Von all den Verbrechen, die das NS-Regime an den jüdischen Bürgern verübt hat, sind Raub und Enteignung ihres Eigentums vielleicht nicht die furchtbarsten, wohl aber mit die perfidesten. Denn sie boten nicht nur dem Staat, sondern auch zahlreichen nichtjüdischen Bürgern die Möglichkeit, das Eigentum der Vertriebenen kurzerhand einzustreichen. Wenn die Forschung zur sogenannten "Arisierung" jüdischen Eigentums so spät begann, dann auch darum, so der an der Universität Hamburg lehrende Historiker Frank Bajohr, weil an diesem Verbrechen auch sehr viele in Anführungsstrichen "normale Bürger" beteiligt waren.
"Das Maß an persönlicher Beteiligung der deutschen Gesellschaft ist eben sehr hoch gewesen, also für manche Städte - Hamburg - 100. 000 Erwerber von jüdischem Eigentum. Und das eigene Verhalten dann zu thematisieren ist natürlich immer ein Problem, und da ist es günstiger für die öffentliche Aufnahme dieses Themas, wenn da ein gewisser Abstand dazwischen liegt."
Doch es gibt noch einen anderen Grund für die späte Aufarbeitung: Hinter dem gigantischen Ausmaß der anderen Verbrechen, vor allem dem Völkermord selbst, traten die übrigen Verbrechen zunächst einmal zurück. Die Forschung zur NS-Zeit, so der am Gelsenkirchener "Institut für Stadtgeschichte" forschende Historiker Stefan Goch, konzentrierte sich zunächst einmal auf die großen chronologischen Kapitel der Diktatur.
"Das zentrale Problem ist sicherlich, denke ich, dass alles hinter der Ermordung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger und auch anderer zurückgetreten ist. Und dann kommt eigentlich hinzu, denke ich, seit den 70er, vielleicht 80er Jahren dieser Trend, dass man vor Ort guckt; dass man nicht sozusagen bei den obersten Reichsbehörden und den obersten bösen Nazis guckt, sondern eben auch die kleinen Nazis vor Ort findet. Auch da ist natürlich erst mal, wenn man sich die Buchtitel anguckt, "Aufstieg des Nationalsozialismus", dann kommt "Befreiung", dann kommt die Reichskristallnacht, dann kommt die Verfolgung und Ermordung, Deportation. Bis man sozusagen dann die materiellen Hinterlassenschaften dann so sieht."
Der Enteignung lagen oft sehr konkrete Interessen zugrunde. Wenige Jahre zuvor hatte die Weltwirtschaftskrise viele deutsche Unternehmen ruiniert oder an den Rand des Ruins gebracht. Die "Arisierung", so die zum Verein "Historiker vor Ort" gehörende Geschichtswissenschaftlerin Marlene Klatt, bot vielen Unternehmern Gelegenheit, sich durch Ausschaltung der Konkurrenz wieder am Markt zu etablieren.
"Man kann sehen, dass in den Kommunen in sehr unterschiedlichem Tempo auch die Zwangsarisierung umgesetzt wird. Und in Hagen ist es nachzuweisen, dass dann die örtlichen Machthaber - die Wirtschaftsprüfer werden losgeschickt, die jüdische Firmen liquidieren, die man nicht mehr am Markt haben will, und da greift man auch mal zu gewaltsamen Mitteln, um das möglichst schnell abzuschließen und den Markt also wirklich komplett zu bereinigen."
Zuletzt sich die Forschung vor allem auf die lokalen Dimensionen der Enteignung konzentriert, also herausgearbeitet, in welchem Maß die Bürger einzelner Kommunen sich an dem Raub beteiligten und wie sie dabei vorgingen. Dabei waren ihre Interessen mit denen der NS-Regierung durchaus identisch. Stefan Goch.
"Echte Eingriffe des Dritten Reiches sind dann eigentlich erst ab Mitte der 30er Jahre festzustellen, vor allem durch die Gesetzgebung von 1938. Und dann nach der sogenannten Reichskristallnacht macht eigentlich kein jüdisches Geschäft mehr aus, und ab Anfang 1939 dürfen jüdische Menschen kein Gewerbe mehr treiben. Da ist es dann so, dass diese Unternehmen systematisch geraubt werden, und das auch seit Mitte der 30er Jahre durch Parteidienststellen, durch Industrie und Handelskammern, durch staatliche Stellen, durch kommunale Stellen Preise verordnet werden, die dann auch vielfach unter dem Wert liegen, wobei eben dazukommt, dass man einem jüdischen Unternehmen, weil es ein jüdisches Unternehmen ist, nicht zubilligt, etwas zu haben, was man "good will" nennt, also so etwas wie einen "guten Ruf", der ja einen wesentlichen Teil des Wertes eines Unternehmens ausmachen würde. Und dann kann man ein Unternehmen nur noch verkaufen zum Gegenwert seines Warenlagers und Inventars. Und das ist in jedem Fall unter Wert. "
Das NS-Regime nutzte die Enteignung auch zur Steigerung der eigenen Popularität. Der geraubte Besitz bot Gelegenheit, den nichtjüdischen Bürgern Geschenke zu machen, eine Möglichkeit, die ideologische Ausrichtung durch materielle Anreize zu verknüpfen. Wohnungen, Mobiliar, Schmuck, aber auch Geschäfte, Firmen, Unternehmen: Nichts, was den Juden nicht genommen wurde. In Zeiten einer stagnierenden Wirtschaft bot das vielen Bürgern Gelegenheit zur ökonomischen Erholung. So setzten sie ihre jüdischen Nachbarn auf vielerlei Weise unter Druck. Marlene Klatt.
"Man wandte sich an den jüdischen Eigentümer, wenn man wusste, dass der gegebenenfalls auch als Geschäftsinhaber unter Druck geraten war, legte dem nahe, vielleicht zu veräußern, man wandte sich dann in späteren Jahren an die Partei. Und dann bei der Zwangsarisierung zum Schluss kam es dann vermehrt auch zu diesen gewaltsamen Übernahmen, wo der sogenannte "alte Kämpfer", die ja für sich auch diesen Opfertopos irgendwie rekrutierten, also, die sagten, wir wollen jetzt endlich eine Wiedergutmachung für unsere damaligen Opfer während der Kampfzeit haben. Und das wurde dann oftmals während der Kampfzeit im wahrsten Sinne des Wortes umgesetzt."
Die Enteignung der Juden stand nicht im Vordergrund der antisemitischen Politik NS-Politik. Sie war aber auch keineswegs ein Nebeneffekt. Die wirtschaftliche Vernichtung der Juden war mit der physischen ideologisch eng verknüpft. Frank Bajohr.
"Ja das hängt unmittelbar miteinander zusammen. Ich glaube nicht, dass dieser Themen Aspekt "Arisierung" als Realpolitik vom ideologischen Gesamtzusammenhang der antijüdischen Politik abgetrennt werden kann. Auch die Arisierung basiert eben auf bestimmten ideologischen Vorgaben und Annahmen - Annahmen über die Wirtschaftstätigkeit von Juden, dass die analog der NS-Propaganda das deutsche Volk auspressen und dergleichen mehr. Auf dieser antisemitischen ideologischen Grundlage basiert eben auch dieser Enteignungs- und Verdrängungsprozess. Und von daher gibt es diese Sphäre der Realpolitik eigentlich nicht. "
"Das Maß an persönlicher Beteiligung der deutschen Gesellschaft ist eben sehr hoch gewesen, also für manche Städte - Hamburg - 100. 000 Erwerber von jüdischem Eigentum. Und das eigene Verhalten dann zu thematisieren ist natürlich immer ein Problem, und da ist es günstiger für die öffentliche Aufnahme dieses Themas, wenn da ein gewisser Abstand dazwischen liegt."
Doch es gibt noch einen anderen Grund für die späte Aufarbeitung: Hinter dem gigantischen Ausmaß der anderen Verbrechen, vor allem dem Völkermord selbst, traten die übrigen Verbrechen zunächst einmal zurück. Die Forschung zur NS-Zeit, so der am Gelsenkirchener "Institut für Stadtgeschichte" forschende Historiker Stefan Goch, konzentrierte sich zunächst einmal auf die großen chronologischen Kapitel der Diktatur.
"Das zentrale Problem ist sicherlich, denke ich, dass alles hinter der Ermordung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger und auch anderer zurückgetreten ist. Und dann kommt eigentlich hinzu, denke ich, seit den 70er, vielleicht 80er Jahren dieser Trend, dass man vor Ort guckt; dass man nicht sozusagen bei den obersten Reichsbehörden und den obersten bösen Nazis guckt, sondern eben auch die kleinen Nazis vor Ort findet. Auch da ist natürlich erst mal, wenn man sich die Buchtitel anguckt, "Aufstieg des Nationalsozialismus", dann kommt "Befreiung", dann kommt die Reichskristallnacht, dann kommt die Verfolgung und Ermordung, Deportation. Bis man sozusagen dann die materiellen Hinterlassenschaften dann so sieht."
Der Enteignung lagen oft sehr konkrete Interessen zugrunde. Wenige Jahre zuvor hatte die Weltwirtschaftskrise viele deutsche Unternehmen ruiniert oder an den Rand des Ruins gebracht. Die "Arisierung", so die zum Verein "Historiker vor Ort" gehörende Geschichtswissenschaftlerin Marlene Klatt, bot vielen Unternehmern Gelegenheit, sich durch Ausschaltung der Konkurrenz wieder am Markt zu etablieren.
"Man kann sehen, dass in den Kommunen in sehr unterschiedlichem Tempo auch die Zwangsarisierung umgesetzt wird. Und in Hagen ist es nachzuweisen, dass dann die örtlichen Machthaber - die Wirtschaftsprüfer werden losgeschickt, die jüdische Firmen liquidieren, die man nicht mehr am Markt haben will, und da greift man auch mal zu gewaltsamen Mitteln, um das möglichst schnell abzuschließen und den Markt also wirklich komplett zu bereinigen."
Zuletzt sich die Forschung vor allem auf die lokalen Dimensionen der Enteignung konzentriert, also herausgearbeitet, in welchem Maß die Bürger einzelner Kommunen sich an dem Raub beteiligten und wie sie dabei vorgingen. Dabei waren ihre Interessen mit denen der NS-Regierung durchaus identisch. Stefan Goch.
"Echte Eingriffe des Dritten Reiches sind dann eigentlich erst ab Mitte der 30er Jahre festzustellen, vor allem durch die Gesetzgebung von 1938. Und dann nach der sogenannten Reichskristallnacht macht eigentlich kein jüdisches Geschäft mehr aus, und ab Anfang 1939 dürfen jüdische Menschen kein Gewerbe mehr treiben. Da ist es dann so, dass diese Unternehmen systematisch geraubt werden, und das auch seit Mitte der 30er Jahre durch Parteidienststellen, durch Industrie und Handelskammern, durch staatliche Stellen, durch kommunale Stellen Preise verordnet werden, die dann auch vielfach unter dem Wert liegen, wobei eben dazukommt, dass man einem jüdischen Unternehmen, weil es ein jüdisches Unternehmen ist, nicht zubilligt, etwas zu haben, was man "good will" nennt, also so etwas wie einen "guten Ruf", der ja einen wesentlichen Teil des Wertes eines Unternehmens ausmachen würde. Und dann kann man ein Unternehmen nur noch verkaufen zum Gegenwert seines Warenlagers und Inventars. Und das ist in jedem Fall unter Wert. "
Das NS-Regime nutzte die Enteignung auch zur Steigerung der eigenen Popularität. Der geraubte Besitz bot Gelegenheit, den nichtjüdischen Bürgern Geschenke zu machen, eine Möglichkeit, die ideologische Ausrichtung durch materielle Anreize zu verknüpfen. Wohnungen, Mobiliar, Schmuck, aber auch Geschäfte, Firmen, Unternehmen: Nichts, was den Juden nicht genommen wurde. In Zeiten einer stagnierenden Wirtschaft bot das vielen Bürgern Gelegenheit zur ökonomischen Erholung. So setzten sie ihre jüdischen Nachbarn auf vielerlei Weise unter Druck. Marlene Klatt.
"Man wandte sich an den jüdischen Eigentümer, wenn man wusste, dass der gegebenenfalls auch als Geschäftsinhaber unter Druck geraten war, legte dem nahe, vielleicht zu veräußern, man wandte sich dann in späteren Jahren an die Partei. Und dann bei der Zwangsarisierung zum Schluss kam es dann vermehrt auch zu diesen gewaltsamen Übernahmen, wo der sogenannte "alte Kämpfer", die ja für sich auch diesen Opfertopos irgendwie rekrutierten, also, die sagten, wir wollen jetzt endlich eine Wiedergutmachung für unsere damaligen Opfer während der Kampfzeit haben. Und das wurde dann oftmals während der Kampfzeit im wahrsten Sinne des Wortes umgesetzt."
Die Enteignung der Juden stand nicht im Vordergrund der antisemitischen Politik NS-Politik. Sie war aber auch keineswegs ein Nebeneffekt. Die wirtschaftliche Vernichtung der Juden war mit der physischen ideologisch eng verknüpft. Frank Bajohr.
"Ja das hängt unmittelbar miteinander zusammen. Ich glaube nicht, dass dieser Themen Aspekt "Arisierung" als Realpolitik vom ideologischen Gesamtzusammenhang der antijüdischen Politik abgetrennt werden kann. Auch die Arisierung basiert eben auf bestimmten ideologischen Vorgaben und Annahmen - Annahmen über die Wirtschaftstätigkeit von Juden, dass die analog der NS-Propaganda das deutsche Volk auspressen und dergleichen mehr. Auf dieser antisemitischen ideologischen Grundlage basiert eben auch dieser Enteignungs- und Verdrängungsprozess. Und von daher gibt es diese Sphäre der Realpolitik eigentlich nicht. "