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Wir wollen immer artig sein ... Punk, New Wave, Hip-Hop, Independent-Szene in der DDR 1980-1990

Artig waren in der DDR-Rockmusik nur staatskonforme Vorzeigelanghaarige, allen voran die Puhdys, Karat oder die Stern-Combo-Meißen. In der Regel hatten sie staatliche Musikhochschulen besucht, ließen sich ihre Texte von Giesela Steinekert oder Kurt Demmler schreiben und produzierten kunsgewerblichen Bombast-Rock mit Synthesizer-Teppich und schwülstigen Metaphern. Offensichtlich war es den Funktionären gelungen, eine deutschsprachige Variante des Rock'n'Roll zu etablieren, die so überraschend und aufregend war wie die Wahl des Parteivorsitzenden. Die aus dem Westen bekannten Nebenwirkungen, wie Aggressivität, Provokation und Gesellschaftskritik, konnten dank staatlicher Kontrollen weitgehend vermieden werden. Die Texte wurden zensiert, die Musik im AMIGA-Studio auf DDR-Standard weichgespült, und an die Öffentlichkeit kam sowieso nur, wer sich an die Regeln hielt - was abgesehen von der Klaus-Renft-Combo und einigen Blues-Hardlinern auch alle taten. Dann kam der Punk in den realexistierenden Sozialismus, und plötzlich war alles anders. Junge Menschen, die etwas von den Sex Pistols und den Ramones mitbekommen hatten, bestanden darauf, mit grüngefärbten Haaren und Sicherheitsnadeln im Gesicht simple Botschaften zu drei Akkorden ins Mikrofon zu brüllen. Auf einmal gab es so etwas wie Rebellion in der Rockmusik der DDR, einen blühenden Underground. Dessen Geschichte wurde jetzt erstmals zwischen zwei Buchdekeln dokumentiert. Für Ronald Galenza, der gemeinsam mit Heinz Havemeister das Buch "Wir wollen immer artig sein ..." im Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf herausgab, stand am Anfang der ostdeutschen No-future-Bewegung eindeutig der politische Protest.

Roland Gerstenberg (Hg.) |
    "Also die ersten Punks sind schon ganz klar angetreten (...) für sich und für ihre Freunde ein Zeichen gegen diesen Staat und diese Repressionen zu setzen. Das waren sehr politische Texte. Bekannt aus dieser Zeit, also in dieser Szene, war "Nazis wieder in Ostberlin" von Namenlos. Oder viele Texte drehten sich darum, daß man sein ganzes Leben arbeiten gehen muß, und wenn man nicht arbeitet, ist man asozial und damit kriminell - so waren die Gesetze in der DDR - und wandten sich schon sehr stark gegen den Staat DDR. In der DDR-Rockmusik immer ein Tabu, nie besungen war die Mauer. Die war trotzdem da, die konnte jeder sehen, der wollte. Es gibt auch diverse Texte über die Mauer und das Eingesperrtsein. Ab Mitte der Achtziger veränderte sich das schon. Viele Bands fingen dann an englisch zu singen. Und die Texte dieser Punk- und Wave-Szene wurden dann verklausulierter. Das war das legendäre "Zwischen-den-Zeilen-lesen-und-singen". Das war dann 'ne Masche um halt auch an Auftrittsgenehmigungen zu kommen und vielleicht nicht mehr illegal zu sein und auch ein paar Groschen verdienen zu können."

    In den ersten Kapiteln des Buches geht es vor allem um das Do-it-yourself-Lebensgefühl der Punk-Akivisten der ersten Stunde. In einem Interview mit dem Dichter Bert Papenfuß sowie den Musikern Ronald Lippok von "Ornament und Verbrechen" und Aljoscha Rompe von "Feeling B" wird deutlich, wie schwierig es am Anfang war, auf Gleichgesinnte zu treffen, wie begrenzt die künstlerischen Fähigkeiten waren und wie stark das Bedürfnis, sich auszudrücken. Erst nach und nach entwikelte sich ein - wenn auch sehr löchriges - subkulturelles Netzwerk zwischen Dresden und Rostock, in dessen Zentrum sich Berlin, beziehungsweise der Prenzlauer Berg, befand. So erinnerte sich Bert Papenfuß bei der Buchpremiere im Berliner Prater:

    "In trauter Runde mit einigen informellen Mitarbeitern wurde ein Gebetskreis zur Rettung des angewandten Altruismus inthronisiert - mit Gedichtevorlesen und allem Pipapo. Das war die Geburtsstunde der im Nachhinein von Adolf Endler sogenannten Prenzlauer-Berg-Connection. In ihren Verstecken die verbotenen Maler bildeten Spalier. Die Interdisziplin wurde aus der Traufe gehoben und fast schon uneigennützig in die Regale der Sammler rübergereicht. Freygang wurde losgelassen, und plötzlich war der "Schwarze Kanal" Punk. Wer sich die Haare abschneiden ließ, wurde als Langhaariger behandelt. Platzverweis war Ehrensache. Repression bekam Kultstatus."

    Der Punk-Virus infizierte nicht nur Musiker, sondern auch Literaten und bildende Künstler. Punk war ein wirkungsvolles Mittel, um sich von staatsnaher Kunst abzugrenzen und um Aufsehen zu erregen. So sang der Kunstwissenschaftler Christoph Tannert, der auch einige Artikel zu diesem Buch beisteuerte, in der Underground-Band "teurer denn je". Bildende Künstler veranstalteten Punk-Performances, und Autoren schrieben Texte für Bands, die sie teilweise auch selbst vortrugen. In der Hardcore-Fraktion stießen derartige inderdisziplinäre Aktivitäten allerdings nicht nur auf Sympathie:

    Es gab die Punks, die wirklich unabhängig bleiben wollten, das hieß aber auch, nur in Räumen der Kirche spielen, in irgendwelchen Kellern, illegal bleiben. Und es gab Leute, die mehr wollten. Die hatten ihre paar richtigen Konzerte hinter sich und dachten, da draußen ist noch mehr los und haben sich halt mit Filmemachern zusammengetan, mit Dichtern, Papenfuß, Anderson, Döring, die haben dann halt Bands oder Leute aus Bands genommen und haben sich begleiten lassen, damit das Ding noch einen anderen Kick kriegt, mehr Energie. ( 27 sec, 10)

    Natürlich rief das muntere Treiben im ostdeutschen Untergrund die Genossen von der Staatssicherheit auf den Plan. Vor allem die offenen politischen Aussagen gegen den sozialistischen Staat veranlaßten Erich Mielke zu dem Befehl, mit äußerster "Härte gegen Punk" vorzugehen. Überwachungen, Haftstrafen und Abschiebungen in den Westen waren die Folge. Außerdem hatten die Herren aus der Normannenstraße gute Informanten an der richtigen Stelle. Sascha Anderson sang damals in der Band "Zwitschermaschine" und war in der nichtoffiziellen Kulturlandschaft eine zentrale Figur. Er organisierte Veranstaltungen und sorgte für Plattenveröffentlichungen im Westen - bei ihm liefen die Fäden zusammen. Galenza und Havemeister haben auch mit Anderson gesprochen. In ihrem Buch fehlt jedoch das Interview.

    "Weil - ich sag jetzt mal ironisch - der liebe Sascha wie in so vielen Interviews 'ne Menge Unsinn erzählt hat. Entweder diese kalte Distanz oder die Undistanziertheit zu seinem Wirken und Tun bei den Genossen, daß wir dachten, das können wir nicht unkommentiert in das Buch nehmen. Dann hätten wir aber ein Sascha-Anderson-Buch machen müssen - und da gibt's schon einige. Wir wollten eigentlich die anderen interessanten Facetten dieser Zeit und Szene aufzeigen.

    Mit viel Akribie haben die beiden Herausgeber, die selbst als DJ's, Musiker und Autoren im ostdeutschen Underground der 80er aktiv waren, Material zusammengetragen und dokumentiert. Klugerweise vermeiden sie den Eindruck von Endgültigkeit und Objektivität eines analytischen Zugriffs, indem sie die Akteure von damals selbst ins Bild rüken - was angesichts der vielen aussagekräftigen Fotos durchaus wörtlich gemeint ist. Texte von Matthias Baader-Holst, Jan Faktor oder Peter Wawerzinek betonen zudem das Subjektive der Betrachtungsweise. So ist Heinz Havemeister und Ronald Galenza vielleicht keine ausgewogene, über jeden Einwand erhabene Darstellung der nonkonformistischen Künstlerszene in der DDR gelungen - dafür aber eine höchst lebendige.

    "Man stellt sich das auch immer so schrecklich und grau und düster vor, das hat einfach auch Spaß gemacht die ganze Zeit. Und wir wollten versuchen, daß das in dem Buch noch mal rüberkommt. Also vielleicht so Splitter aus Erinnerungen von ganz verschiedenen Leuten, die ja in dem Buch ihre Geschichte erzählen, die auch teilweise traurig oder hart war, daß das trotzdem für die Beteiligten auch eine geile Zeit war, 'ne schöne, 'ne interessante und 'ne Zeit, in der aktiv gelebt wurde.