Jessica Sturmberg: In St. Petersburg findet momentan das Internationale Wirtschaftsforum statt. Für alle Handelspartner, die mit Russland Geschäfte machen, ist das der Termin. Die europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen sind seit knapp zwei Jahren geprägt durch die Sanktionen infolge des Ukraine-Konflikts und der Annexion der Krim. Aber Daimler will ein Werk in Moskau bauen, die britisch-niederländische Shell will an der russischen Ostseeküste eine Fabrik für verflüssigtes Erdgas bauen und es steht auch noch die Verdoppelung der Kapazität aus der Ostsee-Erdgasleitung Northstream an.
Vor der Sendung habe ich mit Frank Schauff von der Associatioon of European Businesses gesprochen. Er vertritt die Interessen europäischer Unternehmen in Russland. Wir haben ihn in St. Petersburg auf dem Handy erreicht und meine erste Frage an ihn: Wie sehr wollen die europäischen Unternehmen ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Russland wieder intensivieren?
Frank Schauff: Um es ganz klar zu sagen, die wollen die Wirtschaftsbeziehungen intensivieren. Russland ist mit 140 Millionen Einwohnern ein großer Markt. Dieser Markt hat sich auch noch mal dadurch vergrößert, dass auch die Russen mit ihren Nachbarländern ein Integrationsprojekt begonnen haben. Und das Wachstumspotenzial ist weiterhin groß. Es gibt großen Nachholbedarf weiterhin in der Infrastruktur, es gibt großen Nachholbedarf beispielsweise im medizinischen Bereich. Von daher macht es schon Sinn aus der Sicht der europäischen Unternehmen, hier aktiv zu sein.
Sturmberg: Und würden diese auch die Sanktionen so in der Weise, wie sie derzeit noch auferlegt sind, gerne aufheben?
Schauff: Na ja. Wissen Sie, es ist ein bisschen abhängig von den Mitgliedsländern. In Italien und Frankreich beispielsweise, aber auch in Ungarn oder der Tschechischen Republik oder Österreich wird die Frage der Sanktionen sehr lebhaft zwischen den Unternehmensverbänden und der jeweiligen Regierung geführt. In Deutschland ist das nicht so sehr der Fall, auch nicht in Großbritannien oder Skandinavien oder in Nordosteuropa. Aber das ist dann eine Frage dessen, wie das im politischen Spiel auf der nationalen Ebene letzten Endes ausgeht. Die Entscheidung liegt bei den Chefs der Regierungen und der Staaten der europäischen Mitgliedsländer und das ist letzten Endes das Gremium, das die Entscheidung fällt.
"Russische Industrie braucht die Europäer, um sich weiterzuentwickeln"
Sturmberg: Wie sehr braucht man sich eigentlich gegenseitig wirtschaftlich?
Schauff: Um es ganz klar zu sagen: Aus unserer Sicht sind die russische und die europäische Wirtschaft in weiten Teilen implementär. Die europäischen Unternehmen haben hier eine ganz wichtige Funktion in Russland. Die Europäer sind mit Abstand der größte Handelspartner Russlands trotz allem und sind auch die größten Investoren in Russland mit einem Anteil von deutlich mehr als 50 Prozent bei den ausländischen Direktinvestitionen. Die europäischen Firmen stellen hier neben Konsumgütern auch Hightech-Güter her und liefern Hightech-Güter, die die russische Industrie braucht, um sich weiterzuentwickeln, und im Grunde genommen sind natürlich die Europäer stark von den Lieferungen von Öl und Gas abhängig, ob man das will oder nicht. Gerade dieser Bereich der Öl- und Gaslieferungen ist ja zum Beispiel nicht unter Sanktionen gesetzt worden, und dies stellt beispielsweise den Hauptexport Russlands nach Europa dar.
Sturmberg: Der russische Präsident hat auf dem Treffen, auf diesem Wirtschaftsforum gesagt, er will auf die EU zugehen. "Wir hegen keinen Groll und sind dazu bereit, unseren europäischen Partnern entgegenzukommen." Was heißt das jetzt genau? Wie verstehen Sie diese Äußerung?
Schauff: Na ja, das ist eine Interpretation, die mir nicht ansteht letzten Endes. Aber was wir hier gesehen haben auf dem Wirtschaftsforum ist, dass die Gesprächsbereitschaft zwischen beiden Partnern, zwischen beiden Nachbarn auf dem europäischen Kontinent zu wachsen scheint. Wir hatten ja gestern den Präsidenten der EU-Kommission, Herrn Juncker hier mit seiner Stellvertreterin, Frau Georgieva, und heute war auch der EU-Kommissar Oettinger zu Gesprächen hier. Das ist das erste Mal seit 2013, dass in der Hochrangigkeit die EU hier vertreten war, weil der letzte Gipfel zwischen der EU und Russland fand im Herbst 2013 statt, bevor die Situation um die Ukraine so entstand. Das sind für uns wichtige Zeichen und auch in der Tat, der russische Präsident hat Gesprächsbereitschaft angekündigt. Ich gehe mal davon aus, dass die Gespräche auf der politischen Ebene jetzt doch noch mal in Richtung Klärung des Konfliktes um die Ukraine intensiviert werden.
Gutes Geschäft für Unternehmer
Sturmberg: Wie groß sind denn die strukturellen und infrastrukturellen Probleme, die europäische Unternehmen in Russland noch haben?
Schauff: Im Großen und Ganzen sind die europäischen Unternehmen hier zufrieden. Es gibt ja auch, abgesehen natürlich von den kleineren, die unter den wirtschaftlichen Bedingungen hier Schwierigkeiten haben, aber auch unter den größeren Unternehmen keines, die den Markt verlassen haben und die den Markt verlassen wollen. Im Grunde genommen stellen die Unternehmen hier immer wieder fest, dass sie ein gutes Geschäft in Russland machen, und letzten Endes - das muss man auch noch mal ganz klar sagen - helfen natürlich neben der Modernisierung der Wirtschaft auch europäische Unternehmen bei der Modernisierung der russischen Gesellschaft.
Sturmberg: Frank Schauff von der Association of European Businesses zu den europäisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen und wir haben ihn auf dem Handy in St. Petersburg erreicht. Deswegen war die Tonqualität ein bisschen beeinträchtigt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.