Jessica Sturmberg: Es kommt selten vor, dass sich eine Regierungschefin zu Tarifauseinandersetzungen äußert. In dem Fall hat Bundeskanzlerin Angela Merkel das getan und gesagt:
O-Ton Angela Merkel: "Wir erwarten jetzt erstmal von dem Unternehmen, dass es all das, was es versprochen hat, auch im Zusammenhang mit der Übernahme, auch einhält - und dann muss man über weitere Details sprechen. Aber die Bundesregierung fühlt sich gemeinsam mit den Landesregierungen hier auch in der Pflicht, dass ihre zu tun, um zu helfen und diese Gespräche laufen, und ich kann aber zu den Ergebnissen jetzt noch nichts sagen."
"Es muss einen Zukunftsplan für Opel geben"
Sturmberg: Angela Merkel bringt also ihr politisches Gewicht ein, um Arbeitsplätze in Thüringen zu sichern. Die Gewerkschaft und der Betriebsrat von Opel sprechen vom offenen Bruch des Tarifvertrages, die Mitarbeiter haben in den letzten Jahren schon viel verzichtet, um ihren Beitrag zur Sanierung zu leisten, jetzt wollen sie, dass nicht der aktuelle Tarifvertrag infrage gestellt wird, sondern dass über die Zukunft gesprochen wird: Also was passiert, wenn die bis 2020 gemachten Zusagen auslaufen?
Wie ist das jetzt einzuordnen? Das habe ich den Automobilexperten Stefan Bratzel, vom Center für Automotive Management an der FH Bergisch Gladbach gefragt.
Stefan Bratzel: Ich glaube, die Situation bei Opel ist schon sehr kritisch. Man darf nicht vergessen, dass man wiederum in diesem Jahr relativ viel Geld verlieren wird, wie schon die letzten 18 Jahre, und PSA kann sich nicht leisten, längerfristig größere Summen von Geld zu verlieren. Insofern muss man dafür sorgen, dass Opel in die schwarzen Zahlen kommt.
Gleichwohl ist es klar: Es muss natürlich auch einen Zukunftsplan für Opel geben. Aber den wird es nicht geben, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte nicht gewährleistet ist.
Sturmberg: Warum sehen Sie denn die Wettbewerbsfähigkeit der Standorte nicht gegeben?
Bratzel: Im Prinzip sind die Löhne relativ hoch im Vergleich der verschiedenen Standorte. Man darf nicht vergessen, dass auch osteuropäische Standorte in diesem Wettbewerbsvergleich mit hineinbezogen werden müssen von der PSA-Muttergesellschaft, und da geht es natürlich auch um entsprechende Auslastungen von Werken, weil: Nur, wenn eine relativ hohe Auslastung eines Werks gewährleistet ist, kann man auch rentabel produzieren. Im Prinzip ist das Produktionsnetzwerk aus meiner Sicht eigentlich noch überdimensioniert für die Absatzzahlen, die im Moment generiert werden.
Bratzel: Tarifverträge Ursache für rote Zahlen
Sturmberg: Wenn sich jetzt so ein Werk wie Eisenach derart reduzieren würde, dann sieht das ja nicht nach einer Zukunftsplanung aus. Das suggeriert den Mitarbeitern ja nicht, dass man dieses Werk in Zukunft auslasten möchte.
Bratzel: Ich glaube, dass die Mitarbeiter natürlich sehen wollen, wie sich auch in den deutschen Werken die Zukunft entwickelt. Da muss PSA sicherlich einen vernünftigen Plan vorlegen, wie denn die Zukunft aussehen wird. In dem Fall kann man die Betriebsräte durchaus verstehen, dass man nicht die Katze im Sack haben möchte.
Aber klar ist auch, dass man nicht auf irgendwelchen Tarifverträgen bestehen kann, die ja mit dazu geführt haben, dass man relativ stark in den roten Zahlen ist, und entsprechend muss man hier auch nachlegen. Ich glaube, dass man aufeinander zugehen muss und einen Plan für die nächsten fünf Jahre vorlegen muss, und da darf es nicht einen Rückgriff geben: Aber wir haben doch schon in den letzten Jahren so viele Einbußen erlebt; jetzt können wir keine weiteren Einbußen mehr ertragen. Ich glaube, das ist der falsche Ansatz.
Ich denke, dass ein Werk wie Eisenach nur dann längerfristig gesichert werden kann, wenn Opel grundsätzlich zusammen mit PSA in die schwarzen Zahlen, und zwar nachhaltig in die schwarzen Zahlen kommt. Alles andere ist eine Zwischenlösung, die Standorte nicht sichert und die auch diese tausend Arbeitsplätze, die im Moment in Eisenach im Gespräch sind, nicht langfristig sichert.
"PSA und Opel können nicht überleben, wenn die Kosten nicht wettbewerbsfähig werden"
Sturmberg: Jetzt hat sich ja die Bundeskanzlerin in diesen Tarifkonflikt eingemischt. Das ist ja schon sehr ungewöhnlich, wenn die Bundeskanzlerin sich zu Wort meldet in einer Tarifauseinandersetzung. Wie ordnen Sie das ein?
Bratzel: Ja! Ich glaube, natürlich ist es für die Bundeskanzlerin, für die gesamte Bundesregierung, für die Länder natürlich ein Riesenproblem, sollten Standorte weiter reduziert werden, oder sollten gegebenenfalls sogar Standorte längerfristig wegfallen. So schnell wird in diesen Ländern kein neuer Automobilhersteller ein Werk aufbauen, wenn es dann mal weg ist. Insofern versucht man, hier auch politischen Druck auf PSA zu erzeugen, um nach Lösungen zu suchen, damit diese Standorte erhalten bleiben.
Klar ist aber auch: PSA und Opel können nicht überleben, wenn die Kosten nicht wettbewerbsfähig werden.
Sturmberg: Sehen Sie denn noch andere Möglichkeiten, die Kosten zu senken, außer bei Einsparungen bei den Mitarbeitern?
Bratzel: Natürlich gibt es noch weitere Möglichkeiten, die man ausloten muss. Ich denke, dass PSA und Opel auch an solchen Lösungen arbeitet. Beispielsweise gemeinsame Plattformen aufbauen und entwickeln, die es dann ermöglichen, mit geringeren Kosten für die jeweiligen Modelle zu arbeiten. Natürlich gibt es sicherlich auch Druck auf die Automobilzulieferer von Opel, und da wird man sicherlich auch auf Kostensenkungen drängen. Aber das sind schon die größten und stärksten Maßnahmen, an denen man arbeiten kann. Allerdings kurzfristig bekommt man die Kosten nur runter bei geringer Auslastung, wenn man die Mitarbeiterzahl reduziert.
"Deutsche Produktion steht nicht zur Disposition"
Sturmberg: Von der Gewerkschaftsseite wird die Sorge formuliert, dass PSA eigentlich am Ende nur an der Marke, an dieser deutschen Marke interessiert war, aber nicht an den deutschen Mitarbeitern. Ist das möglich, dass das so sein könnte?
Bratzel: Ich glaube, dass der PSA-Chef schlau genug ist, dass es natürlich die Marke Opel nicht langfristig gibt, ohne dass Produktion auch in Deutschland stattfindet. Ich denke, dass nicht grundsätzlich die deutsche Produktion zur Disposition steht. Aber es steht sicherlich die Frage im Raum, ob man mit dem Standort Eisenach langfristig rechnen kann.
Sturmberg: Ist das nicht auch letztendlich ein Vorbote für die anderen Standorte? Eisenach ist ja deswegen betroffen, weil dort jetzt das Produkt ausläuft.
Bratzel: Es wäre sehr tragisch für die Region, für Thüringen, wenn hier es deutliche auch Personalreduktionen gibt, oder wenn gar ein Standort wegfallen könnte. Aber man darf sich hier nicht in Sicherheit wiegen. Auch Standorte wie Kaiserslautern könnten hinterfragt werden von PSA, ob das tatsächlich Sinn macht, diese Standorte zu erhalten. Da muss man gemeinsam mit PSA sprechen und nach Lösungen suchen, um diese Standorte wettbewerbsfähig zu machen und dann auch zu erhalten.
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