America first: Im März letzten Jahres begann Donald Trump, seine Wahlkampfparole umzusetzen - mit einer wirtschaftlichen Kampfansage an den Rest der Welt, vor allem an die Adresse Chinas:
"Wir haben jetzt ein Handelsdefizit von 800 Milliarden Dollar gegenüber der Welt, sagen wir 500 gegenüber China, das bedeutet: China ist mehr als die Hälfte. Darum werden wir uns kümmern und das wird uns zu einer viel stärkeren und reicheren Nation machen. Die Welt ist gegenseitig, wechselseitig, daran soll sich jeder erinnern, wir wollen einen wechselseitigen Spiegel: Wenn sie uns mit Zöllen belasten, belasten wir sie in derselben Weise. So muss es laufen, aber so ist es viele Jahre, viele Jahrzehnte lang nicht gelaufen."
Trump startete mit Strafzöllen auf Waschmaschinen und Solarmodule aus China und weltweit auf Stahl und Aluminium. Die Chinesen konterten mit Vergeltungszöllen auf US-Landwirtschaftsprodukte, auf Autos, Kohle und Stahl. Und die EU antwortete auf Trumps Maßnahmen mit einer Besteuerung von amerikanischer Importware: bei Whiskey, Jeans, Agrargütern und Autos.
Drei Arten von Wirtschaftskrieg
Die Fronten sind weltweit verhärtet, schreiben Nils Ole Oermann, Professor für Ethik und Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Lüneburg, und Dr. Hans-Jürgen Wolff, Rechtshistoriker und Politikberater in Berlin in ihrem gerade erschienen Buch mit dem Titel "Wirtschaftskriege. Geschichte und Gegenwart". Die Autoren sind dem Thema ebenso historisch wie systematisch nachgegangen. Die Autoren unterscheiden drei Arten von Wirtschaftskrieg. Hans-Jürgen-Wolff:
"Die erste Bedeutung: Wirtschaftskrieg ist ein mit wirtschaftlichen Zielen geführter Krieg. Solche Kriege hat es gegeben, ein Beispiel ist möglicherweise der Salpeter-Krieg im 19. Jahrhundert zwischen Chile, Bolivien und Peru. Da ging es darum, wer die Salpetervorkommen besitzen und ausbeuten darf."
Die zweite Bedeutung von Wirtschaftskrieg, so Hans Jürgen Wolff, meint den Kampf gegen die Kriegswirtschaft des Gegners im bewaffneten Konflikt. Von dieser Art Wirtschaftskrieg waren die beiden Weltkriege geprägt.
"Im Zweiten Weltkrieg beispielsweise Bombenangriffe auf Fabriken, aber auch zum Beispiel das Wegkaufen von Rohstoffen, die der Gegner gebrauchen könnte. Man hat also zum Beispiel mit Riesenaufwand versucht, Deutschland die Wolfram-Erzvorkommen vor der Nase wegzuschnappen. Da hat man sowohl gewaltsame militärische Maßnahmen als auch gewaltlose Handelsmaßnahmen."
Die dritte Bedeutung von Wirtschaftskrieg meint den Kampf, der zwar ohne militärische Gewaltanwendung, aber dafür mit allen ökonomischen Mitteln geführt wird, um die Wirtschafts- und Finanzkraft eines anderen Staates dergestalt zu schwächen, dass man ihm den eigenen Willen aufzwingen kann. Das passiert nicht nur zwischen verfeindeten Regimen, sondern sogar zwischen Nato-Partnern, zum Beispiel 1956 in der sogenannten Suez-Krise, als Großbritannien, Frankreich und Israel die ägyptische Kanalzone besetzten.
Hans-Jürgen Wolff:
"Die Amerikaner fanden diese Intervention ganz furchtbar und haben die drei Mächte zu einem raschen Abzug dadurch gebracht, dass sie erstens den Briten damit gedroht haben, die amerikanischen Vorräte an Pfund Sterling zu verkaufen auf dem Markt, sodass die britische Währung in den Keller gerauscht wäre. Zweitens haben sie die Entwicklungshilfe für Israel gestrichen. Drittens haben sie beim Internationalen Währungsfonds einen Kredit, den London händeringend brauchte, blockiert. Viertens haben Sie sich auch geweigert, Öl zu liefern an die drei Interventionsmächte, Unter diesem wirtschaftlichen Druck haben sich die drei Mächte sehr schnell aus der Kanalzone zurückgezogen und ihr Suez-Abenteuer beendet."
Kapitalisten sind nicht die Kriegstreiber
In welchem grundsätzlichen Zusammenhang stehen Krieg, Politik und Wirtschaft? Die marxistische Theorie behauptet, dass die kapitalistische Profitgier notwendig zu Imperialismus und Krieg führe, dass also der Kapitalismus der ärgste Kriegstreiber sei. Aber die Ergebnisse der Kriegsursachenforschung, so Wolff, haben diese These widerlegt.
"Es hat erstens Kriege natürlich schon lange vor dem Kapitalismus gegeben. Zweitens zeigen Untersuchungen, dass nicht Kapitalisten die Entscheidung für den Krieg herbeiführen oder Politiker an Marionettenfäden führen, sondern dass die politische Führung der Staaten, die in den Krieg eintreten, wirtschaftliche Aspekte natürlich mitabwägt, vor allem aber entscheidet aufgrund einer Einschätzung über die Gefährdung der nationalen Größe, der nationalen Sicherheit, des nationalen Wohlstandes und der Position im internationalen Mächtekonzert."
Einen militärischen Konflikt zu vermeiden, sollte im Zeitalter der Massenvernichtungswaffen für alle Staaten oberste Priorität besitzen. Wie aber sind gewaltlose Formen eines Wirtschaftskrieges zu bewerten? Dürfen oder sollen demokratische Staaten Embargos und Boykotte gegen Unrechtsregime einsetzen - Stichwort Iran, Nordkorea -, um sie an der Entwicklung oder dem Ausbau von Atomwaffen zu hindern?
"Rechtlich sind viele Maßnahmen des Wirtschaftskampfes erlaubt. Denn viele dieser Maßnahmen richten sich allein an die eigenen Bürger und Unternehmen: Wenn ich zum Beispiel meinen Bürgern und Unternehmen verbiete, mit Nordkorea Geschäfte zu treiben, und wenn ich all diejenigen, die mit Nordkorea Geschäfte treiben und nicht meine Bürger sind, von meinem Markt ausschließe, dann werde ich erreichen, wenn ich eine wirtschaftliche Großmacht bin, dass erstens die eigenen Bürger nicht handeln, zweitens Bürger ausländischer Staaten auch nicht handeln, weil sie im Zweifel nicht den amerikanischen Markt verlieren wollen, um den nordkoreanischen zu bespielen."
Wann sind Wirtschaftskampfnahmen legal, wann legitim?
Aber es gibt in der UN-Charta auch ein Interventionsverbot, also das Verbot sich in die inneren Angelegenheiten eines anderen souveränen Staates einzumischen. Wo aber eine solche Einmischung beginnt, das ist umstritten. Und hier tun sich weitere Fragen auf: Ist eine Sanktion, selbst wenn sie vom Völkerrecht gedeckt, also legal ist, auch noch legitim, also ethisch zu rechtfertigen?
Hans-Jürgen Wolff:
"Es gibt das Beispiel der Sanktionen, die gegen den Irak verhängt worden sind, gegen das Regime von Saddam Hussein. Und die natürlich nicht Saddam Hussein getroffen haben, der musste abends nie ohne Abendbrot ins Bett gehen, sondern seine Bevölkerung und in ihr die Schwächsten, die Alten, die Kranken, die Kinder. Es gab Schätzungen, dass die damaligen Sanktionen, weil sie abschnitten von Geld für Medikamente, für Dünger, für Nahrungsmittel, Hundertausende von Leben gekostet haben."
Die Weltöffentlichkeit war empört. Auf ihren Druck hin hat die Clinton-Regierung das Öl-für-Lebensmittel-Programm aufgelegt, also dem Irak erlaubt, Öl zu verkaufen, um mit diesem Geld Medikamente und Lebensmittel auf dem Weltmarkt einzukaufen. Das Irak-Embargo aus der zweiten Hälfte der 90er-Jahre zeigt aber auch, welch verheerende Wirkung für die Zivilbevölkerung der Einsatz von Sanktionen zeitigen kann - Folgen, die in der Vergangenheit nicht reflektiert oder völlig falsch eingeschätzt wurden. Außerdem, so Wolff, sei vorab zu bedenken, ob der Einsatz von Wirtschaftskampfmaßnahmen den sanktionierten Staat nicht genau in den Krieg hineintreibe, den man verhindern will.
"Es gibt leider auch Fälle, das zeigt die Kriegsursachenforschung, wo ein Abreißen der Handelsbeziehungen, wo zunehmende Handelskonflikte dazu führen, dass eine Partei, die sich angewiesen sieht auf ein gutes Handels- und Wirtschaftsklima durch die Aussicht, dass es nicht mehr gut weitergehen wird, zum Krieg gedrängt wird. Deshalb kann man nur alle warmen, die da zündeln. Gerade Großmächte sollten stattdessen immer eine Haltung der Mäßigung, der vernünftigen Zurückhaltung an den Tag legen, auch in Handelsfragen."
China fährt die Ellbogen aus
Freilich müssen für alle Mächte gleiche Regeln herrschen. Gerade China hat sich aber in der jüngeren Vergangenheit durch eine aggressive Handels- und Finanzpolitik, durch einen künstlich niedrig gehaltenen Währungskurs und staatliche Subventionen für Schlüsselindustrien, zum Beispiel in der Solarbranche, regelwidrige Vorteile verschafft.
Hans-Jürgen Wolff:
"Barack Obama hat das einmal verglichen mit Basketball, er hat gesagt: Die chinesische Mannschaft war lange Zeit schwächer als wir, weil wir jedoch immer gewonnen haben, konnten wir darüber hinwegsehen, dass die Chinesen hier und da ihre Ellbogen ausgefahren haben. Inzwischen sind sie sehr viel stärker geworden, fahren aber immer noch ihre Ellbogen aus, und es gibt keinen Schiedsrichter, der die Fouls ahndet, wir müssen unsere Spielweise überdenken."
Gerade gegenüber China befindet sich der Westen in einer Lage, wo es darum geht, sich in sensiblen Spitzentechnologien nicht von China abhängig oder sogar erpressbar zu machen. Das gilt insbesondere für das 5G-Netz und den Einfluss des chinesischen IT-Konzerns Huawei.
Oermann und Wolff kommen in ihrer interdisziplinären Untersuchung von Wirtschaftskriegen in Geschichte und Gegenwart zu einer differenzierten Bewertung: Wirtschaftliche Kampfmaßnahmen gehören demnach auch für demokratische Staaten zu einer ökonomischen Staatskunst. Zu bedenken seien aber sowohl rechtlich wie ethisch in jedem Einzelfall die Ziele, Optionen und möglichen Folgen von Sanktionen, vor allem zum Schutz der Zivilbevölkerung.
Nils Ole Oermann und Hans-Jürgen Wolff: "Wirtschaftskriege. Geschichte und Gegenwart"
Verlag Herder, Freiburg 2019. 272 Seiten, 24,90 Euro.
Verlag Herder, Freiburg 2019. 272 Seiten, 24,90 Euro.