Der in einen Milliardenskandal verstrickte Zahlungsdienstleister Wirecard ist pleite. Wie zuvor vom Vorstand bereits angekündigt, reichte das Unternehmen einen Insolvenzantrag ein. Das teilte das Amtsgericht München mit. Kern des Skandals sind vermeintliche Umsätze des Unternehmens im Südostasien-Geschäft, die es wahrscheinlich so nie gegeben hat.
Zu Beginn der Woche musste Wirecard eingestehen, dass 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf philippinischen Treuhandkonten lagern sollten, mit "überwiegender Wahrscheinlichkeit" nicht existieren. Dem langjährigen Vorstandschef Markus Braun, der am vergangenen Freitag zurückgetreten ist, wirft die Staatsanwaltschaft Bilanzfälschung vor. Der langjährige Bilanzprüfer von Wirecard, EY (ehemals Ernst & Young), rechtfertigte sich damit, dass dieser weltumspannende Betrugsfall selbst mit den besten und aufwendigsten Prüfmethoden nicht hätte aufgedeckt werden können.
Viele Fragen offen
Nun müsste überprüft werden, ob EY wirklich genau hingeschaut habe, sagte der Wirtschaftsprüfer Hans Marschdorf im Dlf. Marschdorf, der für Firmen und Regierungen Betrugsfälle in Europa, Kanada und den USA untersucht, sieht in jeden Fall Versäumnisse bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFIn). Die hatte nach außergewöhnlichen Kursstürzen der Wirecard-Aktie im Jahr 2019 lediglich untersucht, ob illegale Manöver von Börsenspekulanten dafür verantwortlich waren.
Silke Hahne: Herr Marschdorf, die Sachlage ist sehr komplex. Wo fängt man da als Ermittler, als Prüfer, mit den Aufräumarbeiten an?
Hans Marschdorf: Wir wissen ja im Moment aus der Presse, dass der Fehlbestand, dass der Bargeldfehlbestand in einem Anderkonto oder in mehreren Anderkonten besteht, und da fragt man sich jetzt zunächst mal: Gibt es eigentlich diese Anderkonten überhaupt? Und wenn ja, wie viel Geld befindet sich im Moment noch dort? Das heißt, im Prinzip wird das Pferd in solchen Fällen am besten von hinten aufgezäumt.
Es fragt sich ja zunächst mal: Wurden denn diese 1,9 Milliarden Euro jemals eingezahlt, und wenn ja, wer hat denn das Geld dann abgehoben? Wenn aber nicht, dann fragt man sich natürlich, warum ist es nicht auf diesen Anderkonten angekommen? Man fragt sich also dann, wurde das Geld auf ein ganz anderes Konto eingezahlt zum Beispiel? Man sucht dann einfach, wo ist das Geld hingekommen, und wo ist es dann hingekommen?
Wenn es aber nicht so ist, wenn also das Geld nicht auf ein ganz anderes Konto eingezahlt wurde, dann wird man sich im Detail die Umsatzgeschäfte anschauen müssen: Gab es eigentlich diese vermeintlich verkauften Transaktionsbündel überhaupt? Wer waren die Vertragspartner, und wie hoch ist nach deren Aussagen das Transaktionsvolumen?
"Die Prüfer hätten sich das genau anschauen müssen"
Hahne: Jetzt ist das Kind ja schon in den Brunnen gefallen, und diese Drittkonten, diese Drittgesellschaften, mit denen da in Südostasien Geschäfte gemacht wurden oder auch nicht, die standen ja für einen wichtigen Teil des angeblichen Geschäfts von Wirecard insgesamt. Wessen Aufgabe wäre es denn gewesen, sich die vielleicht auch schon vorher mal anzugucken?
Marschdorf: Natürlich ist in erster Linie immer mal das Management verantwortlich, aber Abschlussprüfer, Wirtschaftsprüfer haben natürlich eine besondere Verantwortung im Hinblick auf die Verifizierung solcher Transaktionen, insbesondere wenn sie sich in diesem Ausmaß bewegen. 1,9 Milliarden dürfte für die meisten Unternehmensabschlüsse wesentlich sein und erfordern dann natürlich auch besondere Aufmerksamkeit. Das heißt, man kann durchaus sagen, die Prüfer hätten sich das eigentlich auch genau anschauen müssen.
Das können natürlich insbesondere international operierende Wirtschaftsprüfungsgesellschaften gut, weil sie ja auch in vielen Ländern vertreten sind. Dann hätte die Abschlussprüfungsgesellschaft Ernst & Young eben auf ihre Schwestergesellschaft auf den Philippinen zurückgreifen können und da ja einfach jemanden hinschicken können. Das ist relativ leicht. Ich selbst hab früher in einer der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften eine forensische Abteilung geleitet und kann Ihnen sagen, das ist wirklich leicht, einen Kollegen auf den Philippinen anzurufen und zu sagen: Geh doch mal da hin, mach einen Termin und unterhalte dich über diesen Sachverhalt.
Hahne: Das heißt, das ist ein Versagen von der Prüfungsgesellschaft an dieser Stelle, ganz eindeutig.
Marschdorf: Wir wissen ja nicht, ob sie das gemacht haben und möglicherweise belogen wurden. Wenn sie also jemanden da hingeschickt haben zum Beispiel, und es wurde dann eben glaubhaft versichert und gezeigt, dass diese Konten existieren, das heißt, wenn es da unten auch Mittäter gab zum Beispiel, dann werden die Prüfer natürlich sich darauf auch beziehen – wohl dann auch in dem Fall zu Recht. Die Frage ist wirklich, haben sie es überhaupt gemacht?
Perspektive der BaFin war beschränkt
Hahne: Der BaFin-Chef Felix Hufeld hat sich ja auch sehr selbstkritisch gegeben, und ja, die BaFin hat trotz Medienberichten vor allem in der "Financial Times" offenbar auch sehr spät erst eingegriffen in diesen Fall. Welches Versagen liegt hier auch bei den Behörden?
Marschdorf: Der Eindruck ist hier, dass man den Überbringer der schlechten Nachrichten erst mal gelyncht hat, anstatt sich auf die Substanz der schlechten Nachrichten zu fokussieren und zu schauen, ob es tatsächlich schlechte Nachrichten waren. Das, glaube ich, ist ein wesentlicher Fehler. Natürlich hat man sich daran aufgehangen, dass es Short-Teller gab oder vermutlich gegeben hat. Die hätten dann oder haben dann ja auch an dem Kollaps der Aktien viel Geld verdient. Das ist vielleicht irgendwo nicht unbedingt wünschenswert, aber einfach nur den Überbringer der Nachricht zu bestrafen und sich nicht anzuschauen, ob man hier Spreu oder Weizen hat, das ist ein großer Fehler.
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