Birgid Becker: Wir blicken heute auf die Kritik der Amerikaner am deutschen Exportüberschuss. Neu ist die nicht, auch Brüssel teilt sie, auch Paris und andere in Europa, aber so harsch, wie sie im jüngsten Bericht des US-Finanzministeriums daher kam, so harsch hat man das länger nicht gehört. Blutleeres Binnenwachstum und allzu große Exportabhängigkeit lasten die Amerikaner der deutschen Wirtschaft an. Und was sagt die Wissenschaft in Deutschland dazu? "Ja, stimmt" oder "stimmt überhaupt nicht".
Wir verlängern die Liste der Positionen. Mitgehört hat der Forschungsdirektor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Michael Bräuninger. Guten Tag.
Michael Bräuninger: Guten Tag!
Becker: Sind denn, Herr Bräuninger, die USA überhaupt solche ökonomischen Musterknaben in Sachen Leistungsbilanz-Harmonie, dass diese Kritik glaubwürdig ist?
Bräuninger: Nein. In den USA ist ja genau die umgekehrte Situation zu Deutschland. Dort sind große Defizite in der Leistungsbilanz vorhanden. Sie haben große Exportdefizite. Die amerikanische Wirtschaft importiert sehr viel mehr, als dass sie exportiert. Tatsächlich sind auch Exportüberschüsse ein Zeichen des Ungleichgewichts, aber es ist letztlich die Frage, wer Schuld an diesem Ungleichgewicht ist: derjenige, der seine Wirtschaft gut aufgestellt hat und der wettbewerbsfähig ist, oder derjenige, der eine sehr schlechte Wettbewerbsfähigkeit hat. Aus meiner Sicht wären die Korrekturen nicht in Deutschland notwendig, sondern in den Ländern, die halt die hohen Defizite haben.
Becker: Nun stehen die USA mit dieser Kritik ja nicht alleine.
Bräuninger: Ja tatsächlich sind es die Länder, die Defizite haben, die auch eine sehr hohe Verschuldung haben. Letztlich haben wir uns aber in Europa darauf geeinigt, dass wir Verschuldung abbauen wollen, dass wir an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen wollen. Insofern ist Deutschland durchaus in Europa im Augenblick eher in der Mehrheitsposition, auch wenn es auch hier Kritiker für die andere Position gibt.
Becker: Wie erklären Sie sich diesen harschen Ton im Bericht des US-Finanzministeriums, ausgerechnet jetzt, wo es im Lichte der NSA-Spähaffäre ja ohnedies nicht so furchtbar harmonisch aussieht, zwischen der deutschen und der US-Regierung?
Bräuninger: Ja ich glaube, solche harten Töne haben wir in den Defizit-Debatten auch in den letzten Jahren schon gehabt. Das ist vielleicht jetzt noch mal ein bisschen besonders überzeichnet, aber insgesamt gibt es hier schon immer eine sehr kritische und auch zum Teil harsche Diskussion.
Becker: Im Zuge dieser Ausspähaffäre ist ja bereits die Forderung laut geworden, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den Amerikanern, das von deutscher Seite ja stark befürwortet wurde, auszusetzen. Hat diese Forderung etwas für sich?
Bräuninger: Sie ist sicherlich das Symbol einer großen Verärgerung, die ja hier allgemein in der Bevölkerung da ist. Man muss aber darauf hinweisen, dass wir uns mit dem Aussetzen dieses Freihandelsabkommens selbst schädigen würden. Von dem Freihandel würden am Ende beide Seiten profitieren. Wir würden profitieren, die Amerikaner auch. Insofern glaube ich, wir müssen die Gespräche fortsetzen. Letztlich nützt es ja auch nichts zu sagen, wir sprechen nicht mehr miteinander. Wir müssen mit den Amerikanern ja irgendwie weitermachen und ich glaube, Gesprächslosigkeit ist immer ein Fehler.
Becker: Aber wie viel an harschem Ton können denn Wirtschaftsbeziehungen vertragen?
Bräuninger: Ich glaube, es muss zwischendurch mal harsche Töne geben. Vielleicht ist es besser, es gibt harsche Töne, als es gibt keine Töne mehr. Man muss dann im Zweifelsfall sich mal richtig fetzen und muss hier Konflikte austragen, verbal auch. Noch schlimmer wäre es, glaube ich, nicht mehr miteinander zu reden und die Verhandlungen nicht fortzusetzen.
Becker: Was sich aber doch feststellen lässt, das ist so ein wirtschaftspolitisches/ordnungspolitisches Auseinanderdriften zwischen amerikanischer Wirtschaftspolitik und der deutschen Haltung, die natürlich aufgeht in einer europäischen Haltung, aber im Kreis der Europäer ja nicht ganz unwichtig ist. Wie viel an Problemen wirft denn dieses Auseinanderdriften auf?
Bräuninger: Das ist letztlich ein Auseinanderdriften nicht nur der Ordnungspolitik, sondern der augenblicklichen Situation der Länder. Ich glaube, die ordnungspolitischen Differenzen werden immer groß, wenn die wirtschaftliche Lage in den Ländern sehr unterschiedlich ist. Die amerikanische Wirtschaft wächst zwar, aber sehr verhalten, sie haben noch immer eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, sie haben vor allen Dingen sehr, sehr hohe Defizite und sie müssen daran Korrekturen vornehmen. In Deutschland ist die Situation sehr gut, verglichen damit. Wir haben eine sehr, sehr hohe Beschäftigung, eine gute Beschäftigungsentwicklung und insofern ist da auch ein gewisser Neid oder eine gewisse Konkurrenz dabei und die Amerikaner wollen letztlich nicht vorgemacht bekommen oder gezeigt bekommen, dass es besser gehen würde, als es ihre derzeitige Lage zeigt.
Becker: Sehen Sie denn Anzeichen für Annäherungsprozesse, oder wird es so sein, dass die Volkswirtschaften quer über den Globus ohnedies sich immer weiter auseinanderdifferenzieren?
Bräuninger: Nein. Ich glaube, es gibt wieder Anpassungsprozesse. Auch in Amerika finden die Anpassungsprozesse statt. Amerika hat von 2002 bis 2007 bis zur Krise über die Verhältnisse gelebt. Sie haben sehr, sehr wenig gespart, die Haushalte haben sich sehr stark verschuldet, das hat zu dieser Immobilienblase geführt. Jetzt hat sich der Staat verschuldet, jetzt sind dort Konsolidierungsprozesse sowohl beim Staat wie bei den Haushalten fällig.
Die finden aber in den USA statt und insofern glaube ich, dass sich die Lage in Amerika in den nächsten Jahren stabilisieren wird. Man muss sagen, dass Amerika weiterhin eine sehr wettbewerbsfähige Wirtschaft hat, dass sie auch eine sehr liberale, mit sehr geringem Staatsanteil eine Wirtschaft haben, und insofern glaube ich, dass die amerikanische Wirtschaft mittelfristig auch wieder stark wachsen wird, auch schneller wachsen wird als Deutschland, wenn man auch noch bedenkt, dass sie eine junge Bevölkerung haben, eine wachsende Bevölkerung. All das spricht in der mittelfristigen Tendenz durchaus für Amerika und insofern wird dort auch wieder das Wachstum sich beschleunigen und dann normalisieren sich auch diese Streitigkeiten wieder.
Becker: Danke! – Der Forschungsdirektor des HWWI war das, Michael Bräuninger.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wir verlängern die Liste der Positionen. Mitgehört hat der Forschungsdirektor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Michael Bräuninger. Guten Tag.
Michael Bräuninger: Guten Tag!
Becker: Sind denn, Herr Bräuninger, die USA überhaupt solche ökonomischen Musterknaben in Sachen Leistungsbilanz-Harmonie, dass diese Kritik glaubwürdig ist?
Bräuninger: Nein. In den USA ist ja genau die umgekehrte Situation zu Deutschland. Dort sind große Defizite in der Leistungsbilanz vorhanden. Sie haben große Exportdefizite. Die amerikanische Wirtschaft importiert sehr viel mehr, als dass sie exportiert. Tatsächlich sind auch Exportüberschüsse ein Zeichen des Ungleichgewichts, aber es ist letztlich die Frage, wer Schuld an diesem Ungleichgewicht ist: derjenige, der seine Wirtschaft gut aufgestellt hat und der wettbewerbsfähig ist, oder derjenige, der eine sehr schlechte Wettbewerbsfähigkeit hat. Aus meiner Sicht wären die Korrekturen nicht in Deutschland notwendig, sondern in den Ländern, die halt die hohen Defizite haben.
Becker: Nun stehen die USA mit dieser Kritik ja nicht alleine.
Bräuninger: Ja tatsächlich sind es die Länder, die Defizite haben, die auch eine sehr hohe Verschuldung haben. Letztlich haben wir uns aber in Europa darauf geeinigt, dass wir Verschuldung abbauen wollen, dass wir an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen wollen. Insofern ist Deutschland durchaus in Europa im Augenblick eher in der Mehrheitsposition, auch wenn es auch hier Kritiker für die andere Position gibt.
Becker: Wie erklären Sie sich diesen harschen Ton im Bericht des US-Finanzministeriums, ausgerechnet jetzt, wo es im Lichte der NSA-Spähaffäre ja ohnedies nicht so furchtbar harmonisch aussieht, zwischen der deutschen und der US-Regierung?
Bräuninger: Ja ich glaube, solche harten Töne haben wir in den Defizit-Debatten auch in den letzten Jahren schon gehabt. Das ist vielleicht jetzt noch mal ein bisschen besonders überzeichnet, aber insgesamt gibt es hier schon immer eine sehr kritische und auch zum Teil harsche Diskussion.
Becker: Im Zuge dieser Ausspähaffäre ist ja bereits die Forderung laut geworden, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit den Amerikanern, das von deutscher Seite ja stark befürwortet wurde, auszusetzen. Hat diese Forderung etwas für sich?
Bräuninger: Sie ist sicherlich das Symbol einer großen Verärgerung, die ja hier allgemein in der Bevölkerung da ist. Man muss aber darauf hinweisen, dass wir uns mit dem Aussetzen dieses Freihandelsabkommens selbst schädigen würden. Von dem Freihandel würden am Ende beide Seiten profitieren. Wir würden profitieren, die Amerikaner auch. Insofern glaube ich, wir müssen die Gespräche fortsetzen. Letztlich nützt es ja auch nichts zu sagen, wir sprechen nicht mehr miteinander. Wir müssen mit den Amerikanern ja irgendwie weitermachen und ich glaube, Gesprächslosigkeit ist immer ein Fehler.
Becker: Aber wie viel an harschem Ton können denn Wirtschaftsbeziehungen vertragen?
Bräuninger: Ich glaube, es muss zwischendurch mal harsche Töne geben. Vielleicht ist es besser, es gibt harsche Töne, als es gibt keine Töne mehr. Man muss dann im Zweifelsfall sich mal richtig fetzen und muss hier Konflikte austragen, verbal auch. Noch schlimmer wäre es, glaube ich, nicht mehr miteinander zu reden und die Verhandlungen nicht fortzusetzen.
Becker: Was sich aber doch feststellen lässt, das ist so ein wirtschaftspolitisches/ordnungspolitisches Auseinanderdriften zwischen amerikanischer Wirtschaftspolitik und der deutschen Haltung, die natürlich aufgeht in einer europäischen Haltung, aber im Kreis der Europäer ja nicht ganz unwichtig ist. Wie viel an Problemen wirft denn dieses Auseinanderdriften auf?
Bräuninger: Das ist letztlich ein Auseinanderdriften nicht nur der Ordnungspolitik, sondern der augenblicklichen Situation der Länder. Ich glaube, die ordnungspolitischen Differenzen werden immer groß, wenn die wirtschaftliche Lage in den Ländern sehr unterschiedlich ist. Die amerikanische Wirtschaft wächst zwar, aber sehr verhalten, sie haben noch immer eine sehr hohe Arbeitslosigkeit, sie haben vor allen Dingen sehr, sehr hohe Defizite und sie müssen daran Korrekturen vornehmen. In Deutschland ist die Situation sehr gut, verglichen damit. Wir haben eine sehr, sehr hohe Beschäftigung, eine gute Beschäftigungsentwicklung und insofern ist da auch ein gewisser Neid oder eine gewisse Konkurrenz dabei und die Amerikaner wollen letztlich nicht vorgemacht bekommen oder gezeigt bekommen, dass es besser gehen würde, als es ihre derzeitige Lage zeigt.
Becker: Sehen Sie denn Anzeichen für Annäherungsprozesse, oder wird es so sein, dass die Volkswirtschaften quer über den Globus ohnedies sich immer weiter auseinanderdifferenzieren?
Bräuninger: Nein. Ich glaube, es gibt wieder Anpassungsprozesse. Auch in Amerika finden die Anpassungsprozesse statt. Amerika hat von 2002 bis 2007 bis zur Krise über die Verhältnisse gelebt. Sie haben sehr, sehr wenig gespart, die Haushalte haben sich sehr stark verschuldet, das hat zu dieser Immobilienblase geführt. Jetzt hat sich der Staat verschuldet, jetzt sind dort Konsolidierungsprozesse sowohl beim Staat wie bei den Haushalten fällig.
Die finden aber in den USA statt und insofern glaube ich, dass sich die Lage in Amerika in den nächsten Jahren stabilisieren wird. Man muss sagen, dass Amerika weiterhin eine sehr wettbewerbsfähige Wirtschaft hat, dass sie auch eine sehr liberale, mit sehr geringem Staatsanteil eine Wirtschaft haben, und insofern glaube ich, dass die amerikanische Wirtschaft mittelfristig auch wieder stark wachsen wird, auch schneller wachsen wird als Deutschland, wenn man auch noch bedenkt, dass sie eine junge Bevölkerung haben, eine wachsende Bevölkerung. All das spricht in der mittelfristigen Tendenz durchaus für Amerika und insofern wird dort auch wieder das Wachstum sich beschleunigen und dann normalisieren sich auch diese Streitigkeiten wieder.
Becker: Danke! – Der Forschungsdirektor des HWWI war das, Michael Bräuninger.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.