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"Wir waren einfach alle Menschen, die ein besseres Ägypten wünschten"

Magdy El-Shaffee, ein ägyptischer Comicautor, spricht im Corosgespräch über die Zeit vor dem Umsturz von Präsident Mubarak, seine aktive Teilnahme an den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz in Kairo und seine Wünsche und Erwartungen an die Zukunft.

Magdy El-Shaffee im Gespräch mit Berit Hempel |
    Berit Hempel: Was geschah, als ihr Comic/Graphic Novel "Metro" verboten wurde?

    Magdy El-Shafee:Das Buch erschien zwei, drei Monate vor den Unruhen des 6. April 2008. Und alle, die mit diesen Unruhen zu tun hatten, kamen ins Gefängnis, auch ich, einen Tag lang. Die Polizei stürmte damals das Büro des Verlegers und konfiszierte alle "Metro"-Exemplare, auch die Exemplare in den Buchläden sammelten sie ein. Und sie suchten mich. Weil ich mich bei der Polizei gestellt hatte, kam ich zum Glück nur für einen Tag ins Gefängnis. Die, die die Polizei festnehmen musste, wurden länger eingesperrt. Dann kam die ganz Gerichtsprozedur, das dauerte ungefähr zwei Jahre bis zum Urteil: Ich bekam eine Geldstrafe, keine Gefängnisstrafe. Aber das Frustrierende war: Ich wurde verurteilt, weil ich über Bilder nachgedacht hatte und über Wörter. Dafür wurde ich bestraft! Denn über solche Dinge durfte man nicht nachdenken. Das ist verrückt.

    Hempel: Wie war das, als sie erfuhren, dass ihre Graphic Novel "Metro" verboten wurde? Wie haben Sie und Ihre Familie da reagiert?

    El-Shafee: Es war das erste Mal, dass ich zur Polizei musste. Meine Frau und ich wussten nicht, was wir tun sollten. Wir packten vorher die ganzen Metro-Sachen zusammen und versteckten sie bei einem Freund. Und dann besprachen wir uns. Meine Frau sagte: OK, was kann passieren? Du kommst ins Gefängnis. Dann bist Du nicht schlechter als all die anderen tapferen Männer dort. Und ich werde stolz auf dich sein, ich werde mich nicht schämen. Du bist dann im Gefängnis, weil du etwas Ehrenvolles gemacht hast. Das wäre der höchste Preis wäre, den wir bezahlen müssten. Ist er Dir zu hoch? Bist Du dagegen, fragte sie. Und ich antwortete: Nein, ich habe nichts dagegen.

    Hempel: Hatten Sie Angst?

    El-Shafee: Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Angst. Ich hatte etwas getan, von dem ich völlig überzeugt war. Ich hatte etwas Richtiges getan. Und nun hatte ich Angst deshalb, das war nicht gut.

    Hempel: Sie sagten zu Anfang, dass "Metro" kurz vor den Unruhen des 6. April 2008 erschienen war. Also zu einer Zeit, als sich bereits einige Menschen dem Regime von Mubarak widersetzten. Haben Sie während des Prozesses etwas von diesem Geist des Widerstands gespürt?
    El-Shafee: Das Positive an dieser Zeit war, dass ich im Gerichtssaal merkte, wie viele Leute mich unterstützten. Leute, die ich gar nicht kannte, Blogger, Comicfans, Schriftsteller. Das war wirklich eine große Entdeckung für mich. Diese Menschen waren es, von denen später die Revolution ausging. Denn ohne solche Leute, die von einer anderen Gesellschaft träumen, gibt es keine Revolution.

    Hempel: Haben Sie in dieser Situation jemals daran gedacht, das Land zu verlassen und an einem anderen Ort zu leben?

    El-Shafee: Das ist wirklich bizarr. Ich habe nie daran gedacht das Land zu verlassen, auch nicht 2005 bei den allerersten Demonstrationen gegen Mubarak. Ich dachte, ich bleibe, er muss gehen. Aber jetzt, nach der Revolution denke ich paradoxerweise schon manchmal darüber nach. Die Demokratie ist jung und mein Leben wird von jetzt an von Islamisten bestimmt, die noch nicht vorbereitet sind auf die Meinungsfreiheit. Ich bereue unsere Revolution nicht. Ich habe mitgemacht, wie viele andere auf dem Tahrir-Platz auch, die Transparente hielten, Arbeit verlangten, das Regime stürzen wollten und die wie ich auf dem Platz blieben, mal mit Ehefrau, mal mit Freunden. Die Zeit nach der Revolution ist geprägt vom Trial and Error Prinzip, von Versuch und Irrtum. Die Demokratie korrigiert die Fehler von innen heraus. Die Dinge sollen ihren Lauf nehmen.

    Hempel: Sie waren bei den Protesten auf dem Tahrir-Platz dabei, vor rund einem Jahr. Wie war das damals? Was hat die Menschen aus den unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Lagern verbunden?

    El-Shafee: Es war wie Magie. Wir hatten uns entschieden, zum Tahrir-Platz zu gehen. Und all die Kollegen sagten, oh Nein, das tust du nicht. Ich hielt dagegen: Was wird passieren, wenn ich nicht gehe? Wenn wir es jetzt nicht schaffen, dann nie. Wir hörten die Leute schon seit dem frühen Morgen rufen, also beeilten wir uns. Auf den Transparenten las ich, dass sie das Regime stürzen wollten. Die Menschen kamen aus allen Richtungen und allen Straßen. Wir trafen uns alle am Tahrir-Platz und zwar gleichzeitig. Als hätten wir eine Verabredung! Aber in Kairo triffst Du noch nicht einmal fünf Leute zur selben Zeit. Und jetzt trafen sich Zehntausende zur gleichen Zeit. Ich erinnere mich an eine besondere Nacht auf dem Tahrir-Platz: keine Polizei, keine Staatsmacht. Du kannst Dir das Gefühl nicht vorstellen. Es war, als wärst Du auf dem Mond. Du hatttest nur die Sterne über Dir, es war ein unbeschreibliches Gefühl. Der Platz wurde von Dir und Deinen Freuden beschützt. Diese Nacht war großartig.

    Hempel: Aber auch unter den Demonstranten gab es doch schon damals, wie man auch jetzt merkt, unterschiedliche Vorstellungen von einem neuen, lebenswerten Ägypten?

    El-Shafee: Wir waren überwältigt von einer Idee - von der gemeinsamen Idee einer besseren Welt. Wir hatten jede Schuld vergeben, denn in dem Moment bewegten wir uns in einer gütigen selbstlosen Gemeinschaft. Es gab keine Salafisten, keine Liberalen, keine Mädchen oder verschleierte Frauen. Wir waren einfach alle Menschen, die sich schlicht ein besseres Ägypten wünschten. Diese Tage bleiben für immer im Gedächtnis. Ebenso wie der Lärm der Flugzeuge aber wir hörten auch die Rufe der Menschen auf dem Platz, die die Flugzeuge zur Hölle wünschten. Und man konnte fühlen, dass die Rufe stärker waren als das Dröhnen der Kampflugzeuge. Das war unglaublich und ich kann nur hoffen, dass diese Gedanken und die Werte von damals noch lange weiter wirken.

    Hempel:Ein Jahr danach, Mubarak ist nicht mehr an der Macht, die erste freie Wahl hat stattgefunden, mit den islamistischen Parteien als Wahlsieger. Wie lebt es sich da in Ägypten 2012?

    El-Shafee: Ich persönlich weiß nicht, ob ich meine Sachen in Zukunft frei produzieren kann oder nicht. Vielleicht wird es gefährlicher. Unter Mubarak bist du ins Gefängnis gekommen, wurdest vor Gericht gezerrt und all diese Dinge. Aber da gab es nicht diese religiösen motivierten Angriffe gegen dich. Aber jetzt? Ich möchte nicht davon betroffen sein. Ich möchte nicht ins Gefängnis. Aber ich bin in der Lage mich zu wehren, und zwar mit meinen Comics. Das würde den Leuten eher helfen.

    Hempel: Haben Sie sich so den Ausgang des Arabischen Frühlings vorgestellt?

    El-Shafee: Nein, nein, nein. Das hatte ich vor einem Jahr nicht erwartet. Aber es ist keine Frage der Erwartung, es ist eine Frage der Grundhaltung. Ich habe vor ungefähr einem Monat mit einem Salafisten gesprochen. Ich sagte zu ihm, wir haben zwei unterschiedliche Vorstellungen von einem ägyptischen Staat. In dem Staat, den ich mir vorstelle, bist du, der Salafist, frei, kannst deine Religion ausüben und wirst dabei sogar beschützt. Aber in deinem Staat, dem der Salafisten, würdest du mich ins Gefängnis werfen. Ich glaube, er war erstaunt, weil er so etwas vorher noch nicht gehört hatte. Und da wurde mir klar, dass es nie einen Dialog gegeben hat zwischen den unterschiedlichen Lagern, seit Jahrzehnten nicht, wenn nicht seit Jahrhunderten. Ich sage nicht, dass ich das Land verlassen werde, aber der Gedanke daran ist mir vor Kurzem schon gekommen.

    Hempel: Was können Sie und andere Kulturschaffende denn jetzt, im Jahr 2012, in Ägypten und für Ägypten noch tun?

    El-Shafee: Sie sollen ihre Kunst machen, egal wo, egal wie und egal zu welchem Thema. Sie müssen mutig genug sein, die Kunst zu verteidigen. Wenn sie das nicht tun, dann fördern sie die Engstirnigkeit und schaden dem Wohl der Gesellschaft, dem eigenen Wohl und dem Wohl der Kunst.

    "Neustart am Nil - Corso in Kairo" - Die Kulturszene nach dem Sturz von Hosni Mubarak