"Ich komme, wenn man so will aus einfachen Verhältnissen, mein Vater war Maurer, war immer Mitglied in der Gewerkschaft gewesen, das hat mich ein Stück weit geprägt."
Reiner Hoffmann, der Mann aus einfachen Verhältnissen, hat sich hochgearbeitet. Nach der Lehre bei den Farbwerken Hoechst macht er Abitur auf dem zweiten Bildungsweg, studiert dann Wirtschaftswissenschaften – und macht bei der Gewerkschaft Karriere. Ein Aufstieg, der ihn geprägt hat:
"Das war, glaub ich eines der Leitmotive, mehr Gerechtigkeit in diesem Land, mehr Chancen gerade für Arbeitnehmer und Kinder. Und es ist ja heute nach wie vor so, wenn man sich die OECD Studien anguckt, dass Deutschland nicht gerade dadurch gekennzeichnet ist, durch eine hohe Durchlässigkeit des Bildungssystems."
Doch dem traditionellen Bild des Arbeiterführers entspricht der 58jährige kaum. Flammende Reden sind seine Sache nicht. Mit Hoffmann tritt ein Mann der leisen Töne an die Spitze des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Einer, der die Worte sorgsam wählt – und auch gerne mal die ausgetretenen Denkpfade verlässt. Die Gewerkschaften müssen sich verändern, sagt er. Dürfen sich nicht mit der Verteidigung des erreichten zufriedengeben:
Neuentwicklungen heißt am Ende des Tages auch, dass sich Gewerkschaften auf die neue Zeit einstellen müssen. Wie wird die Erwerbsarbeit der Zukunft aussehen? Dieses zu gestalten bedeutet natürlich nicht Beharrungsvermögen, nicht unbedingt Aufrechterhaltung des Staus quo, sondern Veränderung."
Beispiel Rente mit 67. Für die Gewerkschaften ein Reizthema, ein Programm der Rentenkürzung, weil viele aus gesundheitlichen Gründen früher aussteigen und dann erhebliche Abschläge in Kauf nehmen müssten. Damit werden wir uns nicht abfinden, sagt auch der designierte DGB-Chef.
"Aber ich erkenne durchaus an, dass Menschen auch ein Interesse daran haben können, länger erwerbstätig zu sein. Wenn dies der Fall ist, müssen wir es ermöglichen, und wir müssen dann die Brücken am Ende der Erwerbsbiografie viel flexibler gestalten."
Ob im notorisch aufgeregten Politikbetrieb der Hauptstadt für solche differenzierten Sichtweisen viel Raum ist, muss sich zeigen. Hoffmann ist in Berlin noch ein Neuling. Er hat auch nicht die klassische Ochstentour durch die gewerkschaftlichen Niederungen absolviert. Seine Laufbahn ist akademisch und europäische geprägt. Nach dem Studium arbeitete er bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, wechselte dann nach Brüssel an die Spitze des Europäischen Gewerkschaftsinstituts, und stieg anschließend zum stellvertretenden Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes auf. 15 Auslandsjahre, die ihn geprägt haben:
"Europa ist nach wie vor ein relativ abstraktes Gebilde, solange es uns nicht gelingt wirklich deutlich zu machen, dass von der Europäischen Union nicht nur Risiken und Gefahren ausgehen, sondern es wirklich eine Chance ist zur Gestaltung dessen, was wir seit vielen Jahren Globalisierung nennen."
Die Voraussetzungen sind zumindest nicht schlecht. Nach den schwierigen Zeiten der Agenda-Politik werden die Gewerkschaften wieder gehört, in der Politik. Und auch in den Betrieben. Der Mitgliederschwund ist gestoppt, gerade bei jugendlichen Beschäftigten finden die Gewerkschaften wieder Anklang. Das gilt in erster Linie für die klassischen Industriebranchen. Aber, die Arbeitswelt wird bunter, mahnt Hoffmann. Die Gewerkschaften müssen sich weiter öffnen, für Angestellte und Akademiker zum Beispiel:
"Da tun wir uns nach wie vor schwer, wobei wir glaube ich, auch in den letzten Jahren deutlich besser geworden sind. Und Voraussetzung dafür ist, dass wir anerkennen müssen, das Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ihren unterschiedlichen Berufslagen durchaus auch unterschiedliche Interessen haben.
Das wird auch Hoffmann noch zu spüren bekommen. Als Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes kommt ihm die schwierige Aufgabe zu, die Interessen der acht Einzelgewerkschaften zu bündeln. Und nach außen zu vertreten. Drei Monate Eingewöhnung sind ihm gewährt: Am 1. Februar rückt er in den Vorstand des DGB, im Mai wird er zum Vorsitzenden gewählt.