Sandra Schulz: Knapp zehn Jahre liegt der Ausbruch der jüngsten Finanzkrise ja zurück. Eine der Antworten gaben Programmierer mit dem Bitcoin-Netzwerk Anfang 2009. Sie wollten damit eine von Staaten, Zentralbanken und anderen Finanzinstituten unabhängige Währung schaffen. In den letzten Wochen gab es einen kaum für möglich gehaltenen Hype um dieses virtuelle Geld, dessen Wert – wie sollte es anders sein – sich durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Mitte Oktober übersprang der Bitcoin die Marke von 5000 Dollar, hat seinen Wert seitdem noch mal mehr als verdreifacht. Der Höchststand aus der vergangenen Woche, der lag bei mehr als 17.000 Dollar. Und seit der Nacht kann man an einer Chicagoer Börse auch auf steigende oder fallende Kurse setzen, um nicht zu sagen wetten.
Droht eine Bitcoin-Blase? Unter anderem darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon ist Thomas Mayer, früher Chefvolkswirt der Deutschen Bank, und heute leitet er das Flossbach von Storch Institut, eine Denkfabrik der gleichnamigen Vermögensverwaltung. Schönen guten Morgen.
Thomas Mayer: Guten Morgen.
Schulz: Um vielleicht erst mal die Geschäftsgrundlage festzuhalten. Warum kann man mit virtuellem Geld echtes Geld machen?
Mayer: Das Geniale daran ist, dass die Technik, die hinter Bitcoins steht, so was ist wie eine computergestützte Technik zur Erfassung von Eigentumsübertragungen. Wie kann man sich das vorstellen? – Statt eines Geldscheins in Form von Papier mit aufgedruckter Banknote wechselt jetzt nur noch virtuell die Banknote den Besitzer.
Schulz: Aber die Banknote gibt es irgendwo?
Mayer: Nur die Nummer, nicht mehr den Schein, und das ist das Geniale an diesem Ding. Während Sie früher die Banknote überreichen mussten – Sie mussten dann dem Zahlungsempfänger gegenüberstehen, ihm die geben -, können Sie jetzt virtuell nur noch die Nummer übertragen, nicht mehr die Note reell. Es ist eine erstaunliche, eine geniale Erfindung, eine Neuerfindung des Geldes als virtuelles Transaktionsmittel.
"Das Bitcoin ist ein Kind der Finanzkrise"
Schulz: Das habe ich gerade versucht rauszubekommen. Steht denn echtes Geld hinter dieser, wie Sie sagen, Nummer?
Mayer: Nein. Wenn Sie unter echtem Geld das verstehen, was die Zentralbanken produzieren, indem sie einfach das Papiergeld drucken, oder die Geschäftsbanken, indem sie Kredite vergeben und dann das Buchgeld, das Giralgeld dem Kreditnehmer auf dem Girokonto gutschreiben, das steht nicht dahinter. Im Gegenteil! Das war ja die Absicht der Erfinder von Bitcoins, dass man dieses Geld ablösen sollte, weil dieses Geld erstens teuer ist, wenn man es als Tauschmittel benutzt. Es kostet Zeit, die Geldscheine zu übergeben.
Es kostet Geld, Überweisungen durchzuführen. Das wollte man verringern. Und zweitens sagen die Entwickler, dass dieses Kreditgeld, das unsere Banken schaffen, regelmäßig zur Überschuldung führt, zu Schuldenblasen, die dann gigantisch platzen, wie wir gesehen haben in der Finanzkrise. Sie hatten das ja gesagt. Das Bitcoin ist ein Kind der Finanzkrise. Das sollte mit diesen zwei Defiziten unseres Geldes, teure Transaktionskosten und Instabilität des Geldsystems und damit der Wirtschaft, das sollte damit erledigt sein.
"Die Leute haben ja eine gute Erzählung dahinter gesehen"
Schulz: Aber wenn wir jetzt diese Wertsteigerungen haben, droht dann nicht gerade wieder eine neue Blase, eine Bitcoin-Blase?
Mayer: Ich glaube, ja. Man muss das ganz klar sehen. Es sind eigentlich alle Phänomene einer Blase da. Blasen entstehen ja nicht aus dem Nichts. Die Leute haben ja eine gute Erzählung dahinter gesehen, ein Narrativ. Diese Blockchain-Technologie, diese dezentrale Dokumentation der Eigentumsübertragung auf dezentraler Ebene, ist eine tolle Sache. Also: Eine gute Erzählung. Dann brauchen Sie einen Anschub, die Preise müssen mal steigen. Diese Geschichte, gute Erzählung, steigende Preise, die rückt dann auf die Titelseiten der Zeitungen. Dann lesen die Leute das, dann finden sie das toll, dann kaufen sie das, der Preis steigt weiter, dann kommt es zum Spekulationsfieber. Das haben wir, glaube ich, bei Bitcoins gesehen.
Gleichzeitig muss man auch sagen, durch diese enorme Nachfrage nach Bitcoins steigen die Kosten der Transaktion. Es ist nicht ganz einfach, diese Eigentumsübertragungen zu verifizieren. Dazu braucht es erhebliche Rechnerleistung. Und der eigentliche Vorteil dieser Technik, nämlich schnell, günstig Eigentumsübertragungen zu erfassen, löst sich jetzt langsam auf, denn es dauert immer länger oder kostet immer mehr, um diese Eigentumsübertragung zu verifizieren.
Und jetzt haben Sie das, was bei einer Blase noch dazukommt. Der tatsächliche Preis löst sich jetzt vom ökonomischen Nutzen ab. Deshalb denke ich, obwohl die Technik toll ist, dass Bitcoins selbst jetzt in eine Blase kommen.
"Das berühmte Beispiel der Tulpenzwiebelblase von 1637"
Schulz: Warum machen denn da, Herr Mayer, jetzt so viele mit? Dass man nicht Nichts zu Geld machen kann ohne erhebliche Risiken, das müsste sich doch im 21. Jahrhundert auch nach den Finanzkrisen herumgesprochen haben.
Mayer: Aber die Menschen waren schon immer für solche Dinge empfänglich. Es gibt das berühmte Beispiel der Tulpenzwiebelblase von 1637. Da wurden Tulpenzwiebeln in Holland in astronomische Höhen geschickt. Es gibt dann in jüngerer Zeit die Internetblase, Internetaktien. Das war in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre. Da hatte man auch tolle Vorstellungen, was man mit dem Internet alles machen kann. Hat sich ja auch erwiesen, aber es haben sich viele Unternehmen gebildet, die keine Zukunft hatten. Deren Aktien gingen in eine Blase und platzten dann. Einige blieben übrig, wir kennen die alle. Die erwiesen sich als beständiges Geschäftsmodell. Ohne die könnten wir die Welt uns jetzt gar nicht mehr vorstellen. Und ich glaube, mit den Kryptowährungen wird es so ähnlich sein. Es werden welche übrig bleiben, die unser Geldsystem verändern werden. Nur dass es Bitcoin ist, sehe ich momentan eigentlich eher mit Skepsis.
"Nicht allzu viel Unterschied zu einem Kasino"
Schulz: Jetzt haben wir in der letzten Nacht auch einen wichtigen Schritt in die echte Bankenwelt gesehen. Seit dieser Nacht hat eine Chicagoer Derivatebörse einen Bitcoin-Future aufgelegt. Um das zu erklären: Da kann man jetzt drauf wetten, ob die Kurse steigen oder fallen. Was ist denn da jetzt der Unterschied zu einem Kasino?
Mayer: Nicht allzu viel. Wenn Sie die Parallele nehmen zu den Internetaktien, da gab es dann von der deutschen Börse den Nemax-Index. Vielleicht erinnern sich einige noch mit etwas unguten Erinnerungen daran. Das war dann ein Index der Internetaktien, der dort auch in schwindelnde Höhen stieg. Das war vielleicht nicht ganz so gigantisch wie bei Bitcoin, aber schon beeindruckend. Dann platzte die Internetblase.
Der Nemax, dieser Börsenindex, stürzte ab und wurde dann aufgelöst. Was jetzt noch übrig ist, wurde dann übernommen und neu erfunden und heißt jetzt Tecdax. – Solche Phänomene, dass wir jetzt eine Terminbörse für Bitcoin bekommen – wir werden Fonds bekommen, die Ihnen Kryptowährungen anbieten in einer Sammlung, in einem Portfolio -, das ist alles Teil jetzt dieses Fiebers, das eingesetzt hat. Das wird eine Weile anhalten. Wie hoch die Bitcoin-Preise gehen werden, kann niemand sagen bei so einer Sache. Aber wie gesagt, wer hier langfristig denkt, ist da ein bisschen vorsichtiger und würde jetzt nicht unbedingt sich mit Bitcoin eindecken.
Schulz: Thomas Mayer, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Interview.
Mayer: Danke schön!
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