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Wirbelsturm Hayan
Sparen für den Wiederaufbau

Vor einem Jahr ist der Taifun Haiyan über die Philippinen hinweggefegt. Besonders betroffen war die Insel Leyte, eine der ärmsten Regionen der Philippinen. Da der Wiederaufbau dort nur langsam vorankommt, haben die Menschen ein System entwickelt, sich selbst zu helfen. Und das ist fest in Frauenhand.

Von Aglaia Dane |
    Alle sind pünktlich, alle sitzen ordentlich im Stuhl-Kreis, keiner lacht. Das sind die Regeln. Und wer dagegen verstößt – zum Beispiel zu spät kommt oder kichert – muss fünf Pesos zahle, umgerechnet knapp zehn Cent. Disziplin wird hochgehalten in der Spargruppe. Doch bevor es ums Geschäft geht, werden erst einmal die Hände gefaltet. Leyte ist eine sehr katholische Gegend.
    Dann packt der Vorstand der Spargruppe – vier Frauen an einem langen Tisch – die Kasse aus.
    Eine graue Metallschatulle. Darin: Bilanzhefte, Taschenrechner, bunte Stoffbeutel, in denen die Einlagen gesammelt werden, kleine blaue Schälchen, in die die Sparerinnen gleich ihre Münzen und Scheine legen. Das Einzahlen verläuft nach einer strengen Abfolge.
    Die Sitzungsleiterin ruft jede Frau einzeln auf. Die geht nach vorne, übergibt ihr Geld. Die Leiterin ruft die Summe in die Runde, die Buchführerin und die Kassenwärterin wiederholen die Zahl. Alles im Sinne der Transparenz. Als Erstes wird für den Sozialfonds gesammelt. Das ist ein Topf für Notfälle. Die Gruppe entscheidet gemeinsam, wann er angetastet wird. Gute Gründe sind: Hunger, Krankheit, Arbeitslosigkeit – oder eben eine Naturkatastrophe, so wie der Taifun Haiyan.
    Vor einem Jahr ist der Wirbelsturm über die Insel Leyte hinweg gezogen, insgesamt trifft er die Region drei Mal. Die 28-jährige Wyne Tupaz, sie ist eine der Zählerinnen in der Gruppe, suchte damals Schutz in der Dorfkirche.
    "Wir waren zehn Familien in der Kirche, alle mit Kindern. Wir dachten erst, dass wir hier sicher sind. Wir hatten die Türen und Glasfenster verbarrikadiert. Aber wir wussten nicht, dass der Taifun so stark werden würde. Alle Fenster sind zerbrochen. Wir haben einfach nur unsere Kinder mit Kokos-Matten abgedeckt, damit sie sich nicht an den Scherben verletzten. Kokos-Palmen sind auf die Kirche gefallen. Das war der Moment, als wir dachten, das ist das Ende der Welt."
    Totale Zerstörung
    Danach war alles zerstört: Wohnhütten, die Coca-Cola-Fabrik, ein großer Arbeitgeber, den es jetzt nicht mehr gibt, Kokos-Nuss-Plantagen und auch die Reisfelder. Der zweifachen Mutter kommen die Tränen, als sie sich erinnert.
    "Wir hatten fast eine Woche lang kein Wasser und keine Lebensmittel – nur die heruntergefallenen Kokosnüsse und Mangos. Wir leben hier ja ein wenig abgelegen, deshalb kam keine Hilfe an.
    Wir haben dann in der Spargruppe entschieden: Wir gehen an das Geld vom Sozial-Fonds und kaufen Lebensmittel. Zwei Läden hatten inzwischen wieder geöffnet. So konnten wir wenigstens Reis kaufen."
    Haiyan war zwar der bisher stärkste Wirbelsturm, den die Menschen hier erlebt haben. Aber Taifune gibt es hier oft, fast einmal im Monat. Wenn dann Häuser zerstört und Ernten vernichtet werden, stehen die Menschen vor dem nichts. Ihr Einkommen reicht gerade für das tägliche Leben. Für herkömmliche Banken sind sie damit uninteressant. Doch in der Spargruppe haben sie die Möglichkeit, mit Mini-Beträgen Rücklagen aufzubauen – und auch Kredite aufzunehmen.
    Das System ist simpel. Jede Frau kann Anteile kaufen. Ein Anteil kostet 200 Pesos, also etwa 3,50 Euro. Wer also fünf Anteile zusammen hat, darf sich Geld leihen – maximal das Doppelte der Einzahlsumme. Wyne Tupaz hat das getan.
    "Ich habe einen Kredit aufgenommen, um Lebensmittel zu kaufen und Essen zu kochen. Das habe ich dann an die Nachbarn verkauft – es war ein kleines Geschäft. So ist Stück für Stück wieder Geld reingekommen. Ich konnte dann irgendwann Holz und Nägel kaufen, um das Haus wiederaufzubauen. Außerdem musste ich dringend Medikamente kaufen. Meine Tochter hat Asthma."
    Griselda Lastimado, die Sparerin mit der Nummer drei um den Hals, hat mit dem Kredit ihren Dorfladen repariert und neue Waren gekauft. Jetzt, ein Jahr später, ist der Kredit schon lange wieder abbezahlt. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem Laden, umsäumt von Palmen und Bananen-Stauden, tagt die Spargruppe an jedem Samstag – so wie heute. Nach knapp einer Stunde ist das Geld eingezahlt, sind die Beträge durchgezählt und die Kasse wird wieder abgeschlossen.
    "Wir helfen uns hier gegenseitig"
    Die meisten Frauen bleiben aber noch. Denn jetzt beginnt der nicht-offizielle Teil – der fast genauso wichtig ist, findet Wyne Tupaz.
    "Gerade nach dem Taifun war es richtig gut, dass wir diese Gruppe hatten. Wir konnten darüber reden, was wir erlebt hatten – über die Angst. Und wir haben über unsere Probleme gesprochen. Und manchmal hatte eine aus der Gruppe eine Idee, wie man das Problem lösen könnte. Wir helfen uns viel gegenseitig."
    Und endlich kann gelacht werden – ohne Fünf-Peso-Strafen. Aber warum sind hier eigentlich nur Frauen? Wir haben auch zwei Männer in der Gruppe, erklärt Wyne Tupaz, die sind aber gerade auf dem Feld. Sie betont: Dass die Frauen in der Überzahl sind, hat nichts mit Misstrauen zu tun. Sie ist überzeugt, dass ihr Mann genauso gut mit Geld umgehen kann wie sie – oder, meint sie lächelnd, zumindest fast genauso gut.