Das Zischen aus den Bohrlöchern ist eines der typischen Geräusche im Geothermalgebiet von Hellisheidi. Hier wird aus den heißen Quellen direkt unter der Erde Energie gewonnen. Die dabei entweichenden klimaschädlichen Gase werden eingefangen und im Basalt eingelagert. Das Kraftwerk, das Bundeskanzlerin Angela Merkel am Vormittag besuchte, ist ein Musterbeispiel für grüne Energie. Allerdings eines, das auf den Besonderheiten der Insel im Nordatlantik beruht.
Island erzeugt zu 100 Prozent Energie ohne klimaschädliche Emissionen - neben der Geothermie auch mittels Wasserkraft und es sind nun auch zusätzlich noch Windparks geplant, obwohl Island nur einen Bruchteil dieser Energie selbst verbrauchen kann.
"Island ist ein isoliertes Energiesystem, das zu 80 Prozent von vier ausländischen Schwerindustrieunternehmen genutzt wird", erläutert Jurist und Energieexperte Ketill Sigurjónsson. Es sind vor allem Aluminiumschmelzen, die von den günstigen Energiepreisen profitieren. Seit ein paar Jahren siedeln sich auch immer mehr Datenzentren an, unter anderem auch, um hier energieintensiv Bitcoins zu schürfen. Bislang machen sie aber nur vier bis fünf Prozent des isländischen Energieverbrauchs aus.
Nachdem der erste verschwundene Gletscher in Island in dieser Woche offiziell für "tot" erklärt wurde, drängt die grüne Premierministerin Katrín Jakobsdóttir beim Treffen mit Angela Merkel und dem nordischen Rat auf das Thema Klimaschutz:
"Ich will betonen, dass meine Regierung dem Thema Klimawandel eine hohe Priorität gibt. Alles, was Wissenschaftler vorhergesagt haben, tritt inzwischen schon ein. Darum ist es so wichtig, dass wir alles Menschenmögliche tun, um die Klimakrise zu verhindern, die wir schon erleben mit den Hitzewellen, Trockenheit, Überflutungen und Gletschern, die verschwinden."
Pochen auf mehr Unabhängigkeit
Für den Energieexperten Ketill Sigurjónsson wäre vor dem Hintergrund sinnvoll, wenn Island durch ein Kabel mit dem europäischen Stromnetz verbunden wäre, um seine grüne Energie zu exportieren. Dadurch würde auch die isländische Gesellschaft profitieren, die weniger abhängig wäre von der Schwerindustrie:
"Es wäre dann möglich, die Energie zu wesentlich höheren Preisen als bisher nach Europa zu verkaufen, was den Energieproduzenten sehr zugutekommen würde. Aber wir wissen immer noch nicht, ob ein solches Kabel als Investition rentieren würde, das ist einfach noch nicht geklärt worden."
Naturschützer befürchten, wenn erst einmal die Option da wäre, Energie nach Europa zu exportieren, könne ein Druck entstehen, noch mehr Flüsse und unberührte Natur für den Bau von Wasserkraftwerken zu opfern. Die Diskussion ist seit Kurzem neu aufgeflammt. Denn die neue rechtspopulistische Zentrumspartei des früheren Premierministers Sigmundur David Gunnlaugsson hat die Umsetzung des dritten EU-Energiepakets in Island zum Anlass genommen, auf mehr Unabhängigkeit zu pochen.
Damit hat sie indirekt sentimentale Begehrlichkeiten geschürt - angelehnt an den Brexit - aus dem Europäischen Wirtschaftsraum auszutreten. Es sind zwar nur zehn bis 20 Prozent der Wähler, bei denen das ankommt, aber dennoch sieht Wirtschaftsprofessor Thórólfur Matthiasson von der Universität Island die Entwicklung bedenklich:
"Es werden da sehr schnell die Vorteile des EWR vergessen, die wir im Alltag inzwischen als selbstverständlich annehmen, wie die Freiheiten beim Reisen oder das günstige Roaming beim Telefonieren. Stattdessen werden solche Gesetzesanpassungen wie beim Energiepaket inzwischen als Eingriffe in die Souveränität interpretiert."
Rückschlag beim Tourismus
Sollte es am 31. Oktober zu einem harten Brexit kommen, trifft das auch Island. Der so wichtige Fischhandel mit der EU kann dann nicht mehr einfach über Großbritannien laufen, sondern würde deutlich aufwendiger. Zudem kommt, dass die Erwärmung der Meeresströme dazu führt, dass einige Fischsorten seltener werden. In den Ostfjorden blieb in dieser Saison etwa die Lodde fern, was in der Region zu erheblichen Einschnitten führt.
In den letzten Jahren ging es Island gut, vor allem dank des Tourismus. Doch der Boom ist auch hier vorbei. Im ersten Halbjahr kamen rund 13 Prozent weniger Gäste als im Vorjahr. Aber nicht, weil die Insel weniger attraktiv geworden wäre, sondern wegen der Insolvenz der Billigfluggesellschaft WOW-Air. Zudem kämpft die nunmehr einzige isländische Fluggesellschaft Icelandair mit dem Problem, ihre Boeing 737 Max-Maschinen ersetzen zu müssen.
"Das sind drei Effekte, die unabhängig voneinander das Wachstum in den ersten sechs Monaten beeinträchtigt haben, sodass wir jetzt nur noch von einem Plus von 1,5 Prozent statt vier bis fünf ausgehen", sagt Thórólfur Matthiasson. Kein Einbruch und kein Grund zur Sorge, betont er, aber die Bäume wachsen eben nicht in den Himmel.