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Wirtschaftsinformatik
Ein Studienzweig im Wandel

In den Siebziger Jahren noch ausgerichtet auf die Bedürfnisse von privaten Firmen, beschäftigt sich die Wirtschaftsinformatik heute vor allem mit dem Nutzen von IT für die breite Gesellschaft. Die mittlerweile starke Ausrichtung auf Anwendungen spiegelt sich auch im Studium wider. Mehr denn je wird von den Studierenden zudem die Fähigkeit verlangt, unternehmerisch denken zu können.

Von Pia Grund-Ludwig |
    Computerkabel in einem Serverraum
    Zu den Themen, die im Studium der Wirtschaftsinformatik in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen haben, gehören Big Data und IT-Sicherheit. (dpa/picture-alliance/ Andreas Balk)
    Seit mehr als vier Jahrzehnten existiert in Deutschland der Studiengang Informatik. Etwas jünger ist die Wirtschaftsinformatik. Gut 52.000 Personen studierten im letzten Wintersemester Wirtschaftsinformatik, knapp 95.000 Informatik. In beiden Disziplinen sind Frauen schwach vertreten, in der Informatik mit 16 Prozent, in der Wirtschaftsinformatik mit immerhin 20 Prozent. Jeder fünfte Studierende der Wirtschaftsinformatik in Deutschland ist eine Frau.
    "Das ist keine besonders gute Quote, gerade wenn man auf die Kommunikationsaspekte geht und gerade wenn man auf Designaspekte geht, die mit Benutzeroberflächen zu tun haben, mit der Möglichkeit, mit dem Computer kommunizieren zu können. Da haben wir immer nur eine männliche Sichtweise auf die Technologie, und die bringt uns an bestimmten Stellen nicht weiter. Wirtschaftsinformatik ist eigentlich ein Studiengang, der sehr viel Möglichkeiten bietet für Frauen."
    Torsten Eymann, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Hochschule Bayreuth. Er ist Sprecher für diese Disziplin in der Gesellschaft für Informatik, der GI. Im Vergleich zur klassischen Informatik ist die Wirtschaftsinformatik vor allen Dingen näher am Kunden, am Anwender.
    "Die Wirtschaftsinformatik untersucht generell, welchen Nutzen Informatik oder Digitalisierung hat. Sie ist keine Disziplin, die Technologie entwickelt notwendigerweise, sondern eine, die Technologie aufnimmt, wertet und schaut, ob sie der Allgemeinheit oder der Wirtschaft nützt und dann auch bei der Einrichtung hilft. Die Informatik würde ich stärker in der Entwicklung sehen, in der Software, in der Hardware, in der Anwendung und im Auffinden neuer technischer Möglichkeiten."
    Softwareentwicklung boomt auch innerhalb der Wirtschaftsinformatik
    Die Ausrichtung der Wirtschaftsinformatik hat sich seit der Entstehung des Fachs 1974 verändert.
    "Es war am Anfang sehr stark ausgerichtet auf die Bedürfnisse von Unternehmen, also interne Fragen wie Prozessmanagement, Datenbanken, Nutzen von Informationstechnologie für Unternehmen. Das hat sich mittlerweile auch im Laufe der Digitalisierungsdiskussion ausgeweitet. Heute geht es auch darum, wie IT den Konsumenten hilft, wie Informationstechnologie in der Verwaltung hilft, in der öffentlichen Verwaltung und nicht zuletzt auch in der Gesellschaft."
    Die starke Ausrichtung auf Anwendungen spiegelt sich heute im Studium wider. Die Hardcore-IT-Fähigkeiten, sagt Torsten Eymann, überlasse man der Informatikausbildung. Zu den Themen, die in den vergangenen Jahren Bedeutung gewonnen haben, gehören Big Data und IT-Sicherheit. Dazu sind komplett neue Studiengänge und Studieninhalte entstanden. Wie auch in der Informatik erfährt die Softwareentwicklung in der Wirtschaftsinformatik einen Boom. Da können die Hochschulen im Moment gar nicht so schnell ausbilden, wie die Nachfrage nach Experten in den Unternehmen steigt.
    Ein zentrales Thema der modernen Wirtschaftsinformatik ist die "agile Software-Entwicklung". Damit ist gemeint, das Programmieren in überprüfbaren und qualitätsgesicherten Schritten zu vollziehen. Die Regeln für agile Softwareentwicklung definiert Scrum. Dieser englische Begriff kommt aus dem Rugby.
    "Agile Development oder Scrum benötigt viele Kommunikationsfähigkeiten und die Möglichkeit, sowohl mit Informatikern als auch mit Anwendern die ganze Zeit über diskutieren zu können. Ich glaube, das ist der Punkt, der sehr gute Wirtschaftsinformatiker von guten Wirtschaftsinformatikern unterscheidet, dass die auf beiden Seiten hören und sprechen können."
    Als wichtige Neuerung in der Ausbildung nennt Torsten Eymann die Fähigkeit, als Unternehmer zu denken. Etwa die Hälfte der Inhalte der Wirtschaftsinformatik kommen aus der Informatik, der Rest aus der Betriebswirtschaft.
    "Es wird ein Stück der unternehmerisch Handelnde gefordert, der die Digitalisierung als Möglichkeit begreift, neue Produkte, neue Märkte und neue Prozesse zu finden. Diese Fähigkeit haben wir in der Vergangenheit noch nicht so stark ausgebildet. Das machen wir jetzt, und wir merken an der Rückmeldung aus der Wirtschaft, dass das sehr stark angenommen wird."
    Die Wirtschaftsinformatik vermittelt das technische Wissen, um Entwicklungen wie Big Data oder Internet-Sicherheit kritisch zu begleiten und gesellschaftlich einzuordnen. Gesellschaftswissenschaftliche Inhalte spielen in der Realität nur eine Nebenrolle. Die Wirtschaftsinformatiker sollen also über den Tellerrand der reinen Informatik hinausschauen. Ob sie Entwicklungen unserer Gesellschaft kritisch hinterfragen, bleibt ihnen aber selbst überlassen.