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Wirtschaftliche Folgen des Brexit
"Ganz Europa wird unattraktiver als Standort"

Weil der Markt der Rest-EU kleiner wird, werde die wirtschaftliche Dynamik des Kontinents unter dem Brexit leiden, sagte der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, im DLF. Eine Schlüsselfrage für die europäische Wirtschaft sei, ob der Finanzsektor in den EU-Binnenmarkt integriert bleibe.

Clemens Fuest im Gespräch mit Dirk Müller |
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest, posiert vor einem Schild mit der Aufschrift "ifo".
    Der Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest. (picture alliance / dpa / Christina Sabrowsky)
    Es sei anzunehmen, dass das Ausscheiden Großbritanniens aus der EU unumkehrbar sei. Allerdings sei die Zweijahresfrist, die nach Beginn der Austrittsverhandlungen in Kraft tritt, für Großbritannien sehr nachteilig, weil das Land automatisch ausscheiden würde, auch wenn es nicht zu einer Einigung und neuen Verträgen mit der EU kommen sollte.
    Es sei deutlich schwerer, alles bilateral zu vernetzen. Fuests Auffassung nach werde es - ähnlich wie mit der Schweiz - zu einem speziellen Großbritannien-Abkommen mit vielen Einzelregeln kommen, und es werde umständlich, dieses auszuhandeln.
    Großbritannien müsse sich sehr stark umstellen, so Fuest, da der Markt heute ausgerichtet auf die EU-Mitgliedschaft sei. Eine Schlüsselfrage sei, ob der Finanzsektor integriert bleibe. Wenn das nicht so sei, würden viele Banken London verlassen und sich möglicherweise außerhalb der EU ansiedeln. Ganz Europa werde unattraktiver als Standort, weil der Markt der Rest-EU kleiner werde. "Wenn ich darüber nachdenke, Investitionen anzusiedeln, ist es besser in einem großen Markt zu sein als in einem kleinen fragmentierten Markt", sagte Fuest.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Der Brexit und die wirtschaftlichen Folgen. Nehmen wir ein Beispiel: Der Billigflieger easyJet befürchtet, dass die Geschäfte massiv leiden werden unter der Entscheidung der vergangenen Woche. EasyJet korrigiert seine Gewinnprognose deutlich nach unten, die Aktie hat zum Teil 30 Prozent an Wert verloren. Und der britische Luftfahrtverband rechnet für die gesamte Branche mit spürbaren Einbrüchen.
    Machen wir den Horizont etwas größer: Die europäischen Bankenaktien sind unter Druck, wie seit Monaten nicht mehr. Das Pfund ist auf einem Tiefstand. Viele große Geldhäuser überlegen, den Finanzplatz London zu verlassen. Die Flucht in sichere deutsche Staatsanleihen geht weiter, trotz Negativzins. Der gesamte Aktienmarkt reagiert äußerst anfällig, die Großanleger sind verunsichert, die Kleinanleger sowieso, ziehen sich fast komplett zurück. Andererseits: Die Entscheidung auf der Insel ist gerade einmal ein paar Tage alt und vielleicht wird ja bald wieder ruhiges Fahrwasser erreicht, in Europa und auch in Großbritannien. Darüber sprechen wir nun mit dem früheren Wahlengländer Professor Clemens Fuest, jetzt Chef des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, viele Jahre lang als Professor an der Universität in Oxford tätig. Guten Morgen!
    Clemens Fuest: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Fuest, kommt alles wieder ins Lot?
    Fuest: Das wird ein bisschen dauern und so wie vorher wird es wohl nie wieder. Es ist anzunehmen, dass der Brexit unumkehrbar ist, obwohl doch jetzt der eine oder andere diskutiert, ob man das Ganze nicht doch noch verzögern kann, aufheben kann. Verzögern wird man es, aber aufheben - ich glaube, die Chancen dafür sind gering und die Erschütterungen sind schon sehr groß.
    "Zurückdrehen kann man das Ganze nicht"
    Müller: Sie sagen, man kann es nicht aufheben. Ist Verzögern dann die richtige Devise?
    Fuest: Das ist ja die Frage. Es ist so, dass die Briten das Ganze wohl verzögern werden, weil das Austrittsabkommen für das austretende Land sehr, sehr nachteilig ist. Man erklärt den Austritt und dann läuft eine Zwei-Jahres-Frist, und wenn es in der Zwei-Jahres-Frist nicht zu einer Einigung kommt, dann erlöscht die Mitgliedschaft des betreffenden Landes automatisch, und das ist sehr, sehr unattraktiv. Man ist in einer schlechten Verhandlungsposition, es reicht eine Sperrminorität im Rat. 35 Prozent der Stimmen im Rat reichen aus, um ein Abkommen zu verhindern. Es wird eher so sein, dass die Engländer versuchen werden, erst zu verhandeln und dann diesen Austritt zu erklären, aber es ist die Frage, ob die EU da mitspielen wird. Insofern gibt es eine gewisse Verzögerung, aber ich denke, zurückdrehen kann man das Ganze nicht.
    Müller: Ökonomisch betrachtet, Herr Fuest, ist es dann nicht besser, ein bisschen auf Zeit zu spielen beziehungsweise Zeit zu gewinnen, um in Ruhe vernünftige Kompromisse, Regelungen zu finden?
    Fuest: Die Gefahr ist, dass die Unsicherheit, die jetzt herrscht, Unsicherheit darüber, wie dann das Abkommen am Ende aussieht und wie es weitergehen wird mit England, dass diese Unsicherheit umso länger anhalten wird, und Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Die Unternehmen warten dann erst mal ab mit neuen Investitionen. Viele Arbeitnehmer fürchten um ihre Arbeitsplätze und warten auch ab, bevor sie sich zum Beispiel ein neues Auto kaufen. Diese Phase der Unsicherheit wird dadurch verlängert. Andererseits ist klar: Man kann einen so wichtigen Prozess nicht übers Knie brechen und es bleibt der Umstand, dass man das Austrittsverfahren so konstruiert hat, mit dieser Zwei-Jahres-Frist, mit der Sperrminorität, dass es sehr, sehr ungünstig ist für das austretende Land. Das hätte man vielleicht anders machen müssen.
    Es ist übrigens so: Um diese Zwei-Jahres-Frist zu verlängern, braucht man sogar einen einstimmigen Beschluss des Rates. Deshalb wird die britische Regierung sicherlich warten.
    Müller: Ich muss Sie jetzt was fragen als erfahrener Ökonom. Wenn Sie als Mediator zwischen beiden Seiten zu fungieren hätten, zwischen Brüssel und London, könnten Sie dann mit gutem Gewissen sagen, alles was wir jetzt multilateral vernetzt haben, wäre das auch bilateral zu lösen?
    Fuest: Das ist deutlich schwerer, von außerhalb der EU ähnliche Bedingungen herzustellen. Das könnte ja ein Ziel sein der Verhandlungen. Das ist natürlich deutlich komplizierter. Klar: Man kann einen Vertrag machen mit sehr allgemeinem Charakter, der im Grunde so was Ähnliches herstellt wie die EU-Mitgliedschaft, aber es ist sehr schwierig.
    Müller: Aber alles das, was mit der Schweiz geht, alles das, was mit Norwegen geht, das müsste doch auch mit Großbritannien gehen?
    Fuest: Im Prinzip ja. Das Problem ist nur, dass für das Modell Norwegen zum Beispiel die Briten die Regelungen des europäischen Binnenmarktes komplett übernehmen müssten, und sie wollen ja gerade raus, weil sie zum Beispiel die Migrationsregeln nicht wollen. Sie werden am Ende kaum sich zufriedenstellen mit einer Situation, in der alle Binnenmarktregeln, alle Brüsseler Regulierungen in Großbritannien gelten, sie aber nicht mehr darüber mitbestimmen können, wie diese Regulierungen weiterentwickelt werden. Das werden die Briten nicht wollen.
    Spezielles Großbritannien-Abkommen mit vielfältigen Einzelregelungen
    Müller: Das Schweizer Modell, ist das eine Möglichkeit?
    Fuest: Schon eher, weil in der Schweiz haben wir eine große Zahl, über 100 einzelner Abkommen. Es ist ziemlich umständlich, das auszuverhandeln. Aber es wird wohl eher in diese Richtung gehen. Das heißt, es wird wahrscheinlich ein spezielles Großbritannien-Abkommen geben mit vielfältigen Einzelregelungen.
    Müller: Könnte man wirtschaftlich auch ganz gut ohne die EU leben, am Beispiel Schweiz gesehen?
    Fuest: Ja, das kann man, wobei auch in der Schweiz die Kosten des Handels mit der EU schon höher sind als in einem EU-Land. Der Schweiz geht es aus anderen Gründen ziemlich gut, aber Großbritannien hat etwas andere Bedingungen und vor allem müsste Großbritannien sich erst mal sehr stark umstellen. Heute ist das Land ausgerichtet auf die EU-Mitgliedschaft und man muss sich an die neue Lage anpassen. Es ist die Frage, sicherlich eine Schlüsselfrage, bleibt der Finanzsektor in die EU integriert. Wenn das nicht so ist, dann werden sicher viele Banken London verlassen.
    "Ganz Europa wird letztlich unattraktiver"
    Müller: Der Finanzsektor bleibt integriert? Geht viel jetzt schon, steht das fest, nach Frankfurt?
    Fuest: Ja. Es wird sicherlich auch einiges nach Luxemburg gehen oder nach Paris. Bestimmte Geschäfte werden sogar vielleicht ganz abwandern aus Europa, eher nach New York und Hongkong. Das ist ja eine andere negative Folge dieses Brexit-Votums, dass ganz Europa letztlich unattraktiver wird als Standort, weil der Markt der Rest-EU kleiner wird. Europa ist geteilter, die wirtschaftliche Dynamik wird leiden. Die Gewinne in Frankfurt werden sicherlich deutlich kleiner sein als das, was London verliert.
    Müller: Warum spielt das bei einer Aktie eine Rolle? Nur als Beispiel, wir dürfen das ja gar nicht offiziell, mache ich jetzt mal trotzdem. Wenn ich eine Apple-Aktie kaufe, warum ist das ein Unterschied, ob jetzt London in der EU ist oder nicht?
    Fuest: Für so ein einfaches Geschäft, wie eine Aktie zu kaufen, macht das keinen großen Unterschied. Aber wenn ich darüber nachdenke, Investitionen anzusiedeln, dann überlege ich natürlich, ich möchte in einem großen Markt sein. Das ist effizienter, als wenn ich in einem kleinen fragmentierten Markt bin. Also werden die realen Investitionen kleiner sein und damit auch der Finanzierungsbedarf in Europa, und das wirkt sich auf den Finanzmarkt aus.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Clemens Fuest, Chef des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Fuest: Ihnen auch. Tschüss, Herr Müller.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.