Gäb betonte aber, es sei schwer zu bewerten, was genau sich im Gespräch zwischen der "New York Times" und der Vorsitzenden der Russischen Anti-Doping-Agentur Rusada, Anna Anzeliowitsch, abgespielt habe. Die US-Zeitung berichtete am späten Dienstagabend, dass es erstmals ein Geständnis aus Russland gibt. Doch dann folgten die Dementis - von Rusada und dem Kreml.
"Es ist ja ganz ungewöhnlich, dass eine Zeitung von Weltrang wie die 'New York Times' aus einem solchen Gespräch veröffentlicht, ohne Dokumente für das Gedruckte zu haben, ohne Nachweise, dass etwas wirklich gesagt wurde. Es müsste ein Gespräch unter Zeugen gewesen sein oder es müsste ein Gespräch mit einer Tonbandaufzeichnung gewesen sein", sagte Gäb im Deutschlandfunk.
Eine Erklärung der US-Zeitung sei dringend fällig. Denn, so Gäb, ohne Beweise wäre das Blatt in einer schwierigen Situation. "Das wäre dann eine Angelegenheit, die dem Sport gar nicht geholfen hat", sagte der einstige Spitzenfunktionär.
Kein Umdenken erkennbar
Gäb betonte, das gesamte russische System habe angefangen von Putin an dieser Lüge festgehalten. Es sei auch nicht das System einer Diktatur, solche Eingeständnisse zu machen. Er glaube nicht, dass sich der russische Sport, der von oben bis unten verseucht sei, in wenigen Monaten geändert habe. "Aus den Reihen der Aktiven und den Kennern des russichen Sports gibt es bisher keine Signale, die wirklich glauben lassen, dass sich die Lage in Russland alleine von der Einstellung her, geändert hätte", so Gäb.
Mit Blick auf Deutschland kritisierte Gäb, dass hierzulande ausgeführt werde, was IOC-Präsident Thomas Bach denke. Von Eigenständigkeit in der Bewertung könne nicht die Rede sein. Das Schweigen, auch der deutschen Funktionäre, sei erschütternd.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Die Beweislast gegen Russland ist erdrückend, und so lobte mancher Beobachter hierzulande schon das erste Eingeständnis systematischer, politisch gelenkter Manipulation im Spitzensport. Doch dann folgte rasch das Dementi aus Moskau, institutionelle Verschwörung – da seien die Worte der Chefin der Anti-Doping-Agentur Rusada verfälscht wiedergegeben worden und aus dem Zusammenhang gerissen, erklärte Rusada, bevor dann auch der Kreml die Glaubwürdigkeit des Zeitungsartikels der "New York Times". Am Telefon ist Hans-Wilhelm Gäb, Ehrenpräsident der Deutschen Sporthilfe. Schönen guten Morgen, Herr Gäb!
Hans-Wilhelm Gäb: Guten Morgen, Herr Barenberg!
Barenberg: Herr Gäb, welchen Reim machen Sie sich auf das Hin und Her, das wir gestern in Moskau erlebt haben?
Gäb: Ich denke, das ist zumindest ein Zeichen von Verunsicherung. Der Druck aus den internationalen Sportverbänden – leider wohl kaum aus dem IOC – ist groß, und das Thema ist in Russland nicht mehr vom Tisch zu bekommen. Aber was sich da tatsächlich im Gespräch zwischen der Rusada und der "New York Times" abgespielt hat, ist schwierig zu bewerten. Es ist ja ganz ungewöhnlich, dass eine Zeitung von Weltrang wie die "New York Times" ein solches Gespräch oder aus einem solchen Gespräch veröffentlicht, ohne Dokumente für das Gedruckte zu haben, ohne Nachweise, dass etwas wirklich gesagt wurde. Es müsste ein Gespräch unter Zeugen gewesen sein, oder es müsste ein Gespräch mit einer Tonbandaufzeichnung gewesen sein. Die "New York Times" hat sich bisher nicht geäußert, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass der Vorwurf der Russen, man habe hier verfälscht und den wirklichen Wortlaut von Erklärungen völlig verdreht, dass die das auf sich sitzen lässt. Also, was fällig ist, ist eine Erklärung aus New York, und da sind wir sehr gespannt.
Barenberg: Die Autorin immerhin gibt ja bekannt, dass sie auf den Aussagen so besteht, dass die so gefallen sind, und dass sie das auch mit anderen Funktionären und Sportlern aus Russland sozusagen überprüft hat und da auch entsprechende Signale bekommen hat. Sie bleibt also sozusagen im Wesentlichen bei dem Zitat. Nun haben einige ja gesagt, das sei so etwas wie ein erstes Entgegenkommen Russlands, ein Signal, dass man zumindest die Fakten nicht mehr länger ignorieren würde. Haben Sie da Hoffnung, dass es dahin kommt?
Gäb: Da bin ich sehr skeptisch, denn das gesamte russische Regime hat sich ja an dieser Unwahrheit, an dieser Lüge festgehalten, angefangen von Putin. Und es ist eigentlich nicht das System einer Diktatur, und leider muss man ja in Russland von einer Diktatur sprechen, solche Eingeständnisse zu machen. Wenn das so wäre, dann würde man eine solche Verlautbarung wahrscheinlich gegenüber dem IOC machen, damit das IOC sein Gesicht wahren kann, denn das ist in dieser Angelegenheit ja natürlich wieder mal in der schlimmsten Position, weil es sich nicht eindeutig für Recht und Ordnung und die Integrität im Sport entscheiden kann.
Putin hat eingeräumt, dass es Doping in Russland gebe
Barenberg: Gäbe es denn auch einen Weg, sagen wir mal ohne ein öffentliches Eingeständnis, jetzt mal utopisch gedacht, des Präsidenten selber, einen guten Schritt voranzukommen in dieser Angelegenheit?
Gäb: Es gibt bisher aus den Reihen der Aktiven und der intimen Kenner des russischen Sports keine Signale, die wirklich glauben lassen, dass sich die Lage in Russland allein von der Einstellung her geändert hätte. Wir haben Frau Stepanowa gehört vor wenigen Tagen in Berlin, oder genauer gesagt, am 6. Dezember in Berlin, da ist sie gefragt worden, ob sie glaube, dass sich mittlerweile in Russland ein Umdenken angekündigt hat und erkennbar ist. Und das hat sie mit einem glatten Nein beantwortet. Und ich kann mir nicht denken, dass die Stepanowas daran interessiert sind, das Verhältnis zum russischen Staat und zu Russland, was ja ohnehin für sie eine kritische Situation herbeigeführt hat, dass sie das verschärfen wollen.
Barenberg: Julia Stepanowa, die russische Sprinterin, die diesen Skandal ja mit ihren Enthüllungen mit ins Rollen gebracht hat – Wladimir Putin, der russische Präsident, hat ja im Juli die Gründung einer neuen Anti-Doping-Kommission in Russland angeordnet. Er räumt ja auch ein, dass es Doping in Russland gibt, wie es Doping auch in anderen Staaten gebe. Was reicht sozusagen an dieser Position noch nicht aus, um wirklich voranzukommen?
Gäb: Es wäre notwendig, dass sich die wirklich Verantwortlichen des russischen Sports dazu mal äußern. Aber angefangen von Herrn Mutkow, der jetzt im Kabinett von Herrn Putin sitzt an ganz einflussreicher Stelle, der ja auch in der FIFA eine wichtige Rolle spielt, hat ja niemand von denen, die den russischen Sport kontrollieren, bisher eine Erklärung abgegeben. Im Gegenteil, da sind verbissene Dementis gekommen. Und insofern muss man eben abwarten, was legt die "New York Times" an Beweisen vor. Wenn die "New York Times" keine Beweise hat, ist das Blatt in einer schwierigen Situation, und dann wäre das also eine Angelegenheit und eine Aktion gewesen, die dem Sport wiederum gar nicht geholfen hat.
Es sind zu wenig Fakten bekannt
Barenberg: Aber für den Augenblick rechnen Sie weiter damit, dass es bei dieser, Wagenburgmentalität nenne ich es mal, in Moskau bleibt?
Gäb: Ja. Ich kann nicht ganz seriös bewerten und nicht ein sicheres Urteil abgeben, weil zu wenig Fakten bekannt sind. Aber nach den bisherigen Erfahrungen bin ich skeptisch, ob der russische Sport, der also von oben bis unten verseucht war von dieser Mentalität, und wo also die leitenden Mediziner mit den russischen Sportlern beratende Gespräche über die Konsequenzen und die Verheimlichung von Doping geführt haben, dass der sich innerhalb von wenigen Monaten ändert. Es gibt dafür bisher jedenfalls keine klaren Kennzeichen.
Barenberg: Nun hat Russland ja schon einige Sportveranstaltungen, hochrangige Sportveranstaltungen verloren beziehungsweise die wurden Russland entzogen als Folge dieses Skandals. Sollte das jetzt so weitergehen, sollten auch weitere Veranstaltungen in Russland abgesagt werden oder Russland entzogen werden oder gar nicht erst nach Russland vergeben werden?
Gäb: Meine Hoffnung ist, dass die Athleten in den einzelnen Sportverbänden, dass die also ihren nationalen Verbänden gegenüber deutlich werden und sagen, wir wollen gegen Sportler, die nicht sauber sind, nicht antreten, und wir sind es leid. Da gibt es ja in einigen Wintersportverbänden vor allem klare Anzeichen dafür. Und daraus entsteht ein Druck, der für die Russen unangenehm ist. Ob das aber in die Profisportarten reingeht – und ich denke an die Fußballweltmeisterschaft in Russland –, das ist ja mehr als fraglich, denn hier sind die kommerziellen Interessen so groß auf allen Seiten, dass man da von diesem Thema gern verschont bleiben möchte.
Barenberg: Gehört die Fußball-WM 2018 nach Russland?
Gäb: Na ja, wenn man das von einem moralischen Standpunkt aus betrachtet, dann müsste man sagen, nein. Aber man ist leider im internationalen Sport da, wo das große Geld herrscht – was ja nicht in allen Sportarten der Fall ist –, ist man gewohnt, dass sich dem Geld und der politischen Macht alles unterordnet. Und insofern glaube ich auch nicht, dass diese riesige Sportveranstaltung Russland entzogen wird.
Das Schweigen ist erschütternd
Barenberg: Wenn die Situation so ist und es keine Aussichten gibt, dass das noch mal in Frage gestellt wird, die Fußball-WM in Russland 2018, verstehen Sie dann viele Menschen, die abwinken und sich abwenden und sagen, da wird sowieso nichts Positives mehr passieren?
Gäb: Ja, ich verstehe die Resignation von vielen Sportanhängern. Aber es ist umso notwendiger, deutlich zu sein, wenn man die Möglichkeit hat, zu den Themen zu sprechen. Und diejenigen, die politische Verantwortung im Sport haben und heute aktiv sind, die haben einfach die Verpflichtung, wenn sie ihre eigene Sache bewahren und erhalten wollen, deutlicher zu werden als bisher. Das Schweigen auch innerhalb der deutschen Funktionäre ist ja manchmal doch erschütternd.
Barenberg: Wen sehen Sie da in erster Linie in der Pflicht?
Gäb: Ich habe mich ja über die Führung des DOSB und über seinen Präsidenten Hörmann geäußert. Der Vorstandsvorsitzende des DOSB, Michael Vesper, schließt sich da an. Hier praktiziert man und führt man aus, was Thomas Bach als IOC-Chef denkt, und von Eigenständigkeit in der Bewertung kann bisher da keine Rede sein.
Barenberg: Hans-Wilhelm Gäb, der Ehrenpräsident der Deutschen Sporthilfe heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen!
Gäb: Ich danke Ihnen, Herr Barenberg!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.