Frank Schroeder: Norbert Leisegang - Sie müssen ein sehr verträglicher Mensch sein, wie sonst könnte man das aushalten: 30 Jahre eine Band in nahezu unveränderter Besetzung, und noch dazu eine Familienband. Keimzeit waren vor 30 Jahren drei Brüder und eine Schwester?
Norbert Leisegang: Exakt.
Schroeder: Aber heute sind nur noch die Männer an Bord.
Leisegang: So ist es. Die Schwester hat sich Ende der 80er, Anfang der 90er zurückgezogen, weil sie eine Familie gegründet hat, sie hat zwei Kinder, und hat sich danach mehr wieder in ihren Beruf als Kindergärtnerin zurückgezogen und wirkt seither im kommunalen Bereich.
Schroeder: Wie können wir uns das vorstellen damals, 30 Jahre zurückgedacht: Vier Kinder in einer Familie und die Eltern musikalische Vorbilder? Singen alle gemeinsam, trommeln auf Stühlen und spielen den Besenstock als Quasi-Gitarre?
Leisegang: So vielleicht nicht, aber unsere Eltern haben schon massiven Anteil daran, dass wir Kinder sehr musikalisch ausgebildet wurden. Sie legten uns in früher Kindheit schon eine Instrumentenausbildung nahe, ich selbst habe Gitarre gelernt, meine Schwester Akkordeon. Und dann gab es auch die Tradition der Hausmusik, immer zu Weihnachten, zu bestimmten Festtagen wurde natürlich das deutsche Volkslied und das Wanderlied gesungen. Insofern war Familie Leisegang doch schon immer eine sehr, sehr musikalische Familie.
Schroeder: Trotzdem muss es irgendwann einen Knackpunkt gegeben haben, weg vom Volkslied, hin zu eigenen Songs. War das ein schleichender Prozess oder ging das dann von heute auf Morgen?
Leisegang: Der erste Schritt war dann wohl eher: Wir distanzieren uns von der Musik unserer Eltern und machen lieber Rock‘n‘Roll, obwohl es damals nicht Rock‘n‘Roll war, sondern mehr Neue Deutsche Welle. Ich war sehr angetan von Ideal, von Extrabreit Anfang der 80er, man möge sich erinnern, und fand es auch toll, dass da in deutscher Sprache getextet wurde. Und dann auch ganz schroff und ganz einfach, und da habe ich so bei mir gedacht: Das kann ich auch! Und dann habe ich so 1983, 1984 begonnen, eigene Songs zu schreiben.
Schroeder: Extrabreit und andere sind gerade als Vorbild genannt worden, im Osten gab es damals aber Puhdys und Karat. Haben die auch schon eine Rolle gespielt im Gedankenkonstrukt der Familie Leisegang?
Leisegang: Schon mehr die Rolle der Kontraposition. Also alles, was älter damals war als 35 Jahre, das war für uns das Kontra-Lager, und mit denen wollten wir eigentlich nicht so viel zu schaffen haben. Und zum anderen war es auch so, dass meine musikalische Sicht sehr, sehr eingeschränkt war, alles, was aus Deutschland direkt kam, wollte ich nicht haben. Dazu gehörten Puhdys, dazu gehörten dann aber auch die Scorpions und überhaupt deutsche Bands fand ich abstoßend und wollte eigentlich alles, was es an angloamerikanischer Musik gab konsumieren und habe das auch getan.
Schroeder: Das war damals DDR-typischer Blues-Rock mit Texten von Ihnen. Als die Texte zu frech wurden, war auch mal Schluss mit lustig. Sie hatten auch Spielverbot?
Leisegang: Das hat aber weniger - aus meiner jetzigen Sicht - weniger mit meinen Texten zu tun. Denn ich habe damals sehr naiv und sehr einfach getextet. Oder sehr kryptisch. Und Keimzeit war auch in den 80ern ganz und gar keine propagandistische Band, die nun staatsfeindlich sich geoutet hat. Wir wollten einfach gute Partys haben. Und dann gab es da diesen Passus, dass wir eigentlich als Amateurmusiker immer einen vollständigen Beruf haben mussten, um unser Geld damit zu verdienen und nicht in die Asozialität abzugleiten. Das hatte der Staat sich ja sinnigerweise ausgedacht. Und den bürgerlichen Beruf hatten wir oder ich selbst auch selten ausgeübt. Ich habe mich da immer rausgestohlen, nachdem ich Lehrer gelernt hatte, hatte ich halt den Lehrerberuf nicht angetreten. Und insofern gab es dann immer mit dem Kulturamt oder mit den amtlichen Behörden Ärger und das ging bis zum Spielverbot. Dann haben wir uns der Sache widersetzt, und dann ging es einfach weiter.
Schroeder: Widersetzt heißt einfach: Dennoch gespielt? In Kneipen landauf, landab? In den damals noch angeschlossenen Sälen zumeist?
Leisegang: Genau. Wir hatten ja unsere Verträge auch oft mit Gastwirten, und die haben sich darum wenig geschert, ob wir ein Spielverbot hatten oder nicht. Die haben gesagt: Das ist eure Verantwortung, wenn Ihr hier herkommt und spielt, bitte sehr! Die Türen sind offen!
Schroeder: Wenn es eine Hymne gibt für Keimzeit, dann ist das eindeutig "Kling Klang". Der Text ist aber auch schon in DDR-Zeiten entstanden?
Leisegang: In der Tat!
Schroeder: Und da gab es gar keine Probleme damit? Also: "Bloß hier weg, so weit wie möglich!" - das war ja ein Aufschrei der Massen förmlich. Man hörte es aus den Trabbis raus, die sich 1989 nach Ungarn wälzten ...
Leisegang: Wissen Sie, das war so: Eigentlich durch Defizite und durch Dinge, die ich eben nicht habe, dadurch war ich am meisten angetan, Songs zu schreiben. Und ich bin in den 80ern sehr, sehr viel in den Balkan gereist, ich war in Rumänien, in Ungarn unterwegs, auch in Polen, und hatte aber immer das große Ziel, nach Südamerika zu fahren. Patagonien - so etwas reizte mich sehr. Und da ich das nicht durfte und nicht konnte damals habe ich dann dieses Lied Kling Klang entworfen oder habe scheinbar erstmal unbewusst das verarbeitet, bloß von hier weg, so weit wie möglich. Und auch daran stieß man sich nicht! Dass ich dann doch gewisse Reibungen mit staatlichen Instanzen hatte aufgrund der Texte war, als wir das erste Album aufnahmen. Das "Irrenhaus" von Keimzeit. Da gab es eine Aufpasserin, eine Lektorin, die sagte: Das und das von den Texten müssen wir streichen. Und das und das musst du noch umändern. Das war 1988 und da haben wir sturerweise gesagt: Wir nehmen das Album so auf oder gar nicht. Und dann kam die Zeit 1989, da war es dann sehr, sehr gelockert, da hat man dann einfach davon abgelassen, bestimmte Restriktionen aufzustellen. Und dann war sowieso mit 1989 die Grenze nach Westberlin offen, und da sind wir mit dem Band, mit dem quasi fertig aufgenommenen Album, zu Hansa BMG Music gegangen, und die Leute haben gesagt: Wunderbar! Das nehmen wir sofort auf und haben so das erste Album von Keimzeit produziert und herausgegeben.
Schroeder:Keimzeit sind dann relativ gut über die Wendezeit gekommen, andere Bands aus dem Osten sind regelrecht im Nirwana verschwunden – Keimzeit hat richtig aufgedreht. Vielleicht lag es auch daran, dass Sie einen guten Manager hatten: Günter Baaske, heute Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie in Brandenburg. Der war damals über zehn Jahre Ihr Manager?
Leisegang: Ja, sicherlich. Eine Band, ob nun Keimzeit oder wer auch immer, braucht - aus meiner Sicht - jemanden, der die Sprache der Geschäfte spricht. Und den hatten wir damals gefunden in Günter Baaske, der war eigentlich Lehrer.
Schroeder:... genannt Hugo ...
Leisegang: ... genau, und das war damals glaube ich auch sein Einstieg in die Politik, so dass er eigentlich Keimzeit nebenher managte, was er allerdings sehr, sehr gut tat, und dann aber irgendwann sagte, dass seine politischen Ambitionen so groß sind, dass er nicht mehr weiter managen wird und so haben wir dann Hugo Dietrich, auch ein Hugo, als Manager engagiert.
Schroeder: Zwischen dem ersten Album Irrenhaus von 1990 und dem jetzigen, das vor ein paar Tagen erschienen ist und Kolumbus heißt, liegen wirklich Welten. Musikalisch, textlich. Wie sehen Sie selbst diese Entwicklung über 30 Jahre hinweg?
Leisegang: Da müssen Welten dazwischen liegen. Denn beim ersten Album waren wir so Ende 20, und da hatte ich eine Welt entworfen von eigenen Songs, die sehr naiv waren. Oder inspiriert waren auch von Schlager und Chanson. Und das aktuelle Album - Kolumbus, das zehnte mittlerweile - da kann ich sagen: Mittlerweile sind wir alte Hasen, was den Studiobetrieb betrifft. Wir suchen uns das Studio aus. Wir suchen uns den Produzenten aus. Das ist in diesem Fall Paul Grau, ein Kölner Urgestein, und der hat sein Studio in Andalusien, und so wissen wir genau was wir wollen und wo wir hin wollen.
Schroeder: Sind die Texte Ihrer Lieder hauptsächlich geprägt durch persönliches Empfinden, durch das, was Sie selbst erleben?
Leisegang: Durchaus. Es ist so, dass ich zum einen meine eigene Welt nach außen gebe und sicher mich dadurch sehr therapiere, bestimmte Sachen, die in mir nicht funktionieren oder mit mir nicht funktionieren, die muss ich dann ja irgendwann mal wieder rauswerfen. Und das mache ich dann wahrscheinlich oft in eigenen Songs. Und zum großen Teil allerdings nehme ich das auf, was um mich herum passiert. Ich habe eine sehr lebhafte Band, ich habe Kollegen um mich herum, wo ich mittlerweile merke, wie die ticken, was sie interessiert, ich habe einen Freundeskreis, ich habe Familie, und ich habe mit so einer Tour durch Deutschland, die wir in diesem Jahr vor uns haben, verschiedene Mentalitäten, deutsche Mentalitäten vor meiner Nase, das ist ein großes Feld, da brauche ich mich einfach nur zu bedienen und zu reflektieren.
Schroeder: Gesellschaftlich spannende Momente und Entwicklungen poetisch verfremdet aufzugreifen - ist das einer der wichtigen Grundsätze in Ihrer Textarbeit?
Leisegang: Grundsätze gibt es eigentlich wenige. Möglicherweise nur den Reim. Aber inhaltlich gibt es keine Richtlinien. Ich lasse mich da einfach leiten. Ich nehme die Gitarre, weiß, was klingt, weiß, zu welchen Harmonien welche Melodien gut klingen, und wenn es klingt und wenn es für mich stimmig ist, dann wird ein Song daraus.
Schroeder: Das aktuelle Jahr ist das 30. der Band Keimzeit, ich gehe davon aus, dass das mit einer besonders ausgiebigen Tournee gefeiert wird? In alten wie in neuen Bundesländern?
Leisegang: So haben wir das vor, wir haben 50 oder 60 Konzerte in diesem Jahr und haben schon begonnen. Das Warm-Up war im März, da hatten wir sechs Konzerte, und jetzt sind wir mitten drin und werden bis zu Weihnachten 2012 an die 55 Stationen hinter uns haben.
Norbert Leisegang: Exakt.
Schroeder: Aber heute sind nur noch die Männer an Bord.
Leisegang: So ist es. Die Schwester hat sich Ende der 80er, Anfang der 90er zurückgezogen, weil sie eine Familie gegründet hat, sie hat zwei Kinder, und hat sich danach mehr wieder in ihren Beruf als Kindergärtnerin zurückgezogen und wirkt seither im kommunalen Bereich.
Schroeder: Wie können wir uns das vorstellen damals, 30 Jahre zurückgedacht: Vier Kinder in einer Familie und die Eltern musikalische Vorbilder? Singen alle gemeinsam, trommeln auf Stühlen und spielen den Besenstock als Quasi-Gitarre?
Leisegang: So vielleicht nicht, aber unsere Eltern haben schon massiven Anteil daran, dass wir Kinder sehr musikalisch ausgebildet wurden. Sie legten uns in früher Kindheit schon eine Instrumentenausbildung nahe, ich selbst habe Gitarre gelernt, meine Schwester Akkordeon. Und dann gab es auch die Tradition der Hausmusik, immer zu Weihnachten, zu bestimmten Festtagen wurde natürlich das deutsche Volkslied und das Wanderlied gesungen. Insofern war Familie Leisegang doch schon immer eine sehr, sehr musikalische Familie.
Schroeder: Trotzdem muss es irgendwann einen Knackpunkt gegeben haben, weg vom Volkslied, hin zu eigenen Songs. War das ein schleichender Prozess oder ging das dann von heute auf Morgen?
Leisegang: Der erste Schritt war dann wohl eher: Wir distanzieren uns von der Musik unserer Eltern und machen lieber Rock‘n‘Roll, obwohl es damals nicht Rock‘n‘Roll war, sondern mehr Neue Deutsche Welle. Ich war sehr angetan von Ideal, von Extrabreit Anfang der 80er, man möge sich erinnern, und fand es auch toll, dass da in deutscher Sprache getextet wurde. Und dann auch ganz schroff und ganz einfach, und da habe ich so bei mir gedacht: Das kann ich auch! Und dann habe ich so 1983, 1984 begonnen, eigene Songs zu schreiben.
Schroeder: Extrabreit und andere sind gerade als Vorbild genannt worden, im Osten gab es damals aber Puhdys und Karat. Haben die auch schon eine Rolle gespielt im Gedankenkonstrukt der Familie Leisegang?
Leisegang: Schon mehr die Rolle der Kontraposition. Also alles, was älter damals war als 35 Jahre, das war für uns das Kontra-Lager, und mit denen wollten wir eigentlich nicht so viel zu schaffen haben. Und zum anderen war es auch so, dass meine musikalische Sicht sehr, sehr eingeschränkt war, alles, was aus Deutschland direkt kam, wollte ich nicht haben. Dazu gehörten Puhdys, dazu gehörten dann aber auch die Scorpions und überhaupt deutsche Bands fand ich abstoßend und wollte eigentlich alles, was es an angloamerikanischer Musik gab konsumieren und habe das auch getan.
Schroeder: Das war damals DDR-typischer Blues-Rock mit Texten von Ihnen. Als die Texte zu frech wurden, war auch mal Schluss mit lustig. Sie hatten auch Spielverbot?
Leisegang: Das hat aber weniger - aus meiner jetzigen Sicht - weniger mit meinen Texten zu tun. Denn ich habe damals sehr naiv und sehr einfach getextet. Oder sehr kryptisch. Und Keimzeit war auch in den 80ern ganz und gar keine propagandistische Band, die nun staatsfeindlich sich geoutet hat. Wir wollten einfach gute Partys haben. Und dann gab es da diesen Passus, dass wir eigentlich als Amateurmusiker immer einen vollständigen Beruf haben mussten, um unser Geld damit zu verdienen und nicht in die Asozialität abzugleiten. Das hatte der Staat sich ja sinnigerweise ausgedacht. Und den bürgerlichen Beruf hatten wir oder ich selbst auch selten ausgeübt. Ich habe mich da immer rausgestohlen, nachdem ich Lehrer gelernt hatte, hatte ich halt den Lehrerberuf nicht angetreten. Und insofern gab es dann immer mit dem Kulturamt oder mit den amtlichen Behörden Ärger und das ging bis zum Spielverbot. Dann haben wir uns der Sache widersetzt, und dann ging es einfach weiter.
Schroeder: Widersetzt heißt einfach: Dennoch gespielt? In Kneipen landauf, landab? In den damals noch angeschlossenen Sälen zumeist?
Leisegang: Genau. Wir hatten ja unsere Verträge auch oft mit Gastwirten, und die haben sich darum wenig geschert, ob wir ein Spielverbot hatten oder nicht. Die haben gesagt: Das ist eure Verantwortung, wenn Ihr hier herkommt und spielt, bitte sehr! Die Türen sind offen!
Schroeder: Wenn es eine Hymne gibt für Keimzeit, dann ist das eindeutig "Kling Klang". Der Text ist aber auch schon in DDR-Zeiten entstanden?
Leisegang: In der Tat!
Schroeder: Und da gab es gar keine Probleme damit? Also: "Bloß hier weg, so weit wie möglich!" - das war ja ein Aufschrei der Massen förmlich. Man hörte es aus den Trabbis raus, die sich 1989 nach Ungarn wälzten ...
Leisegang: Wissen Sie, das war so: Eigentlich durch Defizite und durch Dinge, die ich eben nicht habe, dadurch war ich am meisten angetan, Songs zu schreiben. Und ich bin in den 80ern sehr, sehr viel in den Balkan gereist, ich war in Rumänien, in Ungarn unterwegs, auch in Polen, und hatte aber immer das große Ziel, nach Südamerika zu fahren. Patagonien - so etwas reizte mich sehr. Und da ich das nicht durfte und nicht konnte damals habe ich dann dieses Lied Kling Klang entworfen oder habe scheinbar erstmal unbewusst das verarbeitet, bloß von hier weg, so weit wie möglich. Und auch daran stieß man sich nicht! Dass ich dann doch gewisse Reibungen mit staatlichen Instanzen hatte aufgrund der Texte war, als wir das erste Album aufnahmen. Das "Irrenhaus" von Keimzeit. Da gab es eine Aufpasserin, eine Lektorin, die sagte: Das und das von den Texten müssen wir streichen. Und das und das musst du noch umändern. Das war 1988 und da haben wir sturerweise gesagt: Wir nehmen das Album so auf oder gar nicht. Und dann kam die Zeit 1989, da war es dann sehr, sehr gelockert, da hat man dann einfach davon abgelassen, bestimmte Restriktionen aufzustellen. Und dann war sowieso mit 1989 die Grenze nach Westberlin offen, und da sind wir mit dem Band, mit dem quasi fertig aufgenommenen Album, zu Hansa BMG Music gegangen, und die Leute haben gesagt: Wunderbar! Das nehmen wir sofort auf und haben so das erste Album von Keimzeit produziert und herausgegeben.
Schroeder:Keimzeit sind dann relativ gut über die Wendezeit gekommen, andere Bands aus dem Osten sind regelrecht im Nirwana verschwunden – Keimzeit hat richtig aufgedreht. Vielleicht lag es auch daran, dass Sie einen guten Manager hatten: Günter Baaske, heute Minister für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie in Brandenburg. Der war damals über zehn Jahre Ihr Manager?
Leisegang: Ja, sicherlich. Eine Band, ob nun Keimzeit oder wer auch immer, braucht - aus meiner Sicht - jemanden, der die Sprache der Geschäfte spricht. Und den hatten wir damals gefunden in Günter Baaske, der war eigentlich Lehrer.
Schroeder:... genannt Hugo ...
Leisegang: ... genau, und das war damals glaube ich auch sein Einstieg in die Politik, so dass er eigentlich Keimzeit nebenher managte, was er allerdings sehr, sehr gut tat, und dann aber irgendwann sagte, dass seine politischen Ambitionen so groß sind, dass er nicht mehr weiter managen wird und so haben wir dann Hugo Dietrich, auch ein Hugo, als Manager engagiert.
Schroeder: Zwischen dem ersten Album Irrenhaus von 1990 und dem jetzigen, das vor ein paar Tagen erschienen ist und Kolumbus heißt, liegen wirklich Welten. Musikalisch, textlich. Wie sehen Sie selbst diese Entwicklung über 30 Jahre hinweg?
Leisegang: Da müssen Welten dazwischen liegen. Denn beim ersten Album waren wir so Ende 20, und da hatte ich eine Welt entworfen von eigenen Songs, die sehr naiv waren. Oder inspiriert waren auch von Schlager und Chanson. Und das aktuelle Album - Kolumbus, das zehnte mittlerweile - da kann ich sagen: Mittlerweile sind wir alte Hasen, was den Studiobetrieb betrifft. Wir suchen uns das Studio aus. Wir suchen uns den Produzenten aus. Das ist in diesem Fall Paul Grau, ein Kölner Urgestein, und der hat sein Studio in Andalusien, und so wissen wir genau was wir wollen und wo wir hin wollen.
Schroeder: Sind die Texte Ihrer Lieder hauptsächlich geprägt durch persönliches Empfinden, durch das, was Sie selbst erleben?
Leisegang: Durchaus. Es ist so, dass ich zum einen meine eigene Welt nach außen gebe und sicher mich dadurch sehr therapiere, bestimmte Sachen, die in mir nicht funktionieren oder mit mir nicht funktionieren, die muss ich dann ja irgendwann mal wieder rauswerfen. Und das mache ich dann wahrscheinlich oft in eigenen Songs. Und zum großen Teil allerdings nehme ich das auf, was um mich herum passiert. Ich habe eine sehr lebhafte Band, ich habe Kollegen um mich herum, wo ich mittlerweile merke, wie die ticken, was sie interessiert, ich habe einen Freundeskreis, ich habe Familie, und ich habe mit so einer Tour durch Deutschland, die wir in diesem Jahr vor uns haben, verschiedene Mentalitäten, deutsche Mentalitäten vor meiner Nase, das ist ein großes Feld, da brauche ich mich einfach nur zu bedienen und zu reflektieren.
Schroeder: Gesellschaftlich spannende Momente und Entwicklungen poetisch verfremdet aufzugreifen - ist das einer der wichtigen Grundsätze in Ihrer Textarbeit?
Leisegang: Grundsätze gibt es eigentlich wenige. Möglicherweise nur den Reim. Aber inhaltlich gibt es keine Richtlinien. Ich lasse mich da einfach leiten. Ich nehme die Gitarre, weiß, was klingt, weiß, zu welchen Harmonien welche Melodien gut klingen, und wenn es klingt und wenn es für mich stimmig ist, dann wird ein Song daraus.
Schroeder: Das aktuelle Jahr ist das 30. der Band Keimzeit, ich gehe davon aus, dass das mit einer besonders ausgiebigen Tournee gefeiert wird? In alten wie in neuen Bundesländern?
Leisegang: So haben wir das vor, wir haben 50 oder 60 Konzerte in diesem Jahr und haben schon begonnen. Das Warm-Up war im März, da hatten wir sechs Konzerte, und jetzt sind wir mitten drin und werden bis zu Weihnachten 2012 an die 55 Stationen hinter uns haben.