Angesichts der Ausweitung des Wirecard-Skandals fordert die Anlegermeinschaft SdK rückhaltlose Aufklärung - inklusive der Rolle der Staatsanwaltschaft. "Es ist dringend notwendig, dass der Sachverhalt und auch das Agieren der BaFin und der Staatsanwaltschaft in den letzten Jahren aufgearbeitet wird und einer externen Untersuchung unterzogen wird", sagte SdK-Vorstandsvorsitzender Daniel Bauer am Donnerstag auf Anfrage.
Die Münchner Staatsanwaltschaft hatte am Mittwoch bekannt gegeben, dass sie nun wegen "gewerbsmäßigen Bandenbetrugs" gegen die ehemalige Konzernspitze ermittelt - faktisch der Vorwurf schwerer organisierter Kriminalität. Der Schaden für die kreditgebenden Banken und Investoren könnte sich auf 3,2 Milliarden Euro summieren, der womöglich größte Betrugsfall seit 1945 in Deutschland. Im Dlf kritisierte Hans Michelbach, CSU-Politiker und Obmann der Unionsfraktion im Finanzausschuss des Bundestags, vor allem das Bundesfinanzministerium und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht.
Martin Zagatta: Herr Michelbach, gewerbsmäßiger Bandenbetrug, und zwar schon seit fünf Jahren – Politiker sollen dem Unternehmen dabei geholfen haben. Rätselraten, ob Geheimdienste involviert sind. Das hört sich doch irgendwie nach einem schlechten Krimi an. Haben Sie so etwas in Deutschland für vorstellbar gehalten?
Hans Michelbach: Nein, das ist unvorstellbar. Der Fall Wirecard ist ein immenser Schaden für das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland und vor allem ein riesen Schaden für viele Kleinanleger. Wir Abgeordnete bekommen Briefe und Mails täglich von zum Teil verzweifelten Kleinanlegern, die ihre Altersvorsorge verloren haben, die sich um ihr Geld gebracht sehen, und das Schlimme ist, wir können diesen Kleinanlegern nicht einmal in Aussicht stellen, dass sie von ihrem Geld irgendetwas wiedersehen.
Wir müssen natürlich jetzt die Frage stellen, wie konnte so etwas geschehen. Man kann nicht einfach jetzt zur Tagesordnung übergehen, sondern wer trägt welche Verantwortung. Das Parlament muss seinen Teil dazu beitragen, untersuchen, was auf der Ebene von Politik und Behörden falsch gelaufen ist. Die Staatsanwaltschaft tut ihre Arbeit, wir müssen unsere Arbeit tun. Deshalb die Sondersitzung des Finanzausschusses am Mittwoch nächster Woche.
Zagatta: Im Nachhinein ist man ja immer schlauer, aber es hat ja auch frühzeitig Hinweise auf Betrugsverdacht gegeben, der Financial Times zum Beispiel. Warum ist die Politik da nicht hellhörig geworden?
Michelbach: Die Politik ist absolut tätig geworden. Wir haben im April letzten Jahres den Präsidenten der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Herrn Hufeld, und Vertreter des Bundesfinanzministers in den Finanzausschuss bestellt und haben genau diese Fragen gestellt. Damals lief ja schon, wie sich heute darstellt, die Prüfung der Bilanzzahlen für 2018 und vorher und der Finanzminister war darüber bereits in Kenntnis gesetzt. Dem Ausschuss hat man alles verschwiegen. Das Parlament wurde durch die Verschwiegenheit gezielt daran gehindert, seine Kontrollfunktion wahrzunehmen.
Wir müssen sehen, dass hier Verantwortlichkeiten vorhanden sind, die man sich nicht bieten lassen kann und die natürlich offen und klar in dieser Sondersitzung angesprochen werden müssen. Die Sondersitzung ist notwendig, um mehr Transparenz in die Vorgänge von der Wirecard AG zu bringen, und es gibt da zahlreiche offene Fragen, die beantwortet werden müssen.
"Hier wurden nur Nebelkerzen geworfen"
Zagatta: Herr Michelbach, habe ich Sie jetzt richtig verstanden? Sie sind der Obmann der Union im Finanzausschuss, einer der großen Regierungsparteien, und Sie sagen, das Finanzministerium hat Sie getäuscht damals bei dieser Befragung, ist nicht offen mit Ihnen umgegangen?
Michelbach: Wir haben den Chef der BaFin und das Finanzministerium zu einer Stellungnahme aufgefordert. Alle Fraktionen haben im Übrigen da klare Fragen gestellt. Und es kann heute jeder im Protokoll des Finanzausschusses nachlesen, dass hier nur Nebelkerzen geworfen wurden, keine Klarheit entstanden ist.
Insgesamt hat man ja von Seiten der BaFin mehrfach auch kritische Journalisten sogar verklagt und letzten Endes auch mit dem Leerverkaufsverbot sogar ein Signal ausgestellt, hier ist alles in Ordnung. Die Leute, die gegen den Kurs spekulieren, sind falsch, die wurden angezeigt, wurden von der Staatsanwaltschaft belangt. All das muss aufgeklärt werden. Da geht es nicht um Parteipolitik, sondern einfach um das Vertrauen in den Finanzplatz Deutschland, und es geht um den Schaden für die Anleger.
Zagatta: Wie bewerten Sie denn dann das Verhalten des Finanzministeriums, wenn man Sie da bewusst getäuscht hat? Was ist denn das für ein Umgang mit dem Parlament?
Michelbach: Es wird ja im Moment eine Art schwarze Peter Spiel vorgenommen, indem man sagt, es war eigentlich keiner richtig zuständig und im Grunde genommen waren es die Wirtschaftsprüfer. Ja, die waren es vielleicht auch, aber Tatsache ist, dass die Gesamtverantwortung beim Bundesfinanzministerium und bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht liegt. Da kann man nicht sagen, wir machen in Zukunft alles besser. Man muss zunächst einmal das aufarbeiten, um es dann auch wirklich besser zu machen.
Die Schutzfunktion des Staates wiederherzustellen, das hat ja überhaupt nicht funktioniert. Das ist das Schlimme dabei.
Zagatta: Ganz im Gegenteil! Jetzt ist auch noch bekannt geworden, der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg hat sich für Wirecard eingesetzt, auch ein früherer Geheimdienstkoordinator der Regierung, Klaus-Dieter Fritsche. Ist das nicht unheimlich merkwürdig?
Michelbach: Dass zunächst einmal die Bundesregierung Investitionsinteressen deutscher Firmen im Ausland gegenüber deren Regierungen artikuliert, ist ein normales Regierungsgeschäft.
"Die Politik sich hat durch Wirecard instrumentalisieren lassen"
Zagatta: Aber ein Geheimdienstkoordinator im Dienste eines Unternehmens?
Michelbach: Im Grunde genommen sind das Leute, die außerhalb ihres Dienstes nachher einem Geschäftszweck nachgegangen sind. Ich bin der Auffassung, dass das ohnehin nicht statthaft sein sollte, dass man diese Dinge vermischt nach seinem Ausscheiden, aber man kann natürlich niemand seinen Beruf verwehren.
Aber wichtig ist, dass man weiß, dass hier mehr oder minder keine Verantwortlichkeiten für das Desaster stattfinden. Man hat eine Unterstützung bei einem Regierungsgespräch artikuliert. Das hat im Übrigen schon im Juni, also im Sommer 2019 durch das Bundesfinanzministerium, durch den Staatssekretär Schmidt in China genauso stattgefunden. Da kann jetzt keiner das Kanzleramt an den Pranger stellen.
Ich denke, dass insgesamt der Umstand, dass hier Politik sich hat durch Wirecard instrumentalisieren lassen, das Schlimme ist. Wir haben die Situation, dass Staatssekretär Kukies vier Tage nach Beginn der Sonderprüfung zu einem Vier-Augen-Gespräch in die Firma nach Aschheim geeilt ist und mit dem heute in U-Haft sitzenden, damaligen Wirecard-Chef Braun Gespräche geführt hat.
Zagatta: Eigentlich auch unglaublich!
Michelbach: Ja! Das ist der Vorsitzende des Verwaltungsrats der BaFin. Ich bin fassungslos, dass so etwas stattfinden kann, und natürlich muss man untersuchen. Der Staatssekretär Kukies kommt von einem Unternehmen, das noch im Juni bedeutende Anteile an Wirecard hielt.
Zagatta: Staatssekretär im Finanzministerium, muss man für unsere Hörer dazu sagen.
Michelbach: Das ist alles zu untersuchen. Wir können da nicht einfach sagen, Parteipolitik darf nicht sein und so, sondern da geht es um die Sache, um die Anleger und um den Schaden, der da entstanden ist.
Zagatta: Herr Michelbach, das sind ja auch ganz heftige Vorwürfe, die Sie äußern oder teilen. Ist damit auch für Sie schon klar, das geht gar nicht mehr ohne einen Untersuchungsausschuss?
Michelbach: Das ist das Modell oder das Recht der Opposition, das zu fordern oder auch dann zu installieren. Die haben ja eine Verfahrensmehrheit dazu. Wir würden da sicher nicht Nein sagen von Seiten der Union. Aber beantragen würden wir das aus Koalitionssicht sicher nicht und wir müssen abwarten, inwieweit die Opposition einen solchen Untersuchungsausschuss verfahrensmäßig anstrebt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.