Wirtschaftskrise
Das sind die größten Baustellen der deutschen Wirtschaft

Mehr Arbeitslose und Insolvenzen und kaum Land in Sicht: Die deutsche Wirtschaft kommt nicht von der Stelle. Dafür sind nicht nur konjunkturelle, sondern vor allem auch strukturelle Probleme verantwortlich - und die lassen sich nicht schnell lösen.

    Ein Volkswagen Golf durchläuft im VW Werk eine Fertigungsstrecke.
    Auch der große Volkswagen-Konzern steckt in der Krise, es stehen wohl betriebsbedingte Kündigungen an. (picture alliance / dpa / Moritz Frankenberg)
    Erstmals seit 30 Jahren könnte es bei Volkswagen zu betriebsbedingten Kündigungen und Werksschließungen kommen. Ökonomen befürchten, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. Denn nicht nur die Autobranche hat massive Probleme. Die gesamte deutsche Wirtschaft schwächelt schon länger. Woran liegt das?

    Inhalt

    Wo steht Deutschland wirtschaftlich?

    Quartal für Quartal gibt es beim deutschen Bruttoinlandsprodukt mal ein kleines Plus, mal ein Minus oder einfach eine Null. „Die deutsche Volkswirtschaft kommt seit geraumer Zeit nicht von der Stelle“, sagt der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther. Und auch die Aussichten sind nicht gut. Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen steigt, es gibt wieder mehr Arbeitslose. Die Investitionen sinken hingegen. Das ist laut Hüther besonders problematisch, da es dabei um Entscheidungen geht, die Unternehmen mit der Zukunft verbinden. "Da sehen wir außerordentlich schlecht aus", warnt der Ökonom.
    Das Bild wird auch von der ifo Konjunkturprognose vom Herbst 2024 bestätigt. Demnach wird das preisbereinigte Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr stagnieren und 2025 um 0.9 Prozent zulegen. 2026 könnten es dann 1,5 Prozent sein, das würde eine langsame Erholung bedeuten. Doch die Münchener Forscher waren noch vor wenigen Monaten von deutlich mehr Wachstum ausgegangen und mussten ihre Prognose nun nach unten korrigieren. Der deutschen Wirtschaft macht ein Mix aus konjunkturellen und strukturellen Problemen zu schaffen.

    Welche konjunkturellen Probleme hat die deutsche Wirtschaft?

    Aufschwung und Abschwung: Eine Volkswirtschaft unterliegt immer Schwankungen, die konjunktureller Natur sind. So ist in den vergangenen Jahren durch die Inflation der Konsum zurückgegangen. Durch die hohe Geldentwertung verloren die Bürger Kaufkraft und konnten sich weniger leisten. Allerdings hat sich das Inflationsniveau inzwischen normalisiert und bewegt sich um die zwei Prozent herum, der Zielmarke der Europäischen Zentralbank.
    Um die Preissteigerungen der vergangenen Jahre auszugleichen, waren auch die Löhne deutlicher gestiegen. Das Problem dabei ist, dass die Menschen in Deutschland das zusätzliche Geld aus den Lohnsteigerungen vielfach nicht nutzten, um mehr zu konsumieren - sie legten es lieber auf die hohe Kante. Die momentane Sparquote liegt laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung mit 10,8 Prozent deutlich über dem, was die Menschen in den zehn Jahren vor der Corona-Pandemie beiseitegelegt hatten.
    Doch die Wirtschaft bräuchte eigentlich mehr Konsum, um wieder anzuspringen. Als Grund für das Sparverhalten führen Ökonomen schlechte Stimmung und Ungewissheiten an, die weltpolitische Lage ist angespannt.

    Welche strukturellen Probleme hat die deutsche Wirtschaft?

    Konjunkturelle Faktoren, die die Wirtschaft belasten, können sich zeitnah ändern. Anders sieht es bei strukturellen Problemen aus. Das ifo-Institut bezeichnet die gegenwärtige Flaute als in erster Linie strukturelle Krise. Dabei geht es um Probleme, deren Lösung dauern wird.

    Umbau zur klimaneutralen Industrie

    In den kommenden 20 Jahren soll die deutsche Wirtschaft klimaneutral werden. Dafür müssen Wirtschaftsabläufe so umgebaut werden, dass sie deutlich weniger CO2 produzieren. In Deutschland gibt es vergleichsweise viel Industrie. Diese auf klimaneutral zu trimmen ist möglich, aber auch sehr aufwendig und teuer.
    Das liegt in erster Linie daran, dass grüner Strom, der für eine CO2-neutrale Produktion benötigt wird, immer noch sehr kostspielig ist. Auch grüner Wasserstoff, der bei Herstellungsverfahren, die hohe Temperaturen erfordern, benötigt wird, ist noch nicht ausreichend vorhanden. Einige Unternehmen denken daher offen über einen Umzug ins Ausland nach, anstatt in Deutschland zu investieren.

    Demografischer Wandel

    Die Baby-Boomer gehen bald in Rente und werden auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Arbeitsminister Hubertus Heil befürchtet, dass bis zum Jahr 2035 bis zu sieben Millionen Arbeits- und Fachkräfte fehlen könnten. Dabei klagen die Unternehmen bereits seit Jahren über einen immensen Fachkräftemangel. Die fehlende Arbeitskraft zu kompensieren ist eine der großen Herausforderungen der Politik.

    Steuern und Bürokratie

    Wirtschaftsvertreter bemängeln regelmäßig, dass gerade im Vergleich zu anderen westlichen Staaten wie Frankreich oder den USA die Unternehmenssteuern in Deutschland zu hoch seien. Der Ökonom Achim Wambach bezeichnet Deutschland gar als Hochsteuerland.
    In anderen Wirtschaftsregionen wie Asien und Amerika seien nicht nur die Wachstumsraten höher, sondern auch die Steuern niedriger, betont Wambach. Zudem müssten Unternehmen in Deutschland zu viel Zeit in die Bewältigung der Bürokratie stecken. Eine Unternehmensgründung dauere in Deutschland acht Tage - in Frankreich, den USA oder dem Vereinigten Königreich seien es nur vier.

    Fehlende Investitionen in Infrastruktur

    In Deutschland gibt es einen massiven Investitionsstau bei der Infrastruktur. Von insgesamt rund 130.000 Brücken sind mehrere Zehntausend in Zuständigkeit von Bund, Ländern, Kommunen und Deutscher Bahn sanierungsbedürftig. Hunderte Kilometer Schienen müssen erneuert werden.
    Auch der Ausbau des Stromnetzes geht nur schleppend voran. Und sogar beim Internet hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher.  Während im OECD-Durchschnitt 40 Prozent aller Breitbandanschlüsse Glasfaser sind, sind es in Deutschland gerade einmal elf Prozent.
    Um diesen Investitionsstau abzuarbeiten, bedarf es Zeit und Geld. Die Schuldenbremse setzt dem deutschen Staat allerdings einen engen finanziellen Rahmen.

    Steckt insbesondere die deutsche Automobilindustrie in der Krise?

    Sie gilt als Schlüsselbranche in Deutschland: 770.000 Menschen arbeiten in der deutschen Autoindustrie. Gemessen am Umsatz ist sie mit Abstand die größte Industriebranche im Land.
    Doch die deutschen Autobauer stecken in der Krise und kämpfen mit schwachen Absatzzahlen und hohen Kosten für den Umstieg auf den E-Antrieb. Im Schnitt waren die deutschen Werke von Volkswagen, BMW, Mercedes & Co. im vergangenen Jahr nur zu etwas mehr als zwei Dritteln ausgelastet, berichtet der Datenspezialist Marklines.
    Durch den Trend zum E-Auto sind auch viele Jobs bei Zulieferern gefährdet: Denn ein Elektroantrieb ist weniger komplex als ein Verbrenner und braucht weniger Teile.
    Nach Ansicht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben die deutschen Automobilhersteller weiterhin „alle Möglichkeiten und Fähigkeiten, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten“. Dafür müssten sie sich allerdings neu erfinden, sagt DIW-Präsident Marcel Fratzscher - "und ihre Innovationsstärke verlagern und nutzen, um den Umstieg auf E-Mobilität und autonomes Fahren schneller und besser umzusetzen“.

    mg