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"Wir zementieren nur die Marktmacht, die Oligopolstellung von vier Energiekonzernen"

Der Bundestagsabgeordnete Oliver Krischer (Bündnis 90/Die Grünen) findet es falsch, den gesellschaftlichen Konflikt um die Atomkraft wieder aufzubrechen. Das Mitglied des Umweltausschusses sieht - trotz vieler Ankündigungen - auch weltweit keine Renaissance der Atomkraft.

Oliver Krischer im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Bei uns im Studio ist Oliver Krischer, Bundestagsabgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Er ist Mitglied des Umweltausschusses, der ja auch die Reaktorsicherheit als Titel im Schilde führt. Guten Tag!

    Oliver Krischer: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Krischer, Atomkraft – wir haben es gerade gehört – ist wieder salonfähig in der Europäischen Union. Haben die Grünen da eine Entwicklung verschlafen?

    Krischer: Ich glaube nicht, dass Atomkraft eine Renaissance erlebt. Was wir erleben in Europa ist eine Renaissance der Ankündigungen. Es gibt viele Ankündigungen über Neubauprojekte, die in der Praxis aber nicht stattfinden, weil man muss einfach zur Kenntnis nehmen, dass neue Atomkraftwerke nur dann überhaupt vorstellbar sind, wenn der Staat, die Öffentlichkeit, die Steuerzahler dafür bürgen. Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen findet nirgendwo auf der Welt der Neubau eines Atomkraftwerkes statt. Deshalb gehe ich nicht davon aus, dass es eine Renaissance der Atomkraft gibt. Was wir erleben ist, dass in einzelnen Ländern diskutiert wird, wie auch jetzt in Deutschland, Laufzeiten zu verlängern. Das ist aber eine Entwicklung, dass die Staaten nicht genug auf erneuerbare Energien setzen. Da könnten sie viel mehr tun. Und wie man das gerade aus Belgien auch gehört hat: Da hat man eine Entwicklung verschlafen und guckt jetzt in Richtung Atomkraft. Das ist natürlich eine Entwicklung, die in Deutschland nicht passieren darf.

    Heinemann: Aus Ihrer Sicht. – die Finnen, die Schweden, die Italiener, die Belgier, sie werden alle keinen einzigen neuen Atommeiler bauen?

    Krischer: In Finnland wird derzeit ein Reaktor gebaut, allerdings ein hoch problematischer Bau, wo es eine Kostenexplosion, lange Zeitverzögerungen gegeben hat, der auch nur deshalb möglich ist, weil der finnische Staat das Ganze absichert, mit Bürgschaften absichert. In Großbritannien, Italien, das sind bisher alles nur Ankündigungen. Konkret passiert dort nichts, genauso wie in den USA. Seit 30 Jahren kündigen verschiedene US-Präsidenten an, dass neue Atomkraftwerke gebaut werden; in der Praxis ist nie etwas passiert. Wo wir tatsächlich Neubauten haben, oder Uraltbaustellen, die verlängert werden, das ist beispielsweise im Iran, wo ja kürzlich eine, seit 30 Jahren im Betrieb befindliche Baustelle vollendet worden ist. Ich denke mal aber, der Iran und andere Länder wie Nordkorea sollten keine Vorbilder für uns sein.

    Heinemann: Aber immerhin: Im europäischen Ausland gehört die Atomenergie zum Energiemix dazu. Alle spinnen, nur die Grünen haben recht?

    Krischer: Nein. Man muss doch einfach sehen, was hier stattfindet. Atomenergie ist nur dann wirtschaftlich, kann nur dann wirtschaftlich betrieben werden, wenn die öffentliche Hand, der Staat das Ganze garantiert. Wir haben nach wie vor …

    Heinemann: Entschuldigung! Das gilt aber doch für andere Energien, die erneuerbaren auch.

    Krischer: Nein. Wir haben hier eine degressiv sinkende Förderung, die deutlich zurückgeht. Wir haben ein erneuerbares Energien-Gesetz, wo eine Einspeisevergütung jährlich sinkt. All das haben wir bei der Atomkraft nicht. Wir haben Milliarden, die in die Atomkraft gesteckt worden sind. Wir haben heute abgeschriebene Atomkraftwerke, die zu billigsten Preisen Strom produzieren können.

    Heinemann: Das ist doch gut!

    Krischer: Ja, ja. Nur die Gewinne kommen nicht den Verbrauchern zugute, sondern sie fließen in die Konzernkassen von RWE, E.ON und Vattenfall.

    Heinemann: Was haben Sie dagegen, dass deutsche Konzerne Geld verdienen?

    Krischer: Ich habe nichts dagegen, dass deutsche Konzerne Geld verdienen. Nur wenn das auf Kosten der Verbraucher und auf Kosten der Allgemeinheit stattfindet, weil wir haben eine ungelöste Atommüllfrage, wir haben viele andere Unternehmen, zum Beispiel Stadtwerke auch hier in Nordrhein-Westfalen, die liebend gerne in neue Kraftwerke, in erneuerbare Energien investieren würden; die können das jetzt nicht, wenn die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden, weil damit die Netze verstopft werden, weil dann die ihren Strom mit neuen, modernen, klimafreundlichen und nachhaltigen Kraftwerken nicht abgesetzt bekommen. Das ist eine völlig falsche Entwicklung.

    Heinemann: Aber erstens, die Unternehmen müssen in den kommenden Jahren erhebliche Summen in die Sicherheit der länger laufenden Atommeiler investieren, und ein guter Teil der Gewinne, die Sie gerade eben kritisiert haben, aus der Laufzeitverlängerung soll eben den erneuerbaren Energien zugutekommen. Also Atomkraft finanziert Windkraft. Grüner geht's doch kaum!

    Krischer: Nein. Das findet ja so in der Weise gar nicht statt. Wir haben eine Brennelementesteuer, so wie ich die Pläne jetzt der Bundesregierung zur Kenntnis nehmen muss, die brutto 2,5 Milliarden in die Staatskasse bringen soll. Die Unternehmen können das noch als Betriebsausgaben absetzen. Das heißt, an anderer Stelle sinken noch mal die Steuerlasten. Wir müssen auf der anderen Seite rechnen, dass die Konzerne 10 Milliarden, 10 Milliarden pro Jahr, 1 Million pro Atomkraftwerk am Tag, an zusätzlichen Einnahmen einnehmen, und das ist deutlich mehr als das, was in die öffentlichen Kassen zurückfließt.

    Heinemann: Aber noch mal: In jedem anderen Land würde man das als Erfolgsmeldung verkaufen. Die Unternehmen verdienen Geld! Das ist doch eine positive Entwicklung.

    Krischer: Ja, aber sie verdienen Geld, weil andere dafür bezahlen, weil wir andere Unternehmen haben, die in Deutschland jetzt nicht investieren können. Wir haben Stadtwerke, wir haben neue Energieunternehmen, die stellen jetzt Milliarden-Investitionen zurück, weil sie nicht investieren können, weil die Netze verstopft werden. Das ist eine völlig falsche Entwicklung. Wir zementieren nur die Marktmacht, die Oligopolstellung von vier Energiekonzernen, und das ist keine Erfolgsmeldung, das ist eine völlig falsche Entwicklung. Und wenn ich dann noch sehe, dass jetzt angekündigt wird, dass die ihre Gewinne aus dieser Atomkraft in erneuerbare Energien investieren – ja, mein Gott, überall, alle Unternehmen sonst in Deutschland investieren ihr Geld in erneuerbare Energien, nur bei den vier Großen muss man dafür Laufzeitverlängerung machen. Warum investiert RWE zum Beispiel 7 Milliarden in neue Kohlekraftwerke und Atomkraftwerke weltweit, aber nur 1 Milliarde in erneuerbare Energien? Warum sieht das nicht umgekehrt aus? Dafür habe ich kein Verständnis.

    Heinemann: Müssen wir dann RWE mal fragen. Herr Krischer, Sie sind ein junger Mann. Ob jetzt die Kraftwerke 2023 oder 2035 abgeschaltet werden, Sie werden, so Gott will, beides noch erleben, beide Daten oder beide Endlaufzeiten. Sie haben gerade eben noch mal darauf hingewiesen, dass die Atomkraft mit vielen Milliarden öffentlicher Gelder gefördert wurde. Insofern wäre es doch wirtschaftlich zu sagen, okay, wir lassen die dann auslaufen – jeder sagt ja, es ist eine Brückentechnologie, es läuft aus -, aber lassen sie eben auf unserem Sicherheitsstandard einfach 10, 12, 15 Jahre noch länger laufen.

    Krischer: Erst mal ist es keine Brückentechnologie, weil es ist keine Brücke, sondern eine Mauer ins Zeitalter der erneuerbaren Energien, weil die Atomkraft die Netze verstopft, weil damit erneuerbare Energien einfach nicht rein können.

    Heinemann: Sieht zum Beispiel – Entschuldigung! – die Internationale Energieagentur in Paris auch anders. Die sagen, Atomenergie gehört zum Energiemix, wenn man zum Beispiel die Klimaziele erreichen möchte.

    Krischer: Ja. Da könnte ich jetzt zum Beispiel den Sachverständigenrat für Umweltfragen nehmen, viele andere Gutachten. Auch zum Beispiel das kürzlich von der Bundesregierung vorgestellte Gutachten sagt sehr wohl und weist sehr wohl nach, dass es da einen Systemkonflikt gibt, weil es gibt einfach nur eine beschränkte Menge von Strom, den man absetzen kann. Deutschland ist in den letzten Jahren immer Stromexportland gewesen. Das heißt, wir haben ins Ausland Strom exportiert, obwohl ein Großteil der Atomkraftwerke wegen Sicherheitsmängeln stillgestanden hat. Das zeigt einfach, die Atomkraftwerke sind nicht notwendig. Und wenn wir jetzt diese weiter und länger als notwendig betreiben, dann verstopft das die Netze, und das ist eine Entwicklung, die die Erneuerbaren bremst. Und wir müssen einfach auch bedenken: diese Atomkraftwerke verursachen jeden Tag, den sie länger laufen, neue Folgekosten in Form von Atommüll, für den wir keine Lösung haben und der Riesenkosten finanzieren muss, kosten wird, die unsere Kinder und Enkel werden zahlen müssen. Das ist eine Folge, das sind Kosten, die weder Frau Merkel noch ich noch sonst wer wird tragen müssen, sondern die wir auf den kommenden Generationen ablagern, und das kann keine richtige Entwicklung sein. Deshalb sagen wir, Schluss mit der Atomkraft so schnell, wie es geht und stattdessen in die erneuerbaren Energien. Da haben wir Potenziale, da ist Deutschland Marktführer, da gibt es im Übrigen auch ein Vielfaches von Arbeitsplätzen im Vergleich zur Atomkraft, da ist eigentlich die wirtschaftliche Zukunft der Energiewirtschaft in Deutschland.

    Heinemann: Das was Sie gerade gesagt haben, wissen natürlich auch die Franzosen, die Briten, die Finnen, die Italiener und die Schweden, alle diejenigen, die jetzt wieder (ob als Ankündigung, oder real existierend) Atomkraftwerke bauen wollen. Deshalb die Frage: Wieso entlädt sich beim Thema Atomkraft in Deutschland nicht nur Energie, sondern auch so viel Ideologie?

    Krischer: Ich glaube, es ist keine Ideologie. Wir haben hier eine grundsätzliche Frage, wo will man in unserem Energiesystem in Zukunft hin. Und wenn man sich zu einer Vollversorgung mit erneuerbaren Energien wenden will, was inzwischen alle Parteien in Deutschland konsensual sagen, dann ist es einfach so, dass sie nicht Laufzeiten verlängern können, weil damit blockieren sie die erneuerbaren Energien, den Ausbau. Ich würde mir auch wünschen, die Bundesregierung würde sich statt um die Laufzeiten von Atomkraft, wo wir ja, egal wie man dazu steht, einen gesellschaftlichen Konflikt wieder aufbrechen, der eigentlich beigelegt war, weil wir werden diesen Herbst, egal was die Grünen oder die SPD oder wer auch immer dazu sagt, heftige Auseinandersetzungen über dieses Thema haben. Deshalb finde ich es falsch, dass man diesen Konflikt jetzt wieder aufbricht. Wir sollten uns stattdessen um die Themen kümmern, wo tatsächlich Konsens herrscht. Das ist zum Beispiel beim Ausbau der Erneuerbaren, das ist zum Beispiel bei der energetischen Gebäudesanierung, oder etwa beim Ausbau der Kraftwärmekopplung. All das sind Themen, wo man gut vorankommen könnte, ohne dass man irgendwelche Laufzeiten von Atomkraftwerken verlängern muss, die dann tatsächlich die gesellschaftlichen Konflikte in Deutschland wieder aufbrechen.

    Heinemann: Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Umweltausschusses des Hohen Hauses. Danke schön für Ihren Besuch!

    Krischer: Danke schön.

    Weitere Informationen zum Thema auf DRadio.de:
    Merkel lobt Energiekonzept als "Revolution" - Regierung zeigt sich zufrieden mit Atomkompromiss, Kritik von Opposition, Schwerpunkt vom 6.9.2010