"Der ethische Utilitarismus ist tatsächlich eine Theorie, die sich um das Wohlergehen aller von einer Handlung Betroffenen kümmert." - Professor Bernward Gesang, Philosoph, Universität Mannheim.
"Das Ethische ist eigentlich nur anständige Geschäftspraxis. Man liefert gute Dinge, ist vernünftig und anständig, auch den Mitarbeitern gegenüber, das ist im Grunde gutes altes Unternehmertum." - Professor Birger Priddat, Ökonom, Universität Witten-Herdecke.
"Die Frage ist, ob es uns gelingt, in unser ökonomisches System, den Kapitalismus mit seinen Mechanismen - also dem Gewinnerwirtschaftungszwang, den Wachstumszwang, ob es in dem System möglich ist, Zukunftsbelange in Gegenwartshandeln zu integrieren." - Professor Reinhard Loske, Wirtschaftswissenschaftler, Universität Witten-Herdecke.
Nicht allein auf die Rendite schauen
Drei Wissenschaftler, drei Stimmen in der Debatte, ob und welche ethischen Grundsätze wirtschaftliches Handeln benötigt, wenn es dem Menschen dienen soll. Lange Zeit galt das Credo des amerikanischen Ökonomen Milton Friedman: "Die einzige Verantwortung, die Unternehmen haben, ist ihren Profit zu steigern." Unbedingte Gewinnorientierung, das schien ökonomisch vernünftig, denn es sichert den Fortbestand des Unternehmens, also auch die Arbeitsplätze; es bedeutet Steuereinnahmen für das Gemeinwesen. Und den Rest, so glaubten viele, regelt der Markt zugunsten aller. Aber bedingungsloses Gewinnstreben, das hat die jüngste Finanzkrise drastisch vor Augen geführt, kann viele in den Ruin stürzen und ganze Volkswirtschaften an den Abgrund treiben.
Innerhalb der modernen Ökonomie hatte man schon vor der Finanzkrise begonnen, umzudenken, lehrt, nicht allein auf die Rendite zu schauen, sondern sich am so genannten Stakeholder-Prinzip zu orientieren. Der Begriff Stakeholder, auf deutsch Teilhaber, umfasst all diejenigen, die am wirtschaftlichen Handeln eines Unternehmens auch über die Betriebsgrenzen hinweg beteiligt oder davon betroffen sind.
Birger Priddat: "Man nennt das Multistakeholder-Ansatz, wo Sie die verschiedensten Ansprüche und Bedingungen mitberücksichtigen. Sie können nicht nur ihren Geldgebern Geld versprechen, sondern sie müssen auch ihre Mitarbeiter so behandeln, dass sie leistungsbereit bleiben, wenn Sie nur die einen bedienen, dann demotivieren Sie die anderen. Aber die Mitarbeiter machen die Arbeit, die bilden die Grundlage dafür, dass Sie Geld verdienen."
Gerechtigkeitsproblem auf gleich drei Ebenen
Mitarbeiter und ihre Familien, Kunden und Geschäftspartner, alle soll das Management in seinen Entscheidungen berücksichtigen. Diese erweiterte Perspektive, so Priddat, sei im klassischen Management lange Zeit vernachlässigt worden. Für Bernward Gesang jedoch ist die Perspektive noch nicht umfassend genug:
"Der Utilitarist hat eben eine Konzeption von allgemeinem Wohl, wo er sagt, alle Interessen müssen berücksichtigt werden, auch die der künftig lebenden Menschen. Und eine Handlung ist nur dann nützlich, wenn sie die Interessen insgesamt maximiert. Bei Milton Friedman kann man zwar erklären, dass einige Interessen berücksichtigt werden, aber einige Interessen werden auch systematisch untergebuttert, zum Beispiel die von Arbeitnehmern, von künftigen Generationen und so weiter."
Der Volkswirtschaftler Reinhard Loske sieht ökonomisches Handeln, wenn es human und verantwortlich ausgerichtet sein soll, vor eine große Herausforderung gestellt, vor ein Gerechtigkeitsproblem auf gleich drei Ebenen:
"Grundsätzlich würde ich sagen, es sind drei Perspektiven, die wir einbeziehen müssen, die Frage der intergenerativen Gerechtigkeit, also alle Generationen, die nach uns folgen, dass wir denen genug Ressourcen und bekömmliche Lebensbedingungen überlassen - das ist ein großes Thema. Das zweite ist aber natürlich auch die Auswirkung unseres Wirtschaftens auf andere Teile der Welt, Stichwort: Ressourcenimporte und anderes mehr. Und dann natürlich die Gerechtigkeit zwischen den heute Lebenden, also die Gerechtigkeitsdimension geht weit über die Verteilungsgerechtigkeit, wie wir es gewohnt sind, zu diskutieren hinaus."
Gesangs Vorschlag basiert auf klimaökologischen Berechnungen
Doch wie können Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in einer immer komplexeren Welt, im Zeichen der Globalisierung, sich solchen Herausforderungen angemessen stellen. Wo kann man ansetzen? - Vor genau 50 Jahren haben die Vereinten Nationen zwei große Menschenrechtsabkommen beschlossen, den sogenannten Zivilpakt mit den politischen und bürgerlichen Rechten auf der einen Seite, und den so genannten Sozialpakt auf der anderen Seite, wo wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte verbrieft sind. Zu dieser zweiten Gruppe zählen insbesondere das Recht auf Arbeit, das Recht auf einen angemessenen Lohn, auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, Schutz vor Ausbeutung, und das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard.
Trotz dieser Vertragsverpflichtungen ist das Gefälle zwischen den reichen Ländern im Norden und den armen im Süden noch größer geworden in den letzten Jahrzehnten. Und der Raubbau an der Natur, die Auswirkungen des Klimawandels drohen das Leben auf der Erde zu gefährden, wobei es die Ärmsten wohl zuerst treffen würde. Hier setzt der große Lösungsvorschlag von Bernward Gesang in seinem gerade erschienenen Buch Wirtschaftsethik und Menschenrechte an. Der Vorschlag basiert auf klimaökologischen Berechnungen, erläutert Reinhard Loske:
"Wir wissen, dass die grünen Pflanzen, die Böden, die Ozeane jedes Jahr ungefähr 13 bis 14 Milliarden Tonnen CO2 aufnehmen können, das ist die sogenannte Senkenfunktion. Wir stoßen aber viel mehr aus, 35 bis 40 Milliarden Tonnen CO2. Das heißt, wir müssen im Weltmaßstab deutlich runter. - wenn man jetzt sagt, wir dürfen 14 Milliarden Tonnen, wir sind aber 7 Milliarden Menschen, dann dürfte jeder Erdenbürger zwei Tonnen CO2 pro Jahr ausstoßen. Wir Deutschen stoßen aber zehn Tonnen aus, die Nordamerikaner stoßen 20 Tonnen aus."
Gesangs Modell löst gleich zwei Menschheitsprobleme auf einmal
Auf Basis dieser Zahlen schlägt Bernward Gesang einen weltweiten Emissionshandel vor, einen großen ethisch motivierten Deal: Menschen in den Industrieländern, die durch ihre Lebensweise das Zwei-Tonnen-Limit überschreiten, müssten auf dem Weltmarkt Zertifikate erwerben, also sich freikaufen bei denjenigen, die unter ihrem Limit bleiben:
"Also die 1,5 Tonnen, die der Inder nicht nutzt, sind als Verkaufsmasse zum Beispiel möglich. Und das hat den angenehmen Nebeneffekt, dass der US-Bürger, der ja eben sehr reich ist, dem Inder dafür Geld zahlen muss. Der Inder ist der Besitzer dieser Zertifikate und er ist sozusagen auch der Verkäufer. Das heißt, der heute arme Inder - er verbrauchte eben aufgrund seiner Armut wenig, weil er eben nicht viel Konsum betreibt und wenig Industrie im Land hat - der bekommt jetzt Zahlungen von den USA, wäre damit dem aktuellen Armutsproblem ein Stück weit entronnen."
Gesangs Modell löst gleich zwei Menschheitsprobleme auf einmal: das Armutsproblem der Entwicklungsländer und die Bewältigung des Klimawandels, die soziale Frage zugleich mit der ökologischen Herausforderung, indem es Gegenwarts- und Zukunftsaufgaben zusammenführt. Aber das elegante Modell hat einen Schönheitsfehler: Es sei völlig unrealistisch, so Priddat, ja weltfremd, wenn man auf die Chancen seiner politischen Umsetzung schaut.
"Schöne Idee. Rechnen kann man alles. Praktisch wird sich das nicht durchsetzen: Indien und China würden sich zum Beispiel nie daran beteiligen. Sie würden sagen, wir wollen eher einen noch höheren Pro-Kopf-Ausstoß haben, weil wir die industrielle Entwicklung, genauso wie ihr sie zwei Jahrhunderte gemacht habt, nachholen wollen. Unabhängig davon, dass die Amerikaner natürlich Nein sagen werden, sind das alles "nice to have" - schöne Spekulationen von Wissenschaftlern, die auch gerne einmal eine logische Analyse machen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen, ich bin der Meinung, Wissenschaft muss immer die Bedingungen, unter denen ihr Vorschlag realisierbar ist, mitdenken."
Global Players in der Pflicht
Ungeachtet der Durchsetzbarkeit beharrt Bernward Gesang darauf, dass sich wirtschaftliches Handeln an den Menschenrechten ausrichten müsse und sie nicht missachten dürfe. Nun ist der Schutz der Menschenrechte eigentlich eine Aufgabe des Staates. Aber in vielen Ländern sind staatliche Strukturen schwach oder sogar zerfallen. Umgekehrt ist gerade großen Unternehmen eine staatsähnliche Macht zugewachsen. Der amerikanische Ethik-Professor John Ruggie sieht deshalb die Global Players in der Pflicht, für die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen.
1999 haben die UN zu einem sogenannten United Nations Global Compact - einem Globalen Pakt der Vereinten Nationen - aufgerufen. Weltweit kann jedes Unternehmen diesem Vertrag mit der UN beitreten. Dann verpflichtet es sich freiwillig, in den vier Bereichen - Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umwelt und Entwicklung sowie Korruptionsbekämpfung - 10 aufgestellten Prinzipien zu folgen, gleichsam den zehn Geboten einer globalen Wirtschaftsethik:
Bernward Gesang: "Die meisten Global Compact-Mitglieder, denen muss man ehrenwerte Motive unterstellen. Aber das Problem ist, dass es keine wirklichen Kontrollmechanismen gibt, die Unternehmen müssen in bestimmten Abständen Erklärungen abgeben, was sie getan haben, inwiefern sie diesen Zielen Menschenrechte durchzusetzen gerecht geworden sind, aber es gibt keinen Sanktionsmechanismus, wenn Unternehmen ausscheiden oder eben nichts tun oder Berichte abgeben, die zeigen, dass das Unternehmen eigentlich nur Publicity betrieben hat, und gar nichts Substantielles geändert hat."
Maßnahmen von Unternehmen einfordern
Birger Priddat, der pragmatischer an wirtschaftsethische Fragen herangeht als Bernward Gesang, sieht hier gleichwohl unverzichtbare Schritte und Maßnahmen, die die Öffentlichkeit von multinationalen Unternehmen einfordern müsse. Konkret zeigte sich das bei der jüngsten Brandkatastrophe in einem Textilwerk in Bangladesch.
"Textilfirmen, wo Feuer ausgebrochen ist und Tausende von Arbeiterinnen umgekommen sind, weil überhaupt keine Arbeitssicherheitsbedingungen da waren, die Türen versperrt waren, die Leute erschöpft waren, - da sind deutsche Firmen dabei gewesen, die Aufträge vergeben haben. Und im Rahmen der Vertragsverhandlungen kann man natürlich Bedingungen setzen, zum Beispiel: Brandschutz, Feuerlöscher, Sicherheitswege müssen offen sein, es darf nicht zu schwül sein, die Elektrik muss kontrolliert werden - ganz primitive Dinge, die bei uns zum Arbeitsschutz gehören, die kann man vertraglich durchsetzen. Da gibt es keine Ausrede, das können Sie regeln. Sie müssen das allerdings auch kontrollieren."
Der Kampf für eine humanere Welt trifft auf den fatalen Umstand, dass die großen Aufgaben, Bekämpfung von Hunger und Elend, die Bewältigung des Klimawandels einen langen Atem verlangen, während das politische Geschäft, welches wirtschaftliche Rahmenbedingungen setzen soll, zu schnellem, für den Wähler sichtbaren Erfolg verdammt ist. Der Volkswirtschaftler Reinhard Loske war bis 2011 Bremer Senator für Umwelt, Bau und Verkehr:
"Es ist nicht nur die Politik, die maximal in Legislaturperioden denkt, sondern auch die Wirtschaft, die sehr stark in Quartalszahldimensionen denkt, auch viele Konsumenten sind sehr kurzfristig orientiert, also die Kurzfristorientierung, das Leben im Hier und Jetzt ist kein rein politisches Phänomen."
Braucht man neue Institutionen oder Gremien?
Gleichwohl stellt sich die Frage, ob unsere Demokratie mit ihren Wahlzyklen geeignet ist, Lösungswege für langfristige Ziele zu entwickeln und auch durchzuhalten. Braucht man neue Institutionen oder Gremien, gleichsam einen Anwalt für die Menschenrechte der noch Ungeborenen?
Bernward Gesang: "In Ungarn von 2008 bis 2012 war so etwas schon einmal realisiert, da gab es einen parlamentarischen Sekretär für die Rechte zukünftiger Generationen, der vom Parlament eingesetzt worden ist, der sogar ein Vetorecht gegenüber Gesetzen hatte, von denen er der Meinung war, dass sie eklatant zu Lasten künftiger Generationen gehen."
Nach der autoritären Wendung Ungarns unter Victor Orban konnte man dieses in der Verfassung verankerte Amt zwar nicht aufheben, so Bernward Gesang, aber man hat den Inhaber so lange finanziell ausgetrocknet, bis er sein Amt niedergelegt hat.
"Umweltschutz ist nur ein Staatsziel"
Wie schaut es in Deutschland aus? Welche Möglichkeiten bestehen hierzulande, um langfristige Aufgaben wie Klimawandel, soziale Gerechtigkeit oder humane Arbeitswelt mit den Legitimationszyklen der Demokratie zu verbinden. Reinhard Loske:
"Heute ist Umweltschutz nur ein Staatsziel, kein Grundrecht wie die Gewerbefreiheit oder die Forschungsfreiheit, das müsste eine Aufwertung erfahren in der Verfassung. Dann kann es auch in Einzelgesetzen, im politischen Alltagshandeln viel besser wirksam werden. Die andere Möglichkeit ist, dass man Gremien einrichtet, einen Zukunftsrat oder eine dritte Kammer oder einen Nachhaltigkeitsrat, in denen dann diejenigen sitzen, die systematisch über Langzeitinteressen wachen bis hin zur Ausstattung mit einem Vetorecht, wobei die Frage nicht trivial ist, wie so ein Rat besetzt wird, wie weit er selbst demokratisch legitimiert ist. Das läuft dann oft auf so Vorschläge hinaus, dass weise alte Männer darüber wachen, dass die Gesellschaft sich vernünftig verhält - gewisse Zweifel habe ich da schon, muss ich sagen."