen nie tun würde. Dann ist ja eigentlich diese Tatsache, dass ich es moralisch reflektiere und davon Abstand nehme, eine moralisch hochwertige Leistung, während ich für die Frage, was in mir sozusagen an irgendwelchen Zuneigungen oder Abneigungen vorhanden ist, sehr wenig tun kann.

    Fischer: Wir haben, Rainer Erlinger, noch nicht den Zeitfaktor besprochen, der bei der Jugendsünde, auf die Seehofer ja vielleicht angespielt hat, ganz offensichtlich eine Rolle spielt. Das ist lange her, das zählt eigentlich gar nicht mehr, ein Mensch muss sich doch ändern dürfen. Von Günter Grass, oder Walter Jens und ihrer nicht offenbarten NS-Mitgliedschaft über Joschka Fischer ist das immer mal wieder ein Thema in dieser Gesellschaft. Nur auf zu Guttenberg mag man das einfach gar nicht so münzen?

    Erlinger: Also das sind wieder zwei Ebenen. Was mir so wenig gefällt an dieser Aussage von Herrn Seehofer ist, dass sie mir so sehr nach diesem Abstempeln des Menschen als sozusagen in eine bestimmte Kategorie oder Schublade legen riecht, dass man eben sagt, der RAF-Sympathisant. Da geht es nicht mehr darum, was er getan hat, sondern was er in Betrachtungsweise jetzt dessen, der das sagt, ist, und damit stempelt man diesen Menschen ab, während man sonst ja eigentlich immer eher die Tat als solche betrachtet und die Richtigkeit oder den Unwert der Tat betrachtet. Und das ist auch der Grundgedanke unseres gesamten Strafrechts, dass wir an die Resozialisierung denken, dass wir daran denken, dass das Unrecht nicht aus der Welt geschafft werden kann, dass aber eben der Mensch daraus lernen kann, dass er das Unrecht einsieht und – und das ist die Hauptidee – sich davon distanziert. Also da muss man ganz scharf unterscheiden, und dieser Vorwurf der RAF-Sympathisanten geht eben gerade weg von dieser Idee, dass man sagt, der Mensch kann sich wandeln und kann sich von seinen Taten distanzieren und dann anders hervorgehen.

    Fischer: ... , sagt Rainer Erlinger, der heute für uns die Gewissensfrage beantwortete, sind ein Plagiator und ein RAF-Sympathisant moralisch vergleichbar.