750 Milliarden Euro möchte die EU ausgeben, um die europäische Wirtschaft nach dem Einbruch durch die Corona-Pandemie wieder aufzubauen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen plant, dieses Geld in Digitalisierung und in grüne Technologien zu investieren. Ob Europas Wirtschaft dadurch wirklich grüner wird, könne man allerdings aktuell nicht abschätzen, sagte Birger Priddat, Wirtschaftsethiker an der Universität Witten/Herdecke, im Deutschlandfunk. Es müsse sich zuerst einmal zeigen, ob das Programm Wirkung zeige und die Wirtschaft wieder in Gang komme. Auch vor der Corona-Pandemie habe von der Leyen schon große Investitionen in grüne Technologien forciert, diese würden nun "bestimmt nicht monetär so ausgestattet wie vorher geplant".
Man müsse bedenken, dass es fast überall Nachfragerückgänge gebe – und dass diese in einigen Bereichen anhalten werden. Große Events beispielsweise würden auch langfristig nicht mehr so viel Publikum anziehen können, denn die Sensibilität für Viren werde bleiben und auch Impfstoffe könnten nicht gegen die neuesten Mutationen schützen.
"Alle wünschen sich Wachstum"
Die Krise habe zudem eine ökologische Utopie, die Postwachstumsökonomie, entzaubert. In dieser soll aus ökologischen Gründen kein Wachstum stattfinden. Dass das nun ungeplant und schlagartig eingetreten sei, hatte Priddat bereits Ende März, als die Corona-Pandemie das öffentliche Leben in Deutschland erreicht hatte, in einem Aufsatz geschrieben. Darin hatte er ausgeführt, dass es unklar sei, wie die Gesellschaft auf einen solchen Wachstumsstopp reagieren werde. Denn dieser sei ja nicht wie in anderen Wirtschaftskrisen durch Marktversagen, sondern durch einen externen Einfluss, das Virus, ausgelöst worden. Man werde sehen, welche politischen Phänomene durch den gesellschaftlichen Stress, den Insolvenzen und Arbeitslosigkeit auslösen, entstehen. Jetzt, zwei Monate später, sei klar, dass ein Ende des Wachstums nicht erstrebenswert sei, sagte er im Dlf: "Die Leute erfahren jetzt, welche Folgen Degrowth hat, also Wachstumsstopp. Und alle wünschen sich Wachstum - alleine schon um Einkommen aus Arbeit zu bekommen." Der Wunsch nach Wachstumsabschwächung drehe sich nun aus Angst und Unsicherheit um in den Wunsch nach Wachstum, um wieder in Fahrt zu kommen und wieder vernünftig leben zu können.
Durch die Krise könne es aber in vielen Unternehmen durchaus zu einem Umdenken kommen. Insbesondere familiengeführte, mittelständische Unternehmen könnten Aspekte unternehmerischer Nachhaltigkeit zukünftig höher gewichten. Firmen könnten ihr Eigenkapital und ihre Rücklagen erhöhen, um weniger krisenanfällig zu werden. Firmen würden sich so auf eine Welt mit höheren Risiken, zum Beispiel durch zukünftige Pandemien, besser einstellen.
Ähnliche Motive könnten auch Staaten verfolgen. Der Staat werde als Akteur stärker hervortreten, stärker regulieren und auch stärker durchgreifen, um die Wirtschaft widerstandsfähiger gegen Krisen zu machen, meint Priddat. Die Produktion von Arzneimitteln beispielsweise könnten Länder durch Anreize ins eigene Land verlagern, das sei zwar teurer, biete aber mehr Sicherheit.
Die Krise habe aber auch gezeigt, wie stark unser Wohlfahrts- und Sozialsystem vor der Corona-Pandemie aufgestellt war. Kurzarbeitergeld beispielsweise sei eine starke Errungenschaft, die viele soziale Härten abgefedert habe. Als reiches Land könne man das finanzieren, allerdings sei das auch über Schulden erkauft. Ob die Krise auch Spielräume für weitere Verbesserungen biete, müsse man sehen. "Ich bin froh wenn wir das Niveau halten, das wir hier in Europa haben und vor allem hier in Deutschland", sagte Priddat.