Bei Marine Harvest in Poullaouen, im tiefsten Zentrum der Bretagne, steht die Belegschaft heute nicht am Fließband, um Räucherlachs zu verpacken. Sondern an der Schnellstraße vor dem Fabriktor, um Flugblätter zu verteilen. Denn die norwegische Gruppe Marine Harvest Kritsen, weltweiter Marktführer, will die Fabrik in Poullaouen in einem halben Jahr dichtmachen. Das Aus für 187 Festangestellte und fast ebenso viele Saisonkräfte, erklärt Nicole Deborne einem Autofahrer:
"Wir sind wütend, denn die Gruppe macht Rekordgewinne."
"Ja, ich weiß. Und ich finde es skandalös, dass ein Betrieb, der Gewinn einfährt, Leute entlässt. Wenn alle Unternehmen so verfahren würden, läge Frankreich in kürzester Zeit am Boden. Viel Glück!"
Oliver Hommel ist seit vier Jahren bei Marine Harvest. Der Hilfsarbeiter kam wegen seiner Freundin her. Heute ist er zweifacher Vater. Und demnächst auf Arbeitssuche.
"Wir müssen halt umziehen, nach Brest. Das ist eine größere Stadt. Und hier ist alles tot, das kann man vergessen. Weil, das sind ja nicht nur 300 Personen, die hier gehen müssen, das sind ja 300 Familien, die da dranhängen. Da sind ja alles, Intermarche, Leclerc, die großen Supermärkte davon betroffen und Boulangerie, Bäcker, alles, was dazugehört."
Montagabend, als die Belegschaft von Marine Harvest in Streik tritt, stürmen eine halbe Stunde Autofahrt entfernt in Morlaix 200 Demonstranten den Sitz des Präfekten: Angestellte von Tilly Sabco, spezialisiert auf Gefrierhühner für den Export. Finanziert hat sich der Betrieb bislang vor allem dank der Exportsubventionen der Europäischen Union. Die wurden im Sommer gestrichen. Während Brasilien mit billigen Hühnern den Weltmarkt überschwemmt. Nun stehen laut dem Chef von Tilly Sabco in der Gegend fast tausend Arbeitsplätze auf dem Spiel. Eventuell auch die seiner Familie, fürchtet Landwirt Gildas Le Jeanne. Seit seiner Rente führen die Töchter den Hühnerhof weiter. Und beliefern auch Tilly Sabco.
"Was heute passiert, habe ich noch nie zuvor erlebt. Bislang kamen wir mit unserem Geflügelbetrieb immer problemlos klar. Jetzt aber weiß ich nicht, wie es angesichts der ausländischen Billigkonkurrenz weitergehen soll. Erschwerend kommt hinzu, dass die Regierung in Paris sich alle Nase lang neue Steuern ausdenkt. Wir sollen billiger produzieren, aber wie soll das gehen, wenn dauernd neue Steuern erlassen werden."
Die Liste der Betriebe, die in der Bretagne um ihre Zukunft fürchten, wird fast täglich länger. Die Bevölkerung reagiert mit solidarischem Schulterschluss. Der Protestmarsch im Provinzstädtchen Quimper vergangenen Samstag versammelte über 20.000 Teilnehmer: Da marschierten beispielsweise Unternehmer Seite an Seite mit ihren Angestellten, sogar das Baugewerbe war vertreten. Um die Arbeitsplätze in der Bretagne zu verteidigen, verlangen sie mehr wirtschaftspolitische Entscheidungsmacht für die Region. Fast alle Teilnehmer trugen eine rote Mütze - Symbol der bretonischen Protestbewegung, die vor drei Wochen geboren wurde, beim Kampf gegen die Einführung der LKW-Maut. Diese sogenannte Ökosteuer hat die Regierung in Paris zwar daraufhin auf Eis gelegt. Aber dennoch ertönten bei der Demo in Quimper Sprechchöre, Francois Hollande solle abtreten. Bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2012 hatte die Bretagne noch massiv für den sozialistischen Kandidaten gestimmt. Heute wird der Regions-Präfekt Verhandlungsrunden mit dem bretonischen Protestmarsch-Komitee einläuten. Um den Brand im Westen zu löschen, bevor er auf andere Landesteile überspringt. Am Freitag ist Landwirtschaftsminister Stephane Le Foll in der Bretagne, auf Werbetour für den kürzlich von Paris als Krisenhilfe beschlossenen sogenannten Zukunftspakt: 15 Millionen Euro für die bretonische Wirtschaft. Regine Le Gall, Betriebsrätin in der Lachsfabrik Marine Harvest, ist davon keineswegs beeindruckt.
"Wir wollen, dass unsere Fabrik nicht dichtmacht. Uns Geld zu versprechen - schön und gut. Aber wo will die Regierung das Geld denn hernehmen? "