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"Wir verteidigen Besitzstände der Vergangenheit"

Ideologische Rechthaberei, ausufernde Bürokratie und eine Kultur des Misstrauens: Linken-Vordenker André Brie beschreibt die Krisensymptome seiner Partei - und fordert mehr Führung von den Vorsitzenden Lötzsch und Ernst.

André Brie im Gespräch mit Gerd Breker | 20.04.2011
    Gerd Breker: Der geschäftsführende Vorstand der Linkspartei trifft sich heute in Berlin zu einer Sondersitzung, Krisensitzung, könnte man auch sagen. Seit dem enttäuschenden Abschneiden der Linken bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg Ende März reißt die interne Debatte um Führung und auch Ausrichtung der Partei nicht ab. Merke: Ohne Erfolg, da fliegen die Fetzen.

    Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem Links-Politiker André Brie, ehemaliger Europaabgeordneter und sogenannter Vordenker der Partei. Guten Tag, Herr Brie.

    André Brie: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Der Erfolg hat viele Väter, beim Misserfolg will es dann keiner gewesen sein. Hat die Linkspartei die richtigen Führungspersönlichkeiten an der Spitze stehen?

    Brie: Also ich bin strikt, persönlich jedenfalls, gegen eine Personaldebatte. Für mich ist das Problem nicht, ob wir die richtigen Führungspersönlichkeiten haben, sondern ob wir eine Führung haben, oder ob wir die richtige Politik haben. Ich vermisse wirklich, dass diese Partei geführt wird, dass sie auf Entscheidungen gedrängt werden, dass Auseinandersetzungen inhaltlich und transparent geführt werden, dass zum Beispiel die Programmdiskussionen durch die Parteiführung mal verallgemeinert an die Basis zurückgegeben werden, aber das ist unabhängig von Personen. Viel, viel schwieriger – das wurde ja in Ihrem Beitrag angesprochen -, wir haben eine unglaublich bürokratische Konstruktion in der Parteiführung, mit Doppelbesetzungen, mit extremer Ausgewogenheit, und deren Grundlage ist eigentlich ein tiefes Misstrauen in Bezug auf die Homogenität dieser Partei.

    Breker: Ein tiefes Misstrauen, was darin begründet ist, dass letztendlich der Ost-West-Konflikt in der Partei gar nicht gelöst ist?

    Brie: Ich glaube nicht, dass das primär ein Ost-West-Konflikt ist. Natürlich sind, sage ich mal, ideologische Kräfte in den westdeutschen Landesverbänden stärker als im Osten, aber es ist eine Auseinandersetzung, die quer durch die Landesverbände geht, um eine entschieden linke Realpolitik in dieser Gesellschaft konsequent demokratisch, die auch wirklich die Brüche vollzieht zu den alten kommunistischen Traditionen. Die ganze Kultur der jetzigen personellen Auseinandersetzungen, das können Sie in allen Dokumenten aus den früheren kommunistischen Parteien der Sowjetunion oder auch in der SED lesen, das ist unsäglich, aber die Leute lesen das nicht mal. Auf der anderen Seite eben Leute, die sich primär in Ideologie gefallen.

    Breker: Das heißt, da ist nichts zusammengewachsen, weil es teilweise auch gar nicht zusammen gehörte. Konnte es gar nicht zusammenwachsen?

    Brie: Also ich finde schon, dass Die Linke zusammen gehört, aber die Frage ist natürlich, auf welcher Grundlage. Dazu muss sie diesen Fehler der Vergangenheit, der Rechthaberei, der rein ideologischen Definition, aufgeben. Auf dieser Grundlage kann nichts zusammenwachsen. Sie muss Politik machen, sie muss sich fragen, was wollen wir, und nicht, wer hat die richtige Theorie dafür.

    Breker: In Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ist der Einstieg in den Landtag nicht gelungen. Im Osten, in Sachsen-Anhalt, ist die Linkspartei an die Grenzen ihrer Wählerschaft gestoßen. Sie ist zwar irgendwo Volkspartei, aber diese Grenze liegt irgendwie etwas über 20 Prozent. Das kann nicht reichen!

    Brie: Ja, das kann nicht reichen, und wir haben ja gerade bei der Bundestagswahl vor eineinhalb Jahren auch wesentlich höhere Wahlergebnisse in Ostdeutschland, aber auch in Westdeutschland gehabt. Das zeigt, welches Potenzial in der Bevölkerung da ist. Aber dazu muss man aus dem Lebensalltag der Menschen Antworten geben und nicht aus Theorien und Konzepten. Das zeigt sich, dass in dieser Gesellschaft meiner Meinung nach ein neuer Aufbruch da ist, Menschen werden selbstbewusster, es gibt sehr viel Individualität, und denen reicht es eben nicht, wenn wir hier nur jammern und protestieren.

    Breker: Die Parteienlandschaft hierzulande wird ja eh durcheinandergewirbelt, Herr Brie. Die CDU weiß nicht so recht, wofür sie steht, die SPD weiß auch nicht so recht, wo ihre eigentliche Position liegt, die FDP darbt dahin, einzig die Grünen profitieren von der jetzigen Situation, und die Linkspartei, die ist dabei, den Anschluss zu verpassen.

    Brie: Ja, ich sehe da schon Probleme. Wir beantworten die modernen Fragen in dieser Gesellschaft nicht ausreichend, wir verteidigen Besitzstände der Vergangenheit. Wichtiges sprechen wir an, aber nicht mit der entsprechenden Kultur und nicht mit den modernen Antworten. Wir müssen beispielsweise Soziales und Ökologisches konsequent verbinden. Wir sind natürlich eine sozialistische Partei, das heißt, wir haben einen antikapitalistischen Anspruch, aber mit reinen Verstaatlichungskonzepten, die kursieren, wird man da keinen Blumentopf bei den Wählerinnen und Wählern gewinnen. Da war Hermann Scheer, der kürzlich verstorbene SPD-Politiker, weit, weit weiter.

    Breker: Die Linkspartei müsste also Ihrer Ansicht nach, wenn ich Sie recht verstehe, Herr Brie, mehr Wert auf programmatische Arbeit legen. Aber hat sie denn überhaupt die Persönlichkeiten dafür und ist sie bereit, diesen Persönlichkeiten auch zuzuhören?

    Brie: Ich denke, dass das nicht nur eine Frage der Programmatik ist, sondern auch der politischen Strategie. Aber Persönlichkeiten haben wir in dieser Partei wirklich genügend. Wir haben ein großes Potenzial. Das Problem, das ich sehe, dass viele in den letzten Monaten oder eineinhalb Jahren sich in die Landesverbände zurückgezogen haben, zum Beispiel Ostdeutschland, und gesagt haben, lasst die mal in Berlin machen was sie wollen, wir machen unser Ding, statt um diese Partei gemeinsam zu kämpfen.

    Breker: Was dafür spricht, dass die Führung derzeit nicht die richtige ist, die in Berlin der Bundespartei?

    Brie: Ich will wiederholen: mir geht es nicht um Personen, sondern was ich erwarte von Klaus Ernst, Gesine Lötzsch und all den anderen ist, dass sie wirklich führen, dass sie Politik machen, dass sie eigene Positionen vertreten und nicht nur diese Partei verwalten.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der Links-Politiker André Brie. Herr Brie, danke für Ihre Einschätzungen.

    Brie: Danke schön!

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