Nach dem milliardenschweren Bilanzskandal beim Dax-Unternehmen Wirecard will Bundesfinanzminister Olaf Scholz die Finanzaufsicht stärken und auch Wirtschaftsprüfer schärfer kontrollieren. Der Entwurf eines Aktionsplans sieht für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) unter anderem ein Sonderprüfungsrecht und die Möglichkeit forensischer Prüfungen vor. Forensische und auch polizeiliche Ermittlungsverfahren hatte der Grünen-Finanzpolitiker Danyal Bayaz bereits am 17. Juli im Deutschlandfunk gefordert.
Mit dem Engagement des Finanzministers hat sich Bayaz im Dlf nun überwiegend zufrieden gezeigt. Er kenne den Vorschlag bisher zwar nur aus der Zeitung, doch Scholz lege sich mächtig ins Zeug. Es gebe allerdings auch nach wie vor viele Fragen an den Finanzminister, was in dem Fall schief gelaufen sei. Es müsse darum gehen, "die Aufklärung zu 100 Prozent lückenlos vorantreiben."
Möglicherweise sei dazu auch ein Untersuchungsausschuss sinnvoll. Ob dieser nötig sei oder nicht, sei unabhängig von den Reformbestrebungen des Finanzministers. Bei den Aufklärungen habe Scholz und auch die restliche Bundesregierung zu wenig Engagement gezeigt. Die Aufklärung der Vorgänge müsse aber die Basis für Reformen sein.
Die Reform müsse dazu führen, dass sich die Aufsicht nicht mehr hinter Paragrafen verstecken könne, dass sie die Zuständigkeit nicht gehabt habe. Es brauche eine Finanzaufsicht mit Kompetenzen, wie sie die US-amerikanische Börsenaufsicht hat. Kontrolleure müssten vor Ort gehen und dort "jeden Stein umdrehen können". Zudem brauche es auch eine internationale Vernetzung.
Auch Reformen bei der Wirtschaftsprüfung
Es gebe zudem großen Reformbedarf bei Wirtschaftsprüfern. Es brauche mehr Rotationen, damit nicht immer dieselben Prüfer, dieselben Unternehmen prüfen. Zudem müsse es striktere Trennungen zwischen Beratungsangeboten und Prüfungen geben.
Auch zur staatlichen Aufsicht über die Prüfer von Jahresabschlüssen hat Scholz bereits Vorschläge vorgelegt. Es solle Prüfungen "in größerem Maße auch ohne Anlass und risikobezogen" geben. Alle "Unternehmen von öffentlichem Interesse" sollen verpflichtet werden, ihre Abschlussprüfer spätestens nach zehn Jahren zu wechseln: "Wir werden zudem die Trennung von Prüfung und Beratung bei diesen Unternehmen verschärfen."
Auch Hilfestellungen für Whistleblower sind im Gespräch. Das sei nicht falsch, sagte Bayaz im Dlf. Allerdings solle man nicht vergessen, dass in dem konkreten Fall zahlreiche Hinweise auf kriminelle Aktivitäten öffentlich einsehbar waren, beispielsweise in zahlreichen Berichten der "Financial Times". Diesen Hinweisen hätten die politisch Verantwortlichen und auch die Aufsicht viel ernster nachgehen müssen.
Das vollständige Interview im Wortlaut:
Christoph Heinemann: Herr Bayaz, reicht das, was Olaf Scholz plant?
Danyal Bayaz: Das ist ein bisschen schwer zu sagen, weil ich als Parlamentarier über diesen Vorschlag des Finanzministers auch aus der Zeitung erfahren habe wie Sie. Uns liegt dieses Dokument bislang nicht vor. Das was ich da lese, das was ich auch bei Ihnen eben im Beitrag gehört habe, das deutet schon mal in die richtige Richtung.
Aber eins ist an der Stelle, glaube ich, auch ganz wichtig zu sagen: Herr Scholz legt sich bei dieser Fehlerkorrektur jetzt ordentlich ins Zeug. Das hätten wir auch erwartet bei der Aufklärung um den Wirecard-Skandal. Und wenn man etwas korrigieren möchte, dann will man ja auch genau wissen, wo und warum und wie konnten diese Fehler überhaupt erst passieren, und erst dann sind wir in der Lage, die Finanzaufsicht und die Wirtschaftsprüfung so aufzustellen, dass der nächste Betrug verhindert wird. Aufklärung und Reformen, die müssen Hand in Hand gehen und das gehört zusammen.
Scholz will nach Wirecard-Skandal Finanzaufsicht stärken (03:11)
Bundesfinanzminister Olaf Scholz zieht laut einem Medienbericht Konsequenzen aus dem milliardenschweren Wirecard-Bilanzskandal. Er schlage 16 Maßnahmen zur stärkeren Kontrolle des Finanzsektors vor, berichtete die "Süddeutsche Zeitung". Entsprechende Gesetze sollen demnach bis zum Frühling 2021 verabschiedet werden.
Heinemann: Was muss vor allem geändert werden?
Bayaz: Wir sind wie gesagt in der Situation, wo wir noch sehr viele Fragen an den Finanzminister haben, was bei Wirecard schiefgelaufen ist. Aber worauf es doch hindeutet ist, dass wir eine Finanzaufsicht brauchen, die mit Kompetenzen ausgestattet werden muss wie beispielsweise die amerikanische Börsenaufsicht. Das heißt forensische Mittel, das heißt sogar polizeiliche Ermittlungsinstrumente. Wenn ein Vorwurf im Raum steht oder es Verdachtsmomente gibt, wie es bei Wirecard ja lange der Fall gewesen ist, dass dann die Behörde auch dort hingehen kann und wirklich jeden Stein umdrehen kann. Bislang ist es ja so, dass man sich hinter Paragraphen versteckt, man hätte die Kompetenzen nicht gehabt. Darüber lässt sich politisch ein Stück weit streiten. Aber das ist, glaube ich, eines der wichtigsten Instrumente und Lehren, die wir aus der Krise brauchen, und auch eine internationale Vernetzung.
Wir haben es mit einem digitalen, wir haben es mit einem international vernetzten Finanzmarkt zu tun. Nationale Behörden wie die BaFin kommen da auch irgendwann an ihre Grenzen. Das heißt, wir brauchen europäische Zusammenarbeit. Und drittens: Wir brauchen auch die richtigen Kompetenzen. Leute dürfen da nicht nur Juristen sein. Die brauchen digitale Kompetenzen, die brauchen IT und Informatik-Skills und auch kriminalistisches Denken. Das ist, glaube ich, die größte Lehre, die wir aus diesem Finanzskandal bis zum jetzigen Zeitpunkt mitnehmen können.
Auch Reformbedarf bei Wirtschaftsprüfungen
Heinemann: Gehört ein Sonderermittler zum notwendigen Instrumentarium?
Bayaz: Ich glaube, das ist ein richtiges Instrument, über das wir weiter nachdenken sollten. Die Frage ist, wer setzt den ein, welche Kompetenzen hat der, hat der ein Team, was ihn mitnimmt, ist das von einer deutschen oder von einer europäischen Behörde. Noch einmal: Da sind mir die Details aus dem Bundesfinanzministerium bis zum heutigen Zeitpunkt nicht bekannt. Aber ich glaube, das ist ein richtiger Weg, den man an der Stelle gehen sollte.
Darüber hinaus: Wir dürfen nicht vergessen, wir haben es hier auch mit einem Skandal im Bereich der Wirtschaftsprüfung zu tun. Die Wirtschaftsprüfer sind ja diejenigen, die regelmäßig sich die Bücher von Unternehmen, von börsengelisteten Unternehmen anschauen, und es gab eine EU-Richtlinie vor einigen Jahren, die übrigens auch auf Druck aus Deutschland damals verwässert wurde. Auch da sehen wir großen Reformbedarf, wenn es um die Rotation geht, wenn es um Trennung von Beratung und Bilanzkontrolle geht, wenn es aber auch um die Haftungsgrenze geht, denn die ist aktuell sehr niedrig angesetzt. Da steht ein bisschen was drin offenbar. Das konnte ich in der Süddeutschen Zeitung lesen. Auch dem Thema müssen wir uns viel intensiver annehmen.
Heinemann: Herr Bayaz, der Finanzminister möchte die Rolle von Hinweisgebern, von Whistleblowern verstärken. Sollte der Staat Anreize zum Petzen schaffen?
Bayaz: Er sollte jetzt, glaube ich, keine großen Ausschreibungen machen und sagen, wer hier petzt wird groß belohnt, was monetäre Anreize angeht, sondern er sollte erst einmal die Kanäle, die es ja gibt, richtig nutzen. Das war, glaube ich, auch in der Vergangenheit der Fall. Wir sollten auch jetzt nicht darüber hinwegtäuschen, dass es bei Wirecard viele Menschen gab, die Hinweise gegeben haben – übrigens nicht nur Whistleblower, sondern Journalisten der Financial Times. Das waren keine Geheiminformationen. Das waren Informationen, die Sie und ich in der Tageszeitung lesen konnten. Und was hat die Bundesregierung, was hat die BaFin gemacht? Sie haben den Journalisten angezeigt wegen Marktmanipulation und sind nicht so sehr den Verdachtsmomenten nachgegangen, die in dem Artikel der Financial Times standen.
Man hätte auch die Hinweise, egal ob es jetzt Whistleblower oder Journalisten gewesen sind, ernster nehmen können und auch schon in der Vergangenheit in alle Richtungen ermitteln können. Wenn wir es aber in Zukunft Whistleblowern noch einfacher machen, sich an die Regierung zu wenden, um Hinweise zu geben, um diese dann auch ernst zu nehmen, dann sind wir die Letzten, die da Nein sagen.
Heinemann: Werden damit Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Risikogruppe für Unternehmen?
Bayaz: Nein, das glaube ich nicht. Wir hatten auch in der Vergangenheit immer sehr kontroverse Diskussionen. Sie erinnern sich an die Diskussion um Steuer-CDs, dürfen Mitarbeiter von Banken aktiv werden und geheime Informationen aus den Banken an die Staatsanwaltschaft oder an Steuerbehörden weiterleiten. Diese Diskussion kennen wir aus der Vergangenheit. Wenn es aber um kriminelle Aktivitäten geht wie bei Wirecard, wo es einen Schaden für den Finanzplatz gibt, wo es einen Schaden für viele Millionen Anleger gibt, die sich gerade bei uns melden und sagen, wer haftet jetzt eigentlich dafür, dann ist es auch legitim, dass Menschen, die Einblicke haben in diese kriminellen Strukturen, sich auch an den Staat wenden und sagen, Leute, schaut da mal bitte ganz genau hin, denn da läuft etwas nicht richtig. Ich halte das für völlig legitim.
Untersuchungsausschuss ist unabhängig vom Reformpapier
Heinemann: Herr Bayaz, das Papier wird wenige Tage vor einer Sondersitzung des Finanzausschusses des Bundestages bekannt, bei der sich der Bundesfinanzminister Olaf Scholz gemeinsam mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier Fragen nach möglichen Versäumnissen der Regierung und der Aufsichtsbehörden stellen muss. Versucht Olaf Scholz, damit einen Untersuchungsausschuss zu umgehen?
Bayaz: Ich kenne die Motivationslage des Finanzministers nicht. Mich wundert ein bisschen, dass er jetzt so engagiert ist, dort einen Reformplan vorzulegen, was ich gut finde. Was die Aufklärungsarbeit angeht – und das gilt für die gesamte Regierung, auch für das Kanzleramt, wo man ja quasi jeden Tag neue Informationen bis hin zu geheimdienstlichen Verstrickungen zum Fall Wirecard hört –, da hätte ich mir die gleiche Energie und Leidenschaft bei der Aufklärung gewünscht. Ich finde es gut, wenn wir auch den Blick nach vorne werfen, aber das Mindeste und die Grundlage dafür, um aus den Fehlern zu lernen, um die Finanzaufsicht und die Regulierung davon auch richtig abzuleiten, ist, dass wir auch wirklich die Aufklärung zu 100 Prozent lückenlos vorantreiben. Das gehört zusammen.
Deswegen werden wir die Entscheidung, ob es einen Untersuchungsausschuss gibt, nicht davon abhängig machen, was steht jetzt in diesem Reformpapier aus dem Bundesfinanzministerium drin, sondern gibt es Hinweise darauf, dass es sich lohnt, einen Untersuchungsausschuss zu machen. Die Opposition ist ja oft mit dem Vorwurf konfrontiert, die machen das nur, um irgendwie die Regierung unter Druck zu setzen, aber ich glaube, diese Sache ist zu ernst für parteipolitische Spielchen. Wir müssen die Frage beantworten, lohnt es sich, lohnt sich diese Aufarbeitung und das Beste daraus zu lernen, und das werden wir nächste Woche nach der Sondersitzung des Ausschusses entscheiden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.