Manfred Kloiber: Es waren zwei Themen, die auch den IT-Gipfel der Bundesregierung diese Woche in Berlin maßgeblich bestimmten: das Internet der Dinge und Industrie 4.0. Doch während in Berlin vorrangig die politischen Dimensionen dieser neuen Technologien ausgeleuchtet wurden, trafen sich in München Ingenieure, Entwickler und Wissenschaftler um über konkrete technische Herausforderungen dieser universellen Vernetzung zu sprechen. Mein Kollege Jan Rähm war auf dem Kongress Wireless 2015: Die Vernetzung der Dinge ist schon weit vorangeschritten. Um welche Herausforderungen ging es da noch in München?
Jan Rähm: Es gab neben vielen Detail-Lösungen zwei große Themen. Erstens, deutlich sichtbar, das Thema Interoperabilität. Also, wie schaffen es Entwickler und Hersteller, die Dinge so zu vernetzen, dass diese sich auch Plattform-übergreifend verstehen und Daten und Befehle miteinander austauschen können. Das zweite große Thema dann war schon nicht mehr so ganz offen sichtbar. Nämlich: Die anstehende Konsolidierung, mit der viele rechnen. Klar, dies wird genauso stark erhofft wie gefürchtet. Man muss sich vor Augen halten, dass aktuell mindestens sieben bereits weitverbreitete untereinander größtenteils weder kompatibele noch interoperabele Technologien, die das Internet der Dinge vernetzen. Die da wären: KNX, Zigbee, Z-Wave, Enocean, DECT ULE, IP500 und Bluetooth Smart. Im Gespräch mit den Teilnehmern klang klar an: Der Markt wird sich um ein paar Technologien bereinigen.
Kloiber: Zeichnet sich schon ab, wer das Rennen machen wird und welche Technologien vielleicht untergehen werden?
Rähm: Das ist noch völlig unklar. Aktuell kommen auch immer mal wieder neue Technologieansätze dazu. Erstmal geht es aber auch vor allem um das Thema Interoperabilität und da wurden in der jüngsten Zeit einige wichtige Schritte gegangen. Und zwar hat das Kommunikationsprotokoll 6loWPAN grade als RFC 7668 die letzten Hürden genommen hin zum fertigen Standard und ist zudem in etlichen der eben genannten Technologie implementiert worden.
Kloiber: Also: 6loWPAN ist durch die Internet Engineering Task Force zum gültigen Netzstandard erklärt worden. Und was sich hinter 6loWPAN verbirgt und wie es mit dem Internet der Dinge zusammenhängt, das haben wir in einem Beitrag zusammengefasst.
Das Internet Protokoll Version 6
Es war wieder dieses verfluchte IPv4 – also das alte Internetprotokoll Version 4. Das nämlich sorgte - und sorgt noch immer - dafür, dass es einfach nicht genug Internet-Adressen für alle verfügbaren Geräte gibt, die ins Netz sollen. Und ins Internet der Dinge sollen wirklich viele Geräte. 50 bis 75 Milliarden Dinge werden es in den kommenden Jahren sein - schätzen Experten. Doch Abhilfe ist da: das Internet Protokoll Version 6. Es ist zwar schon lange verabschiedet, doch jetzt erst kommt es langsam auch zum Einsatz. Allerdings ist IPv6 für viele Geräte einfach zu komplex, erklärt Carsten Bormann, Honorarprofessor aus Bremen. Zum Beispiel für eine einfache elektrische Zahnbürste.
"Diese kleinen Geräte, die eben nur Pfennige kosten dürfen, die nicht viel Strom verbrauchen dürfen, weil sie eben vielleicht mit Batterien betrieben werden, und da müssen wir so ein bisschen was auch noch anpassen an IPv6, denn bis jetzt wurde eben sehr, sehr viel entwickelt für Laptops, für Smartphones und so weiter. Und das sind recht leistungsfähige Geräte. Aber wie kriegen wir jetzt die Zahnbürste dazu, dass die eben auch ihren Beitrag leisten kann. Vielleicht nur zehn Pakete pro Tag oder so, aber das ist ja vielleicht schon die Information, die ich brauche."
Das Problem der Zahnbürste: Niemand gönnt ihr einen richtig dicken Prozessor und massig Speicher, etwa wie bei den Smartphones. Das Putzgerät muss mit leistungsschwachen Chips auskommen. Das reicht vielleicht für ein paar Datenpäckchen am Tag, aber eben nicht für das komplizierte IPv6. Deshalb musste abgespeckt werden. Herausgekommen ist 6loWPAN. Das steht für "IPv6 over Low power Wireless Personal Area Networks".
"Wir haben den Aspekt von IPv6, den Teil der Norm, der beschreibt, wie ein Gerät ins Netz kommt, wie es seine Adresse findet, wie es Kommunikationspartner findet, den haben wir noch einmal überarbeitet, was dazu führt, dass ein Gerät eben mit sehr viel weniger Kommunikation ins Netz kommen kann. Aber dann, wenn es erst einmal drin ist, kann es eigentlich die selben Dinge machen, die es mit IPv6 schon immer hätte tun können."
Dabei geht es darum, erklärt Bormann, Mitglied in der 6loWPAN- Standardisierungsgruppe, wie ein Ding mit Netzwerkanschluss seine Nachbarn findet. Bisher versuchten die Geräte, einfach einmal mit allen anderen um sich herum Kontakt aufzunehmen. Multicast heißt dieses Prinzip.
"Aber wenn meine Geräte den größten Teil der Zeit eigentlich schlafen müssen, also gar nicht zuhören, weil das nämlich viel zu viel Energie verbraucht, die ganze Zeit zuzuhören, dann funktioniert das plötzlich nicht mehr. Dann muss ich bestimmte Abläufe auf eine Punkt-zu-Punkt-Kommunikation reduzieren."
Nicht nur hier haben die Entwickler abgespeckt und optimiert. Auch die Komprimierung der Protokolldaten und der Bearbeitung der Datenpakete wurde so angepasst, dass auch kleinste Geräte mit geringer Rechenleistung, Funkstärke und Energie die moderne IPv6-Kommunikation bewältigen können. Und: Jetzt, da 6loWPAN fast fertig ist, werden auch Nutzer leistungsstarker Systeme aufmerksam: Sie wollen die Änderungen in 6loWPAN auch bei IPv6 übernehmen.
Kloiber: Bleiben wir noch kurz bei der schlanken IPv6-Variante. Ist das alles nun in trockenen Tüchern? Und: Wird der neue Standard wirklich für das Zusammenspiel aller vernetzten Dinge auf der Welt garantieren können?
Rähm: Erst zu den Baustellen: Gearbeitet wird noch am Thema Sicherheit. Etablierte Verfahren wie SSL/TLS sollen direkt eingehen in den künftigen Standard. Doch auch wenn 6loWPAN dann fertig ist, heißt das nicht automatisch, dass dann Friede, Freude, Eierkuchen in Sachen Interoperabilität herrscht. Denn sprechen können die Dinge dann zwar miteinander, aber ob sie sich verstehen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Grundlagen sind jetzt eben aber da und die Branche gibt sich sehr optimistisch.
Zusammenarbeit von Geräten unterschiedlicher Hersteller
Kloiber: Was fehlt denn noch in Sachen Interoperabilität?
Rähm: So eine Art Wörterbuch. Im Technischen heißt das Framework. Damit legen die Entwickler sozusagen fest, dass gleiche Worte auch das Gleiche meinen. Zu nennen wären das zum Beispiel die Ansätze "Alljoyn" von der Allseen-Allianz oder auch "IoTivity" vom Open Interconnect Consortium. Beide sollen dafür sorgen, dass Geräte vom Hersteller A auch mit jenen von B und C zusammenarbeiten, ohne dass großer Aufwand getrieben werden muss. Ein einfaches Beispiel: ein smarter Lichtschalter. Sie wollen den einen kaufen, der zu Ihrer Einrichtung passt und der Ihnen gefällt und nicht den einen, den der Hersteller ihrer smarten Lampenfassung anbietet. Und wenn jetzt Lichtschalter und Lampe IPv6-vernetzt sind und sich dann dank Alljoyn oder IoTivity perfekt verstehen, haben Sie als Smart-Home-Kunde alle Freiheit und kaufen eben Ihren Lieblingsschalter. Perfekt wird's, wenn auch die zentrale Steuerung ihres Zuhauses, die Heizung, die Rollläden und alle weiteren vernetzten Geräte eine Sprache sprechen, weil da können Sie nach Belieben wählen. Ähnlich ist es auch in der Industrie. Die will auch die besten Sensoren kaufen und nicht im Käfig eines einzigen Herstellers gefangen sein.
Kloiber: Stichwort Smart Home: Da herrscht ja durchaus ein buntes Durcheinander: Jedes Gerät wird irgendwie anders in Betrieb genommen. Das eine bringe ich mit einem Code ins Netzwerk, das andere einfach per Knopfdruck. Verschwindet dieses Tohuwabohu? Wird das einheitlich werden?
Rähm: Das wird wohl eines der nächsten großen Themen werden und wird unter der Phrase: "Ease of Use" zusammengefasst, also, wie einfach ist es ein Ding in Betrieb zu nehmen und zu benutzen. Etliche Beteiligte haben das Thema bereits als Problem identifiziert – nicht nur beim Privatanwender. Auch und gerade die Industrie ist natürlich auf schlanke und effiziente möglichst einfach umsetzbare Abläufe erpicht. Klar, das spart Geld und Mitarbeitern Zeit. Aber: Die einheitliche Inbetriebnahme wird wahrscheinlich erst dann richtig akut, wenn große wie kleine Abnehmer frei zwischen den Technologien und Marken wählen können.