Sina Fröhndrich: Lieber Kopftuchmädel als Bund Deutscher Mädel: Siemens-Chef Joe Kaeser mischt sich ein. Er twittert fröhlich gegen AfD-Chefin Alice Weidel, er fordert Engagement gegen Populismus, aber er fühlt sich dabei allein gelassen. Eine gemeinsame Initiative im Kampf gegen Populismus - dafür habe er von anderen Konzernchefs keine Zusage bekommen. Denn AfD-Wähler seien auch mögliche Käufer von Autos und Turnschuhen. Kaeser selbst habe mit Siemens ja kein Endkundengeschäft.
Müssen Konzernlenker mehr Farbe bekennen? – Darüber habe ich mit dem Wirtschaftsethiker Michael Aßländer gesprochen - vom Lehrstuhl für Sozialwissenschaften am Hochschulinstitut Zittau, das zur TU Dresden gehört.
Michael Aßländer: Es gibt in der Business Ethics ein Phänomen, das nennt sich Corporate Advocacy, und da geht es genau darum, dass Unternehmen politisch Stellung beziehen und sich zu gesellschaftspolitischen Themen äußern. Das funktioniert dann ganz gut, wenn es sich um Themen handelt, zu denen ein breiter Konsens besteht. Schwierig wird die Sache allerdings dann, wenn Unternehmen sich zu kritischen gesellschaftspolitischen Themen äußern. Nehmen Sie beispielsweise mal die Waffengesetzgebung in den USA. Man wird sehr leicht einen Konsens herstellen können in Sachen Rassismus oder Diskriminierung, aber die Frage ist natürlich, wie weit darf diese Einmischung von Konzernen gehen, und da muss man sich auch vor Augen halten, dass die Öffentlichkeitswirkung, die ein Konzernchef wie Joe Kaeser erzielt, natürlich wesentlich größer ist als vergleichsweise die breite Öffentlichkeitswirkung eines kleinen Schreinermeisters am Stammtisch. Das muss wohl überlegt sein. Aber solange es sich um gesellschaftspolitisch relevante Themen handelt, zu denen auch ein bestimmter Konsens besteht, scheint mir das durchaus auch sinnvoll zu sein.
Fröhndrich: Das heißt, Joe Kaeser lehnt sich da nicht so sehr aus dem Fenster, sondern es ist eigentlich angemessen, und es wäre auch angemessen, dass ihm andere folgen?
Aßländer: Ja, denke ich durchaus.
Kein Zusammenhang zum Standort Görlitz
Fröhndrich: Wenn wir das jetzt so bewerten, dann könnte man ja sagen, Joe Kaeser steht da eigentlich ganz gut da. Aber wenn wir jetzt mal auf Siemens schauen: Jetzt ist ja ausgerechnet Siemens ein Konzern, der ein Werk in Görlitz hat. Das stand zur Disposition. Görlitz in Sachsen, in einem Bundesland, in dem die AfD gute Werte erzielt hat. Jetzt ist man inzwischen davon abgerückt, das Werk zu schließen, sagt, man steht an der Seite der Mitarbeiter. Trotzdem gab es erst mal diese Meldung. Ist das nicht ein bisschen zynisch?
Aßländer: Nein, glaube ich nicht. Ich denke zunächst mal, dass das zwei getrennte Überlegungen sind, einmal zu sagen, ich beziehe gesellschaftspolitisch zu einem Thema Stellung, und das andere ist getragen von wirtschaftlichen Überlegungen, rentiert sich ein Standort, muss ich einen Standort schließen oder verlagern. Ich glaube, das sind zwei vollkommen getrennt voneinander gemachte Überlegungen.
Und man darf zum zweiten natürlich nicht aus dem Auge verlieren, dass Joe Kaeser hier direkt auf eine Aussage von Frau Weidel reagiert hat und sich da nicht irgendwie etwa zum Thema Wahlverhalten einer bestimmten Region geäußert hat. Ich denke, dass das tatsächlich eine Reaktion auf eine Äußerung von Frau Weidel war und wenig mit der Diskussion um den Standort in Görlitz zu tun hat.
Deutschland-Bild im Ausland zurechtrücken
Fröhndrich: Nun könnte man aber trotzdem sagen, die AfD ist in Sachsen deswegen so erfolgreich, weil sich viele Menschen dort auch allein gelassen fühlen, und in dem Fall wäre man dann auch von Siemens allein gelassen.
Aßländer: Nun, erstens wurde die Konzernentscheidung ja revidiert, und zum zweiten ist natürlich die Frage, ob Siemens tatsächlich mit seiner Entscheidung alleine ausschlaggebend ist für ein Wählerverhalten in einer bestimmten Region.
Fröhndrich: Wir haben es jetzt angesprochen: Andere DAX-Konzernchefs sind eher zurückhaltend. Ist es denn für einen Konzern wie Siemens einfacher, sich politisch zu äußern, weil keine Kundengruppe verprellt wird, weil Turbinen ja nicht unbedingt für den Endkunden bestimmt sind? So sagt es Joe Kaeser auch selbst: Er hat ja kein Konsumentengeschäft.
Aßländer: Na ja, ich denke, das stimmt so auch nicht ganz. Denn natürlich hat auch Joe Kaeser Kunden und die befinden sich nun gerade ja im Ausland. Das heißt, man könnte durchaus vermuten, dass es Joe Kaeser mit seiner Äußerung auch darum geht, das Deutschland-Bild im Ausland und damit dann natürlich auch für seine Kunden wieder etwas zurechtzurücken.
Fröhndrich: Das heißt, insofern würde er dann davon profitieren, oder würde das dann doch nicht einfach aus politischer Überzeugung sagen, sondern hat dann doch ein wirtschaftliches Interesse vielleicht?
Aßländer: Das ist durchaus möglich, aber wir befinden uns da natürlich im Bereich der Spekulation. Das ist natürlich sehr schwer zu beurteilen. Einerseits kann man das natürlich als strategische Verhaltensweise interpretieren, nämlich das Deutschland-Bild auf den ausländischen Märkten zu Gunsten von Siemens mit einem klaren Statement zurechtzurücken. Andererseits kann man natürlich auch unterstellen, dass es sich bei dieser Äußerung und bei diesem Auftritt natürlich auch um eine moralische Entrüstung von Joe Kaeser persönlich handelt.
"Zeichen von Zivilcourage und Anstand"
Fröhndrich: Schauen wir noch mal auf einen anderen Termin: Abendessen oder Essen bei Donald Trump in Davos beim Wirtschaftsforum. Da hat er die Steuerreform von Donald Trump gelobt, und man hätte Trump sicherlich auch den einen oder anderen kritischen Ton entgegnen können. Hört das politische Engagement von Unternehmenschefs dort auf, wo es an das eigene Geschäft geht?
Aßländer: Das ist schwierig zu beurteilen. Natürlich muss man, glaube ich, unterscheiden zwischen Joe Kaeser als Privatperson und Joe Kaeser als Vorstandsvorsitzender der Siemens AG, und natürlich wird er bei derartig offiziellen Anlässen versucht sein, die Interessen von Siemens zu wahren. Das halte ich für legitim, wenngleich auch hier natürlich die Frage, wie Sie richtig gesagt haben, offen bleibt, wie weit man hier gehen soll.
Aber trotzdem: Ich möchte das noch mal festhalten. Öffentlich gegen Rassismus und Diskriminierung aufzutreten, ist durchaus für mich ein Zeichen von Zivilcourage und Anstand - ein Wort, das wir heute vielleicht nicht mehr so oft verwenden. Aber ich denke, das muss man durchaus auch hier lobend nochmals hervorheben.
Eingriff ins tagespolitische Geschehen "sehr gefährlich"
Fröhndrich: Sollten Konzernchefs da insgesamt mehr Farbe bekennen, nicht nur innenpolitisch, sondern auch außenpolitisch vielleicht, und nicht immer nur Verbände vorschicken?
Aßländer: Ich denke, ja, wobei es sehr schwierig sein dürfte, hier die jeweiligen Grenzen abzustecken. Wenn es darum geht, in tagespolitische und tagesaktuelles Geschehen in der Politik einzugreifen, halte ich es für sehr gefährlich, wenn Unternehmen hier politische Entscheidungen dann möglicherweise auch zu ihren Gunsten zu beeinflussen versuchen. Das Stichwort Lobbying und die Diskussion um das Lobby-Verhalten großer Konzerne, das ist ja hinlänglich bekannt. Aber wenn es darum geht, für zentrale gesellschaftliche Werte einzutreten, Menschenrechte, Demokratie, wenn es darum geht, hier klar Stellung zu beziehen, dann, denke ich, ist es durchaus auch eine Aufgabe der Unternehmen, als politische Akteure hier klar Farbe zu bekennen.
Fröhndrich: Kritik am Asylstreit der Union, ist das angemessen? Wo würden sie das einordnen?
Aßländer: Ich glaube, das ist ein Thema, das sehr differenziert betrachtet werden muss, denn hier befinden sich die einzelnen Bundesländer natürlich in völlig unterschiedlichen Situationen. Von daher muss man da, glaube ich, sehr differenziert vorgehen. Aber wenn es darum geht, pauschal Urteile zu fällen und damit auch populistisch bestimmte Wählerkreise anzusprechen, hiergegen aufzutreten, das halte ich ebenfalls für durchaus legitim.
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