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"Wir waren ja tatsächlich mitten in der Arbeit"

Nach seinem Tod wird sich die von Christoph Schlingensief geplante Arbeit für Venedig in der ursprünglichen Form nicht mehr realisieren lassen. Kuratorin Susanne Gaensheimer denkt nun über andere Möglichkeiten nach, dem Künstler gerecht zu werden.

Susanne Gaensheimer im Gespräch mit Kathrin Hondl |
    Kathrin Hondl: Wie soll es jetzt ohne ihn weitergehen? Nach dem Tod von Christoph Schlingensief stellt sich diese traurige Frage sehr konkret, denn bis zuletzt arbeitete er ja an vielen Kunstbaustellen gleichzeitig. Da ist sein Herzensprojekt in Burkina Faso, der Bau eines Operndorfes in Ouagadougou, da ist eine Opernproduktion an der Berliner Staatsoper und da ist der deutsche Pavillon bei der Biennale in Venedig, den Christoph Schlingensief gestalten sollte. – Am Telefon ist jetzt Susanne Gaensheimer, die Kuratorin des deutschen Pavillons in Venedig. Frau Gaensheimer, wer wird denn nun den deutschen Pavillon bei der Biennale bespielen?

    Susanne Gaensheimer: Sie müssen vielleicht ein bisschen sich vergegenwärtigen, dass Christoph Schlingensief gerade eine Woche tot ist - gestern war die Beerdigung - und diese Frage sich natürlich jetzt überhaupt nicht so schnell beantworten lässt. Es ist noch überhaupt nicht klar, was wir machen und welche Form das haben wird. Es gibt eine Vielzahl von Überlegungen und es gibt auch eine Vielzahl von Möglichkeiten und es müssen jetzt vor allem eine ganze Reihe von Gesprächen stattfinden mit Leuten, die mit ihm zusammenarbeiten, und dann müssen wir das in aller Sorgfalt überlegen, und das wird mit Sicherheit noch ein paar Wochen dauern.

    Hondl: Also Sie hatten keinen Plan B in der Schublade für den Fall des Todes?

    Gaensheimer: Nein. Es gab keinen Plan B und ich bin auch immer noch total davon überzeugt, dass unser Vorgehen das richtige war. Erstens bin ich immer noch vollkommen überzeugt davon, dass Christoph Schlingensief der richtige Künstler gewesen wäre für den Pavillon. Das, was ich mir eigentlich erhofft hätte von Christoph Schlingensief, das wird natürlich ohne ihn nicht machbar sein, egal was wir machen, und das ist einfach wahnsinnig traurig, weil ich bin ganz sicher, dass er eben wirklich die Kraft und den Witz und die Intelligenz und auch die Hemmungslosigkeit gehabt hätte, dieses Gebäude mit seinen ganzen Konnotationen einfach mal auf den Kopf zu stellen, und das wäre sehr wohltuend gewesen.

    Hondl: Wird es jetzt also eher eine Ausstellung über Christoph Schlingensief, als eine Arbeit von ihm?

    Gaensheimer: Ich weiß es nicht. Es ist auf jeden Fall so: Wir waren ja tatsächlich mitten in der Arbeit. Es gibt ja von ihm eine Idee für diesen Pavillon.

    Hondl: Was ist das für eine?

    Gaensheimer: Die kann ich Ihnen nicht sagen. Die habe ich niemandem gesagt, denn falls wir uns entscheiden würden, sie zu realisieren, kann ich natürlich nicht jetzt schon sagen, was es sein wird. Und außerdem werden wir das, auch wenn wir sie nicht realisieren, natürlich dokumentieren und dann bekannt machen.

    Hondl: Aber es ist ja schon ziemlich problematisch, oder, was Sie jetzt vor haben, weil Schlingensiefs Kunst ist ja wirklich Aktionskunst?

    Gaensheimer: Was man mit Sicherheit nicht machen kann, ist, sein Projekt realisieren ohne ihn. Da gibt es so viele offene Fragen, die kann einfach niemand entscheiden und die kann auch ich nicht entscheiden. Das heißt, ich glaube nicht, dass wir dieses Projekt einfach als Schlingensief-Arbeit realisieren werden. Das scheint mir ziemlich unmöglich.

    Hondl: Ein bisschen erinnert das ja auch vielleicht an die Schwierigkeiten, die Museen und Kuratoren so bei der Präsentation von Arbeiten von Joseph Beuys seit seinem Tod haben.

    Gaensheimer: Ja, das stimmt. Das habe ich auch genau so schon verglichen. Das trifft es sehr, sehr gut. Bei Joseph Beuys streitet man sich ja auch heute noch, wie man seine Installationen rekonstruiert.

    Hondl: Und können Sie sich da behelfen bei dem, was man jetzt nun seit Beuys Tod schon an Erfahrungen gesammelt hat mit der Präsentation?

    Gaensheimer: Ja, was hilfreich ist, ist ein Bewusstsein für die Problematik, und dieses Bewusstsein habe ich natürlich einfach aus der Beschäftigung mit der Kunst nicht mehr lebender Künstler. Aber ich glaube, wir müssen überhaupt grundsätzlich überlegen, was wir da jetzt machen. Die Frage ist wirklich noch keine Detailfrage, sondern eine sehr, sehr grundsätzliche Frage.

    Hondl: Welche Positionen stehen sich da gegenüber?

    Gaensheimer: Man muss eben überlegen, wie man jetzt auf der Basis dessen, was da ist und vor allem was nicht da ist, macht. Das kann einen dokumentarischen Charakter haben, das kann eine Interpretation sein, es kann auch sein, dass sich herausstellt, dass es überhaupt nicht möglich ist, irgendwas zum Thema zu machen. Ich weiß es nicht! Ich möchte jetzt gar nicht an dieser Stelle zu sehr in diese Details gehen, weil uns das einfach auch zu festlegen würde, und wir brauchen jetzt einfach ein bisschen Zeit.

    Hondl: Wenn Sie sich nun für Dokumentation als Lösung entscheiden würden, würde das denn Christoph Schlingensief gerecht werden? Das würde ihn ja schon ein bisschen musealisieren, oder?

    Gaensheimer: Warum würde ihm das nicht gerecht werden, ihn zu musealisieren? Das schließt sich für mich nicht zwingend aus. Das heißt noch nicht, dass ich es so machen werde, aber es schließt sich für mich nicht aus.

    Hondl: Die Kuratorin Susanne Gaensheimer war das über die nach dem Tod von Christoph Schlingensief noch ungewisse Zukunft des deutschen Pavillons bei der kommenden Biennale in Venedig.