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Wirecard-Skandal
"Scholz hätte die BaFin mehr kontrollieren müssen"

"Olaf Scholz hätte die BaFin mehr kontrollieren müssen und die BaFin hätte ihre Aufgaben besser wahrnehmen müssen", sagte die Vorsitzende des Finanzausschusses im Bundestag Katja Hessel (FDP) im Dlf. Dass man zehn Jahre lang nicht merke, dass die Bilanzen manipuliert seien, werfe kein gutes Licht auf das System der Wirtschaftsprüfung.

Katja Hessel im Gespräch mit Christiane Kaess |
Schild an der Tür der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Bonn
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn (imago images / Winfried Rothermel)
Es könne auch nicht sein, dass die Prüfung von den Unternehmen bezahlt werde, kritisiert Hessel. "Man hat schon immer ein wenig den Eindruck, dass bei den großen lukrativen Aufträgen nicht so richtig gut hingeguckt wird. Auch da wird sich das Institut der Wirtschaftsprüfung was überlegen müssen."
Bundesfinanzminister Olaf Scholz hat bereits Pläne zur Reform der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Demnach soll sie personell besser ausgestattet werden. Von einem Sonderprüfungsrecht ist die Rede oder auch der besseren Trennung zwischen Prüfung und Beratung. Das Papier gehe ein Stück "in die richtige Richtung", sagte Hessel im Dlf. Die FDP-Politikerin kündigte an, dass man sich das Papier in der Sommerpause noch einmal genau anschauen wolle, wo es noch Knackpunkte gebe. "Wir haben viele Papiere aus dem Bundesfinanzministerium, die nie im Finanzausschuss gelandet sind, weil sich die Koalition noch nicht darüber einigen konnte", sagte Hessel.
Finanzausschuss befragt Scholz und Altmaier
Doch was wusste die Bundesregierung wann von den Unregelmäßigkeiten beim Dax-Konzern Wirecard, und was sind nun die Konsequenzen? Am Mittwochnachmittag (29.07.2020) befragt der Finanzausschuss Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) in einer nicht-öffentlichen Sitzung zum Betrugsskandal bei Wirecard. Der Zahlungsdienstleister hatte im Juni Luftbuchungen von 1,9 Milliarden Euro eingeräumt. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht mittlerweile von "gewerbsmäßigem Bandenbetrug" seit 2015 aus.
26.06.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Schild vor dem Sitz der Bafin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) in Frankfurt am Main. 
Die Bankenaufsicht im Wirecard-Skandal - Was ist die BaFin?
Im Skandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard ist auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den Fokus geraten. Was sind die Aufgaben der BaFin und was wird ihr vorgeworfen?
Diskussion um Untgersuchungsausschuss zu Wirecard
Nach der Sitzung werde man sehen, "wie weit die Bundesregierung mauert, wie weit wir sagen können, wir können noch vertrauen, es reicht das, was ist, oder ob wir sagen müssen, es muss hier noch mal geklärt werden, wer die politische Verantwortung hat." Hessel betonte, die Fraktionen werden am Ende des Tages beraten und dann entscheiden, ob sie gegebenenfalls einen Untersuchungsausschuss fordern. Dieser habe ganz andere Rechte, unterstrich Hessel. "Er kann Zeugen einladen, er kann auch Personen einladen, die nicht im Parlamentsumfeld sind. Ich glaube hier kann nochmals aufgeklärt werden, wo eigentlich der ganze Punkt in diesem in diesem Wirecard-Skandal war."

Das Interview im Wortlaut:
Christiane Kaess: Was wollen Sie vom Finanzminister und vom Wirtschaftsminister wissen will.
Katja Hessel: Wir würden schon gerne wissen als Finanzausschuss, was die beiden Herren wussten um den Wirecard-Skandal, wann sie was wussten, warum sie nicht früher eingestiegen sind und wie sie sich auch zu dem Unternehmen positioniert haben noch bei vielen Terminen, die es ja im Jahr 2020 auch noch gab.
Kaess: Jetzt ist ja, Frau Hessel, wenn ich da einhaken darf, schon einiges bekannt über den Skandal, und verantwortlich wären die Minister, vor allem Finanzminister Scholz, ja eigentlich nur, wenn die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die BaFin geschlampt hätte, denn die BaFin untersteht dem Finanzministerium. Aber dort sagt man, wir waren gar nicht für Wirecard als Ganzes zuständig. Also sind die Politiker nicht eigentlich schon raus aus der Verantwortung?
Hessel: Nee, sind sie nicht. Natürlich sagt die BaFin immer, wir waren ja nur für die Wirecard Bank AG zuständig und nicht für den ganzen Konzern, aber durchaus hatten sie auch Prüfungspflichten, Prüfungsaufträge, sie haben auch Prüfungen gegeben. Und seit gestern wissen wir ja auch, dass der Präsident der BaFin, der Herr Hufeld, uns im letzten Finanzausschuss vor der Sommerpause auch nicht ganz die Wahrheit gesagt hat, was Antworten aus SinokUS anging etc. Ich glaube, es hat durchaus noch eine politische Dimension, und die sitzt natürlich auch im Bundesfinanzministerium.
Kaess: Es wurde ja durchaus immer wieder was von Olaf Scholz auch unternommen. Aber muss man nicht tatsächlich sagen, diese komplette Aufklärung, die geht tatsächlich über seinen Zuständigkeitsbereich hinaus?
Hessel: Natürlich geht die komplette Aufklärung über seinen Zuständigkeitsbereich hinaus, weil sie nicht nur Aufsichten hat, sondern weil es natürlich auch eine ganz große strafrechtliche Komponente hat. Es ist bei Wirecard, wie rausgekommen ist, über Jahre systematisch betrogen worden. Das ist eine Sache, die natürlich Staatsanwaltschaften aufklären müssen. Da ist die Staatsanwaltschaft München ja auch dran.
Nichts desto trotz hängt Wirecard zwar auch als Tech-Konzern, aber auch mit der Bank unter einer Finanzaufsicht, und der Schaden, den der Wirecard-Konzern dem Finanzplatz Deutschland zugefügt hat, der ist immens, und da muss schon meines Erachtens geklärt werden, wer hierfür die Verantwortung trägt, wer wann was wusste und warum nicht früher eingeschritten worden ist. Diese Frage sitzt meines Erachtens schon im Bundesfinanzministerium zum Aufklären. Dort muss sich jetzt der Bundesfinanzminister äußern.
Kaess: Wie groß ist Ihr Vertrauen in die BaFin selber noch?
Hessel: Das ist jetzt eine schwierige Frage. Ich glaube, man kann nicht immer alles über einen Kamm scheren, aber es zeigt sich schon, dass die Bundesfinanzdienstleistungsaufsicht hier nicht eine besonders gute Arbeit gemacht hat und dass bei der BaFin schon ordentlich geguckt werden muss, was hier passiert, und wie wir vor allem den Schaden wieder einigermaßen vom Finanzplatz Deutschland abwenden können und hier wieder Vertrauen aufbauen können. Ob das mit der BaFin, so wie sie gerade dasteht, funktionieren kann, wage ich zu bezweifeln.
"Sachen teilweise nicht ernst genommen"
Kaess: Was ist da schiefgelaufen bei der BaFin?
Hessel: Ich glaube, man hat teilweise einfach die Sache nicht ernst genug genommen, habe ich so den Eindruck, weil dass man einen Auftrag an die deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung gibt und dann sagt, die prüfen jetzt mal ein Jahr lang, das dauert immer so lange, ist, glaube ich, bei den Daten, die vorhanden waren, bei den Fakten, die tagtäglich wieder rausgekommen sind, nicht das, was sich eine Finanzdienstleistungsaufsicht leisten kann. Da hätte die BaFin viel früher einschreiten müssen. Da hätte viel mehr nachgeguckt werden müssen. Da hätte viel mehr Druck aufgebaut werden müssen. Und wir werden jetzt sehen, was noch alles rauskommt, weil wie gesagt, wir haben ja im Juli in unserer Sitzung noch nicht mal die Wahrheit erfahren.
Kaess: Es gab, wie Sie schon gesagt haben, tatsächlich immer wieder mehrere Hinweise, dass da was im Argen liegt bei Wirecard. Aber diese Hinweise, die waren ja auch dem Parlament bekannt. Was hätten denn die Parlamentarier mehr leisten müssen?
Hessel: Sie hätten vielleicht ein bisschen mehr Druck aufbauen müssen, aber es ist ja nicht so, dass sie nichts gemacht haben. Die Aufgabe der Parlamentarier ist, unter anderem die Bundesregierung zu kontrollieren. Das tun wir, indem wir bei Vorkommnissen, die wir haben, Fragen an die Bundesregierung stellen. Das ist auch passiert. Es gab mehrere kleine Anfragen, es gab mehrere schriftliche Einzelfragen. Wir haben sogar für den letzten Fall, wann die BaFin was hätte tun können, ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes in Auftrag gegeben. Aber wir sind natürlich darauf angewiesen, was uns die Bundesregierung antwortet, und auch das wird heute Gegenstand der Befragung im Finanzausschuss sein, weil diese Antworten wohl zumindest nicht immer vollständig waren.
Kaess: Bei der langen Zeit, über die sich der Skandal schon zieht, warum haben Sie nicht schon früher nachgefragt, so in diesem Rahmen wie heute im Ausschuss?
Hessel: Ich glaube, dafür gab es auch für uns den Anlass nicht. Das ist immer die Möglichkeit, was wir haben. Wir haben als Finanzausschuss gar nicht so viele Möglichkeiten. Deswegen ist ja auch gerade die Frage, ob der Wirecard-Skandal hinterher noch einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss hinterherziehen wird, weil die Möglichkeiten zur Aufklärung eines Untersuchungsausschusses sind ganz andere, die ein Finanzausschuss hat. Wir können uns Gäste einladen und Gäste befragen.
Berlin, Pressestatements nach der Sitzung des Finanzausschuss Deutschland, Berlin - 01.07.2020: Im Bild ist Florian Toncar 
Toncar (FDP): Scholz will sich aus der Schusslinie bringen
FDP-Politiker Florian Toncar hat im Zusammenhang mit dem Wirecard-Skandal und der Rolle der BaFin Finanzminister Olaf Scholz kritisiert. Jetzt die Reform der Bankenaufsicht in den Vordergrund zu stellen, sei ein Ablenkungsmanöver und führe am Kern des Versagens vorbei, sagte Toncar.
Kaess: Sie sagen, den Anlass gab es für Sie als Parlamentarier nicht. Warum hätte es den dann für Olaf Scholz geben sollen?
Hessel: Weil, ich glaube, Olaf Scholz – das möchte ich doch hoffen – mehr wusste als das Parlament, weil er hat vollen Einblick in die Unterlagen der BaFin. Er hat eine ganz andere Aufsicht auf den Präsidenten Hufeld, auf die BaFin. Die haben wir als Parlament nicht. Wir können nur über die Bundesregierung auf die BaFin zugreifen. Das heißt, Herr Scholz wäre eigentlich in der Pflicht gewesen, hier die Tatsachen zu haben, die wir dann auch als Parlament hätten abfragen können.
Kaess: Jetzt sagen Experten, hier hat eigentlich das gesamte System versagt, und in primärer Verantwortung ist hier der Vorstand und der Aufsichtsrat. Müsste man nicht da ansetzen?
Hessel: Ich glaube, das wird eine zweite Thematik sein - wir haben deswegen ja auch heute noch mal den Bundeswirtschaftsminister da -, wie man eigentlich einen Aufsichtsrat noch mal prüfen kann. Weil natürlich hat der Aufsichtsrat der Wirecard auf voller Linie versagt. Ein Aufsichtsrat eines solchen Unternehmens, der bis letztes Jahr noch nicht mal einen Prüfungsausschuss hatte, das kann es bei einem DAX-30-Konzern eigentlich gar nicht geben. Man ist wirklich erstaunt, was da alles passiert ist, und ich glaube, da wird auch noch mal zu prüfen sein, wie eigentlich die Kontrolle über einen Aufsichtsrat gestrickt werden muss, wer hier noch mal kontrollieren kann, wenn es die Hauptversammlung anscheinend nicht tun kann.
Kaess: Noch mal meine Frage: Muss man nicht an der Stelle viel genauer hinschauen, anstatt auf die Politik zu gehen? Denn dass der Staat Unternehmen stärker kontrollieren sollte, das war ja bisher nicht gerade aus Ihrer Sicht die Linie der FDP.
Hessel: Das ist auch nach wie vor nicht die Linie der FDP, dass wir jetzt die Unternehmen mehr unter staatliche Kontrolle stellen wollen.
Kaess: Sie sagen aber, Olaf Scholz hätte mehr hinschauen müssen.
Hessel: Olaf Scholz hätte mehr auf seine Finanzaufsicht schauen müssen. Da ist schon der Punkt. Es gibt sicherlich eine politische Verantwortung, weil es ein Versagen gab auf allen Reihen. Ich bin der Meinung, Olaf Scholz hätte mehr die BaFin kontrollieren müssen. Die BaFin hätte ihre Aufgaben besser wahrnehmen müssen. Und dass der Wirecard-Skandal in der Höhe da ist oder in der Größe da ist, was natürlich ein Versagen des Aufsichtsrats ist, das ist die Frage, wie Anlegerschutz, wie Hauptversammlungen funktionieren. Das ist, glaube ich, noch mal eine andere Frage, dass hier eine strafrechtliche Komponente da ist. Ich glaube, dass mit diesem immensen Willen betrogen wird, das werden wir immer erleben. Die Frage ist nur, warum es so spät richtig hochgekommen ist und warum es so spät erst aufgefallen ist und Konsequenzen gezogen worden sind.
Kritik an Wirtschaftsprüfern
Kaess: Welche Schuld trifft denn die Wirtschaftsprüfer?
Hessel: Es ist schwierig, wenn man nicht alle Tatsachen hat. Aber natürlich, dass man zehn Jahre lang ein Unternehmen prüft und nicht merkt, dass Bilanzen manipuliert sind, wirft wirklich kein gutes Licht auf Wirtschaftsprüfer, wirft auch kein gutes Licht auf das System der Wirtschaftsprüfung. Ich glaube, hier ist es auch an der Selbstverwaltung der Wirtschaftsprüfer, ordentlich dafür zu sorgen, dass hier auch klar wird, mit welchen Kriterien zukünftig geprüft wird, was auch passiert. Ich glaube, hier muss eine viel schnellere Rotation sein. Es kann nicht sein, dass elf Jahre lang ein Unternehmen geprüft wird. Es kann auch nicht sein – das Problem haben wir ja immer wieder -, dass die Prüfung von den Unternehmen bezahlt wird, und man hat schon immer ein wenig den Eindruck, dass bei den großen lukrativen Aufträgen nicht so richtig gut hingeguckt wird. Auch da wird sich das Institut der Wirtschaftsprüfung was überlegen müssen.
Kaess: Frau Hessel, schauen wir zum Schluss unseres Interviews noch voraus. Es gibt einen Plan von Finanzminister Scholz für die Reform der BaFin. Die BaFin soll personell besser ausgestattet werden. Von einem Sonderprüfungsrecht ist da die Rede, oder von der Möglichkeit forensischer Prüfungen, oder auch die bessere Trennung zwischen Prüfung und Beratung. Vermissen Sie etwas in dem Papier, oder geht das genau in die richtige Richtung?
Hessel: Das Papier geht im Prinzip wahrscheinlich schon ein Stück in die richtige Richtung. Aber wir werden uns das jetzt auch noch mal über die Sommerpause genau angucken und auch mal schauen, wo denn eigentlich noch andere Knackpunkte sind, und dann schauen wir mal, was uns der Bundesfinanzminister vorlegt, weil wir haben viele Papiere aus dem Bundesfinanzministerium schon gekriegt, die nie im Finanzausschuss gelandet sind, weil sich die Koalition noch nicht darüber einigen konnte.
Untersuchungsausschuss - nicht ausgeschlossen
Kaess: Sie gehören jetzt zu der Opposition, von der schon mehrmals ein Untersuchungsausschuss gefordert wurde. Was soll der bringen?
Hessel: Ich habe schon gesagt: Ein Untersuchungsausschuss hat ganz andere Rechte. Der kann Zeugen einladen, der kann auch Personen einladen, die jetzt nicht im Parlamentsumfeld sind. Der hat richtige Zeugenbefragungsrechte. Ich glaube, hier kann schon noch mal aufgeklärt werden, wo eigentlich der ganze Punkt in diesem Wirecard-Skandal war.
Kaess: Für Sie ist das Gesetz, dass der kommen soll?
Hessel: Wir werden das, glaube ich, heute nach dieser Sitzung sehen, wie weit die Bundesregierung mauert, wie weit wir sagen können, wir können noch vertrauen, es reicht das, was ist, oder ob wir sagen müssen, es muss hier noch mal geklärt werden, wer die politische Verantwortung hat. Das wird, glaube ich, das Ende des heutigen Sitzungstages zeigen. Das werden dann die Fraktionen beraten und dann werden wir schauen, ob wir diesen Untersuchungsausschuss dann wirklich fordern als Opposition zusammen. Das geht ja leider nicht mit einer; da müssen ja alle an einem Strang ziehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.