Jonas Reese: Mit der Waffe an der Schläfe wolle man nicht weiter verhandeln, hieß es von europäischer Seite vor dem Treffen zwischen Juncker und Trump. Das hieße im Klartest: Zuerst müssten die Zölle auf Stahl und Aluminium weg, genauso wie die Drohung der Autozölle. Beides ist, wie wir gehört haben, nicht passiert; bleibt die Frage an den Fachmann, an Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft: Herr Bardt, was hat Juncker überhaupt erreicht?
Hubertus Bardt: Ich glaube, Juncker und sein Team haben zwei Dinge erreicht, die ganz wichtig sind. Das eine ist, die Eskalation im Handelsstreit, die wir im Augenblick hatten, zu durchbrechen. Wir haben zwar nach wie vor die Zölle auf Stahl und Aluminium und die Gegenzölle der Europäer auf einzelne Produkte, die aus den USA kommen, aber die weitere Eskalation ist zumindest für einen nennenswerten Zeitraum erst mal unterbrochen, wenn nicht abgebrochen. Das ist auch mehr als das, was vor zwei oder drei Tagen zu erwarten war.
Der andere große Erfolg ist, dass man sich geeinigt hat, gemeinsam erstens zu gucken, wo kann man denn Handelsschranken abbauen, und zweitens vor allem auch, wie kann man das multilaterale Handelssystem verbessern, wie kann man die Welthandelsordnung verbessern, wie kann man gemeinsam als westliche Marktwirtschaften der chinesischen Herausforderung begegnen und damit umgehen. Das ist eine fundamentale Kehrtwendung aus den USA, die bisher ja (mindestens Trump in den letzten Monaten) mit multilateralen Ansätzen überhaupt nichts zu tun haben wollte.
"Ein Waffenstillstand, kein ausgehandelter Friedensvertrag"
Reese: Aber dennoch bleibt die Drohkulisse Autozölle im Hintergrund. Wilbur Ross, der Handelsminister in den USA, hat jetzt gerade noch mal nach den Gesprächen heute Abend gesagt, er wurde von Donald Trump angewiesen, dieses Szenario aufrecht zu erhalten. Inwieweit ist das dann wirklich so ein substanzieller Fortschritt?
Bardt: Das ist ein Waffenstillstand und noch kein ausgehandelter Friedensvertrag, und das dann zu stabilisieren und auch in eine konstruktive Richtung zu bringen, das fängt jetzt erst richtig an.
Reese: Hat man sich vielleicht dennoch ein bisschen billig verkauft, wenn man jetzt sieht, dass Juncker schon zugesagt hat, dass die EU mehr Soja und mehr Flüssiggas aus den USA beziehen wird? Wo ist denn das Zugeständnis auf der Gegenseite, von Trump?
Bardt: Zunächst mal sind die Zugeständnisse der Europäer sehr symbolisch und sind eigentlich nicht wirklich ein ökonomisches Zugeständnis, bieten aber Trump trotzdem politisches Kapital, mit dem er in seinem Wahlkampf in den nächsten Monaten punkten kann. Zum einen sind die Landwirte, die Sojabauern, die in der letzten Zeit auf den Barrikaden waren, etwas beruhigt, und zum anderen kann er sagen, wir exportieren mehr Gas, wir können mehr Gas exportieren, und das vielleicht sogar noch mal als Argument gegen sein Russland-Problem mit anwenden, weil er sagt, wir verringern damit die Abhängigkeit Europas von Russland und drücken Russland mit zurück.
Aus europäischer Perspektive ist das kein großes Zugeständnis. Juncker kann weder definieren, wieviel Gas, noch wieviel Soja die einzelnen Länder Europas oder die Unternehmen Europas importieren. Er hat zugesagt, das weiter LNG, Flüssiggas-Terminals aufgebaut werden. Damit steigt die Möglichkeit für Amerika, hierher zu exportieren. Die sind aber sowieso schon geplant. Die Kapazitäten sind nicht ausgelastet. Die Amerikaner können auch heute schon exportieren, wenn der Preis stimmt. Das ist kein Zugeständnis. Und beim Soja sieht es ganz ähnlich aus.
"Trump will einen Skalp"
Reese: Alles nicht mehr als heiße Luft? Man hat sich geeinigt, weiter verhandeln zu wollen?
Bardt: Na ja, ich würde das nicht heiße Luft nennen. Es ist politisches Kapital, und das ist das, worauf es Trump ankommt. Er will einen Skalp haben, er will einen Erfolg zeigen können. Ob der sich ein halbes Jahr später oder ein Jahr später in tatsächlichen Handelszahlen mit ausdrückt, das wird man dann mal sehen, ob das relevant ist oder nicht. Aber er kann erst mal sagen: Guckt mal, ich habe mit meiner Art und Weise, mit meiner Politik einen Deal gemacht und habe etwas für die American Workers herausgeschlagen.
Reese: Aber trotzdem: Was gibt die EU für ein Bild ab? Man gibt schon Zusagen in Sachen Soja und Flüssiggas in die USA und gibt Trump auch noch einen Skalp für seinen Wahlkampf, und selbst bekommt man nur die Zusage, okay, wir können weiter verhandeln.
Bardt: Es gibt die Zusage, wir fangen mit Verhandlungen an.
Reese: Noch schlimmer!
Bardt: Jetzt ging es in dem Moment darum, eine Dynamik zu brechen, die da war und die sich als unheilvoll für Amerika, aber noch stärker für Europa und ganz besonders für Deutschland mit erwiesen hätte. Irgendwie musste man dieses Spiel von Zöllen und Gegenzöllen und noch mal Gegenzöllen, was die Chinesen ja auch mitspielen, aber vor allem die Amerikaner, irgendwie musste man das durchbrechen, und das ist gelungen. Dafür musste ein gewisser Preis bezahlt werden. Nach meinem Dafürhalten ist der Preis nicht hoch.
Reese: Was wäre denn eine stabile Lösung, die nach den 120 Tagen Verhandlungen stehen sollte?
Bardt: Nach den 120 Tagen Verhandlungen – das ist in der Tat ein Problem, dass der Zeitraum relativ kurz ist und Trump natürlich keiner ist, der sich auf jahrelange Verhandlungsprozesse freuen würde, die dann nach seiner Amtszeit irgendwann zu einem Ergebnis führen. Freihandelsverhandlungen dauern aber typischerweise so lange. Man wird in diesem Zeitraum wahrscheinlich nicht viel mehr dann festlegen können als einige grundlegende Pflöcke, die eingeschlagen werden und an denen dann auch weiter verhandelt werden muss.
"Elemente drin, die wir bei TTIP auch mitdiskutiert hatten"
Reese: Unser Brüssel-Korrespondent Peter Kapern hat diesen ganzen Plan als etwas wie ein TTIP Light bezeichnet, das am Ende herauskommen könnte. Haben wir dann nach diesen 100 Tagen wieder eine Diskussion über Chlorhuhn und Hormonfleisch?
Bardt: Es sind in der Tat Elemente drin, die wir bei TTIP auch mitdiskutiert hatten. Es ist die Frage, wie reduzieren wir Zölle, wie kann man sogenannte nichttarifäre Handelshemmnisse, Handelshemmnisse jenseits von Zöllen reduzieren, wie kann man besser über Vergleichbarkeit von Regulierungsansätzen mit sprechen, um auch unsinnige Doppelanforderungen zu vermeiden und damit Handelsmöglichkeiten zu verbessern. Ja, all das ist bei TTIP auch diskutiert worden, und es wäre gut gewesen für die wirtschaftliche Entwicklung, aber auch für die Stabilität der transatlantischen Handelsbeziehungen, wenn man da zu einem Abschluss mit gekommen wäre. Wichtige Teile, die bei TTIP mit eine Rolle spielten, die für TTIP wichtig waren, sind jetzt hier bisher nicht adressiert worden. Das ganze Thema Investitionsschutz, was ja auch noch mal als eines der kontroversesten Teile bei TTIP mit war.
Reese: Kommt dann Trump sozusagen durch die Hintertür mit den Strafzöllen und mit den Drohungen auf Autozölle dann doch zu einer Lösung in Richtung TTIP?
Bardt: Trumps Taktik ist ja eigentlich, nicht TTIP voranzubringen, aber das kann eine Wirkung sein, dass es gelingt, diese Gespräche über verbesserte Handelsbedingungen wieder auf den Weg zu bringen, die jetzt unterbrochen sind.
Reese: … sagt der Geschäftsführer des Instituts der deutschen Wirtschaft, Hubertus Bardt. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.