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Wirtschaftskrise
Argentiniens Universitäten im Streik

Argentinien steckt in einer Wirtschaftskrise und der Staat spart insbesondere im Bildungssektor. Die 57 staatlichen Unis des Landes sind deswegen seit Anfang August im Streik - und Seminare finden auf der Straße statt.

Von Anne Herrberg |
    Seminar auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires, Argentinien
    Seminar auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires, Argentinien (Anne Herrberg/Deutschlandradio)
    Die Gruppe "Organische Chemie" macht es sich neben der Pyramide für die Freiheitshelden bequem. Der Psychologiekurs sitzt im Schneidersitz zwischen Blumenbeeten und analysiert Kafka. Die Volkswirtschaftler verscheuchen noch ein paar Tauben, dann gibt es Marx und Mate-Tee.
    Die Vorlesungen der Universität von Buenos Aires beginnen wie immer um acht Uhr "cum tempore", heute allerdings unter freiem Himmel – direkt gegenüber des rosafarbenen Regierungspalastes Casa Rosada an der Plaza de Mayo.
    "Mehrere Unis haben bereits den Notstand erklärt"
    "Herzlich Willkommen zu diesem großen Studientag auf der Plaza de Mayo. Wenn sich die Regierung taub stellt, dann kommen wir eben hierher, um uns Gehör zu verschaffen. Für die Verteidigung des öffentlichen Bildungswesens und der staatlichen Universitäten!"
    Argentiniens 57 staatliche Universitäten sind im Streik – seit Semesterstart Anfang August. Die Seminare finden deswegen teilweise auf der Straße statt. Damit protestieren die Professoren unter anderem gegen das Angebot der Regierung, ihre Gehälter um 15 Prozent anzuheben. Ja, richtig: 15 Prozent Lohnerhöhung. In den meisten Ländern wäre das wohl ein Grund zum Feiern – in Argentinien dagegen ist es purer Hohn, erklärt Claudia Baigorria von der Gewerkschaft Conadu Historica. Aufgrund der hohen Inflation ist die angebotene Erhöhung im Grunde eine Kürzung.
    "Die Situation ist folgende: Erstens haben wir bereits jetzt eine Inflation von 30 Prozent, also doppelt so hoch wie das Angebot der Regierung. Zweitens verliert der Peso täglich an Wert. Das trifft uns Unis direkt, weil sich die Preise für Materialien zum Beispiel im Labor alle am US-Dollar orientieren. Dazu sind die Kosten für Gas, Strom, Wasser teilweise um das Fünffache angestiegen. Mehrere Unis haben bereits den Notstand erklärt."
    Die Besonderheit argentischer Hochschulen
    Claudia Baigorria ist Tochter baskischer Einwanderer, einfache Arbeiter aus der Provinz Santa Fé – dass sie heute Professorin für Chemie und Ernährungswissenschaft ist, verdankt sie Argentiniens öffentlichem Bildungssystem. Die staatlichen Unis gehören zu den besten Hochschulen Lateinamerikas und sind – anders als in vielen Nachbarländern – kostenlos.
    Seminar auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires, Argentinien
    Von der Tochter einfacher Arbeiter zur Professorin für Chemie und Ernährungswissenschaft: Claudia Baigorria (Bildmitte) (Anne Herrberg/Deutschlandradio)
    "Es geht nicht nur ums Geld. Es gab schon viele Versuche, das Bildungssystem zu privatisieren. Das wäre fatal, gerade in einem Land wie unserem, in dem die Unis nicht nur Werkzeuge sind, soziale Barrieren zu überwinden. Sondern auch Orte, an denen unabhängige Forschung noch Platz hat."
    Doch im Staatshaushalt klafft ein dickes Loch. Argentinien steckt, mal wieder, in einer Wirtschaftskrise. Im Mai hat die Regierung von Präsident Mauricio Macri den Internationalen Währungsfonds um einen milliardenschweren Hilfskredit angepumpt – verbunden mit strikten Sparauflagen. Alle müssten den Gürtel enger schnallen, erklärte nun Bildungsminister Alejandro Finocchiaro im Radio La Red.
    "Wir versuchen das Bestmöglichste für die Universitäten herauszuholen. Aber wir können uns auch keine Universitäten mehr leisten, in denen in einem Seminar mehr Dozenten als Studierende sind."
    Leben am Rande der Armutsgrenze
    Der Vorwurf, die Unis hätten mehr Lehrpersonal als Studierende ist nicht nur für Maria Eliza Gutierrez ein Affront. Sie leitet den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Universität von Buenos Aires. Ihr Grundgehalt: rund 25.000 Pesos, das sind umgerechnet rund 600 Euro, für eine 40 Stunden Woche mit voller Lehrtätigkeit – zum Vergleich: Die Armutsgrenze für eine Familie mit zwei Kindern liegt derzeit bei umgerechnet rund 500 Euro.
    "Den Unis wird das Geld gestrichen, die Löhne der Dozenten reichen nicht aus, allein an der Universität von Buenos Aires arbeiten 10.000 Dozenten ehrenamtlich. Dazu gibt es immer weniger Geld für Forschung, immer weniger Stipendien und Investitionen in Infrastruktur. Darunter leidet die Qualität. Die Regierung spricht von Bildungsausgaben. Für uns dagegen ist Bildung eine Investition!"
    Sparen und Reformieren unter der Aufsicht des Internationalen Währungsfonds. Damit verbinden die meisten Argentinier nichts Gutes. Sie machen den IWF mitverantwortlich für den Staatsbankrott im Jahr 2001, der Millionen in die Armut stürzte. Und so geht es längst nicht mehr nur um einen Tarifkonflikt. Argentiniens ganzer – von Schülern und Studierenden bis zu den Rektoren renommierter Forschungsinstitute.
    Einbruch der Landeswährung auf Rekordtief
    Auch das stürmische Regenwetter kann sie nicht abhalten. Am Donnerstag – einem Tag voller wirtschaftlicher Hiobsbotschaften, an dem die Landeswährung auf Rekordtief einbrach – gehen Zehntausende auf die Straße. Sie protestieren für öffentliche Bildung und gegen die Sparpolitik der Regierung.
    "Sie sparen immer nur beim Volk, während der Finanzsektor mit Währungsspekulation Millionengewinne einfährt. Wenn wir das öffentliche Bildungswesen zugrunde richten, dann werden die, die am wenigsten haben, nie Aufstiegsmöglichkeiten haben!"
    Die Biologie-Dozentin Janina Langle steht gemeinsam mit Zehntausenden auf der Plaza de Mayo – sie halten ein Transparent in Richtung des rosafarbenen Präsidentenpalastes "Ohne öffentliche Bildung gibt es keine Zukunft", steht darauf.