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"Wir wollen ja insbesondere den Zivilisten helfen"

Es gehe in Syrien nicht darum "Auge um Auge, Zahn um Zahn" durchzusetzen, findet Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD. Deshalb lobt er das Selbstbewusstsein des britischen Unterhauses. Die Parlamente seien eben "nicht so einfach zu überzeugen".

Rolf Mützenich im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Herr Mützenich, waren Sie erleichtert über Camerons Niederlage letzte Nacht?

    Rolf Mützenich: Ich war beeindruckt von einem Parlament, das selbstbewusst aufgetreten ist gegenüber der Regierung, und was eben nicht nach Fraktionen letztlich entschieden hat, sondern nach der Überzeugung, und in der Tat wahrscheinlich ja auch aufgrund der Erfahrungen, die damals Tony Blair und seine Regierung im Hinblick auf die Irakintervention hinterlassen hat. Und ich finde, wenn Parlamente sich sozusagen auch das Recht erstreiten, demokratisch die Sicherheitspolitik mit zu beurteilen, dann ist es durchaus legitim.

    Breker: Es war eine Chance, eine neue Chance für die Diplomatie.

    Mützenich: In der Tat, ich glaube, sie ist es auch weiterhin, trotz anderslautender Berichte aus anderen Hauptstädten. Wir müssen jetzt die nächsten Stunden und nächsten Tage nutzen nach der Rückkehr der Inspekteure, die ja auch ihren Bericht vorzulegen haben, er muss ausgewertet werden, er muss interpretiert werden, und alles das passiert auf der Ebene der Vereinten Nationen. Das schafft schon diplomatischen Raum, wenn alle besonnen in dieser schwierigen Frage agieren.

    Breker: Angela Merkel hat noch einmal mit Vladimir Putin telefoniert, es bleibt dabei, die Russen, egal, was rauskommt, so die Meldung aus Moskau heute – wir werden es später auch noch hören – egal, was bei den Inspekteuren ermittelt wird, die Russen werden nicht mitmachen bei irgendetwas, was nach Gewalt gegen das Assad-Regime aussieht.

    Mützenich: In der Tat, aber auf der anderen Seite gibt es auch Meldungen, dass Russland auch bilateral bereit ist, zwischen den Präsidenten weiterhin zu sprechen, möglicherweise auch Gipfeltreffen in den nächsten Tagen dazu zu nutzen, weil ja auch letztlich, wenn die Inspekteure den Waffeneinsatz so feststellen, auch eine Verurteilung und möglicherweise auch die Konsequenz daraus gegriffen wird, dass im Sicherheitsrat vielleicht dennoch ein Beschluss gefasst werden muss. Vielleicht kommt Russland letztlich auch zu dieser Erkenntnis, weil es weiß, es ist auch nicht weit von dem Konfliktgeschehen entfernt, und es möchte natürlich zum Beispiel innerhalb des Kaukasus keine weitere Destabilisierung, und schon gar nicht mit Chemiewaffen.

    Breker: Bislang, das muss man festhalten, Herr Mützenich, hat aber der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Weltpolizist versagt.

    Mützenich: Kläglich – kläglich hat er versagt, trotz aller Initiativen und trotz aller Aufforderungen. Ich finde, der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat bisher das beste Bild abgegeben, und er repräsentiert nach meinem Dafürhalten eben auch eine Möglichkeit der Vereinten Nationen, über Vermittlungen etwas zu erreichen. Aber das scheitert immer dann, wenn insbesondere die Vetomächte hier nicht mitgehen; aber dennoch, der – möglicherweise eben – Einsatz von chemischen Kampfstoffen wird unter Umständen nach meinem Dafürhalten auch in Hauptstädten, die bisher sehr zurückhaltend oder sehr stark auch Partei gewesen sind, vielleicht das eine oder andere überdenken lassen. Und ich würde es nicht zur Seite legen, dass wir noch eine Sicherheitsratsresolution bekommen, insbesondere dann, wenn der Bericht sehr aussagekräftig ist.

    Breker: Denn andernfalls wäre die Botschaft an alle Despoten dieser Welt: Ihr könnt machen mit eurem Volk, was ihr wollt, mit einer Bestrafung habt ihr nicht zu rechnen.

    Mützenich: In der Tat, es geht aber auch in der Diplomatie nicht um Auge um Auge, Zahn um Zahn, sondern es geht sozusagen auch darum, eine internationale Gemeinschaft bei unterschiedlichen Interessen auch zusammenzubringen. Das ist sehr mühevoll, aber insbesondere, glaube ich, ist es wichtig, dass nicht sozusagen vorschnell das eine oder andere entschieden wird, dass der eine oder andere von Konsequenzen redet, ohne genau zu sagen, was diese Konsequenzen dann für das gemeinsame Ziel – und das, glaube ich, hat die internationale Staatengemeinschaft vielleicht in einer Genf-zwei-Runde zu schaffen, insbesondere die Flüchtlinge zu versorgen, das sind alles gemeinsame Interessen, und das muss jetzt genutzt werden.

    Breker: Die Argumentation beim Balkankrieg, als die NATO auf dem Balkan eingegriffen hat unter der Überschrift "Nie wieder Srebrenica", war ja, dass man gesagt hat, es gibt eine Verpflichtung der Staatengemeinschaft, die Zivilbevölkerung zu schützen, deshalb können wir uns das erlauben, auch dann, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich nicht einigen kann. Diese Argumentation ist ja hier in Syrien auch schon vorbereitet worden.

    Mützenich: In der Tat, die Schutzverantwortung, die sich auch aus den Erfahrungen, aber auch in Ruanda zum Beispiel, entwickelt hat auf der Ebene der Vereinten Nationen, ist durchaus eine wichtige Verpflichtung, aber sie bedeutet nicht, dass man nicht außer Acht lassen darf, ob möglicherweise auch ein Eingreifen zu vielleicht noch mehr schrecklichen Konflikten, zu einer Regionalisierung führt, alles das, was möglicherweise in Syrien dann auch bevorstehen würde. Und wir wollen ja insbesondere den Zivilisten helfen, und ich glaube, ein solches angedachtes Eingreifen, wie es die USA, wie es Frankreich, bis gestern Großbritannien getan hat, schafft möglicherweise noch viel mehr Probleme, und deswegen, glaube ich, zieht hier die Schutzverantwortung nicht.

    Breker: Nun hat Präsident Hollande heute gesagt, durch die Niederlage von Cameron habe sich aus seiner Sicht nichts geändert; aus Amerika hören wir auch keine Veränderung in der Position. Für wie wahrscheinlich halten Sie einen Militärschlag gegen das Assad-Regime?

    Mützenich: Wenn sie es ernst meinen und tatsächlich zuerst den Bericht der Inspekteure abwarten und bereit sind, auch auf der Ebene der Vereinten Nationen weiter mühsam auch zu sprechen, gibt es nach meinem Dafürhalten immer noch einen diplomatischen Raum. Auf der anderen Seite muss der französische Staatspräsident natürlich auch kalkulieren – ich meine, am Mittwoch würde die französische Nationalversammlung, das Parlament, zusammentreten, um insbesondere auch über diese Frage zu diskutieren. Der Sprecher des Repräsentantenhauses hat einen Brief an Präsident Obama geschrieben im Auftrag der Vorsitzenden der sicherheitspolitischen Komitees mit einer Menge an Fragen, und hier zeigt sich eben auch, dass die Parlamente nicht so einfach zu überzeugen sind, insbesondere dann, wenn – wie wir gestern gesehen haben – drei Seiten einer doch nicht sehr tiefgründigen Analyse vonseiten der britischen Regierung vorgelegt wurde, was nicht als Beweis gelten konnte.

    Breker: Anders als bei Libyen hat die Bundesregierung gesagt, sie ist dafür, dass es Konsequenzen hat, auch wenn sie bei militärischen Handlungen nicht dabei sein will. Was kann Deutschland überhaupt leisten, was bedeutet Konsequenzen?

    Mützenich: Da sind wir auch sehr am Rätseln, deswegen haben wir ja zum Beispiel auch für Montag den auswärtigen Ausschuss, den Verteidigungsausschuss auch einberufen, wo dann, hoffe ich, auch die zuständigen Fachminister berichten werden. Ohnehin hat man den Eindruck, dass eher die panische Angst vor einem neuen Libyen-Desaster die Bundesregierung hier angespornt hat. Und ich glaube, eine doch Überlegung, wie im internationalen Rahmen Einfluss genommen werden kann, hat erst in den letzten Stunden begonnen, und da, ist mein Eindruck, ist das Kanzleramt der entscheidende Träger. Das Auswärtige Amt spielt hier fast überhaupt gar keine Rolle. Ich bedaure das, aber das hat natürlich auch mit schwerwiegenden Fehlern in der Vergangenheit zu tun, ich hoffe, dass es gelingt, den G20-Gipfel auch dazu zu nutzen, eine diplomatische Grundlage zu fassen.

    Breker: Man hat Milosevic an den Verhandlungstisch gebombt – kann man Assad an den Verhandlungstisch bomben?

    Mützenich: Da kommt es eben genau auf Russland an, ob eben dieser Einschnitt, wenn die Inspekteure nachweisen können, dass chemische Kampfstoffe vonseiten auch des Regimes oder auch von Teilen des Regimes eingesetzt worden sind, ob damit ein Umdenken passiert, weil man ja auch den Eindruck gewinnen muss in Moskau, man hat überhaupt nicht mehr die Kontrolle über dieses System, und daraus ergeben sich durchaus politische Chancen. Ich denke, wir hier in Deutschland sollten auch stark noch über die humanitären Möglichkeiten, die wir haben, nachdenken, nicht nur die Versorgung der Flüchtlinge vor Ort. Gerade beginnen wir ja erst, die 5.000 Flüchtlinge nach Deutschland zu holen, das finde ich zu wenig, das finde ich im Grunde genommen auch ein sehr schleppendes Verfahren, und da erhoffe ich mir von der Bundesregierung, aber auch den Landesregierungen mehr?

    Breker: Die Einschätzung des außenpolitischen Sprechers der SPD, Rolf Mützenich. Herr Mützenich, danke für dieses Gespräch!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.