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Wirtschaftskrise in der Türkei
"Erdogan wird sich nicht dem Diktat der Bürokraten aus Washington unterwerfen"

Die Türkei sollte Hilfe vom Internationalen Währungsfonds annehmen und infolgedessen eine ordentliche Wirschaftspolitik machen, sagte der Ökonom Thomas Meyer im Dlf. Auflagen vom IWF zu erhalten, werde Recep Tayyip Erdoğan aber vermeiden. Er könne sich allerdings durchaus Hoffnung machen, von der EU Geld zu bekommen.

Thomas Mayer im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Der türkische Präsident Erdogan bei einem Treffen mit Putin in Hamburg
    Erdogan behaupte, dass Zinssenkungen die Inflation senken würde, so der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Meyer (picture alliance/dpa - Mikhail Klimentyev/TASS/dpa)
    Martin Zagatta: Die Türkei hat harte Wochen hinter sich, seit Jahresbeginn hat die Landeswährung Lira mehr als 45 Prozent verloren. Strafzölle der USA haben die Situation gestern noch einmal verschärft. Ökonomen hierzulande sind jetzt der Meinung, dass die Krise eigentlich nur mit einer geldpolitischen Kehrtwende zu lösen wäre. Sie raten jetzt Präsident Erdogan, die Hilfe des IWF in Anspruch zu nehmen. Die Frage deshalb an Thomas Mayer von der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch, an den früheren Chefvolkswirt der Deutschen Bank, ist der IWF da eine ernsthafte Alternative? Erdogan will das ja auf keinen Fall, aber kommt er daran vorbei?
    Thomas Mayer: Ja, das Naheliegende wäre natürlich, zum IWF zu gehen, wie es sein argentinischer Kollege getan hat, aber Erdogan will das auf keinen Fall. Er wird sich nicht dem Diktat der Bürokraten aus Washington unterwerfen, und deshalb denke ich, dass er von anderswo her sich Devisen besorgen wird.
    Zagatta: Was hieße das denn, wenn er sich dem Diktat des IWF unterwerfen müsste? Das wäre dann Auflagen für die Notenbank, die Zinsen freigeben, oder was will er da nicht?
    Mayer: Vor allem würde der IWF natürlich fordern, dass die Zinsen erhöht werden, dass die Staatsausgaben reduziert werden, es würde zu einer Stabilisierungsrezession des Landes kommen, und Erdogan ist ja dafür bekannt, dass er behauptet, dass Zinssenkungen die Inflation senken würde. Das ist eine komplett heterodoxe, sage ich mal, Wirtschaftsauffassung, die der IWF auf keinen Fall teilen wird. Deshalb denke ich, dass er es vermeiden wird, von dort Auflagen zu bekommen. Das entspricht nicht seinem Ego, und deshalb vermute ich, dass er versuchen wird, von anderswo her Geld zu bekommen, das nicht mit Auflagen verbunden ist, und da richtet sich sein Blick auf der einen Seite nach Osten. Russland ist zwar nicht sehr zahlungskräftig, aber wenn er ein bisschen weiterschaut, kommt China in den Blick. Vielleicht kann er dort einen Deal machen, dass China ihm Geld zur Verfügung stellt, das eben nicht mit solchen Konditionen verbunden ist. Ich vermute, dass er auch versuchen wird, weiter EU-Geld loszueisen. Schließlich sind wir darauf angewiesen, dass die Türkei den Flüchtlingsstrom kontrolliert. Da lässt sich ja noch was machen.
    Zagatta: Die Bundeskanzlerin hat ja auch betont, man sehe das mit Sorge und wolle die Türkei unterstützen. Sollte das die EU tun, sollte man da helfen in dieser Situation?
    Mayer: Ich würde das für sehr, sehr problematisch halten. Ich bin ja, wie die anderen Kollegen auch, der Meinung, eigentlich sollten sie zum IWF gehen und eine ordentliche Wirtschaftspolitik machen, aber ich vermute mal, dass die EU sich dort hilfsbereit zeigen wird. Dafür sprechen zwei Gründe: Zum einen gibt es Banken im Euroland, insbesondere in Frankreich, in Spanien und in Italien, die Kredite an die Türkei haben, insbesondere an private Unternehmen, und um diese Kredite bangen. Also von dort wird Druck kommen an die Politik, doch was zu tun, um der Türkei zu helfen. Dann ist das schon, wie erwähnt, das Flüchtlingsabkommen da, das möchte man natürlich erhalten, und schließlich wird man auch ins Feld führen, dass die Türkei auch ein strategisch-militärischer Partner ist, den man nicht im Regen stehen lassen darf. Insofern denke ich, dass Erdogan durchaus sich Hoffnung machen kann, von der EU Geld zu bekommen.
    "Die Türkei hat zunächst mal andere Schwellenländer angesteckt"
    Zagatta: Wie groß ist denn die Ansteckungsgefahr für Europa?
    Mayer: Die Türkei hat zunächst mal andere Schwellenländer angesteckt. Das ist das Naheliegende. Das hatten wir schon in der Emerging-Market-Krise von 98 gesehen, aber es sind die Emerging Markets, die Schwellenländer mal angesteckt, dann verbreitet sich der Virus in die Industrieländer hinein über die Peripherie im Euroland. Die Euroländer im Süden haben mit den Schwellenländern zumindest zwei Dinge gemeinsam: Erstens, sie sind sehr hoch verschuldet. Es ist ja bisher nicht gelungen, die Schulden wieder abzubauen, die während der Finanzkrise und Eurokrise aufgebaut worden sind, und zweitens, sie sind verschuldet in einer Währung, die sie nicht selbst produzieren können. Sie sind in Euro verschuldet, und sie haben keine Hoheit über die Europäische Zentralbank, ihnen Geld zu drucken, um ihre Schulden begleichen zu können. Damit ähneln sie den Schwellenländern, die sich auch in Fremdwährungen, Dollar oder Euro, verschuldet haben. Das ist das Einfallstor dieses Virus in die Industrieländer. Dann kommt die Europeripherie ins Schleudern, und dann kommt das ganze Euroland unter Druck.
    Zagatta: Das heißt, diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Türkei, verstehe ich Sie da richtig, die könnten auch eine neue Eurokrise auslösen?
    Mayer: Es ist möglich. Wir haben gelernt in der Finanzkrise, dass Ansteckungseffekte da sind, dass man die genau beobachten muss, wie sich solche Ansteckungen abspielen, und ich sehe eben insbesondere in der Europeripherie die Gefahr der Ansteckung von diesem Virus, der sich momentan in den Schwellenländern verbreitet.
    "Jedes dieser Länder leidet am gemeinsamen Problem der hohen Verschuldung"
    Zagatta: Im DIW, im Deutschen Institut für Wirtschaft, da werden schon Vergleiche mit Venezuela oder Simbabwe gezogen. Sie haben vorhin Argentinien genannt. Ist die Lage der Türkei tatsächlich so schlimm?
    Mayer: Also sie ist nicht vergleichbar mit Venezuela. Venezuela ist ja komplett gescheitert, und Simbabwe hat ja eine Hyperinflation und ist auch jetzt nicht in der Lage, auf die Beine zu kommen. Also es ist nicht so schlimm wie diese Länder, aber jedes dieser Länder leidet auf seine eigene Art am gemeinsamen Problem der hohen Verschuldung, des auf Pump finanzierten Aufschwungs. Die meisten Schwellenländer haben, als es den Industrieländern in der Finanzkrise schlecht ging, viel Schulden aufgenommen, um ihre Konjunktur zu stabilisieren. Sie haben in der Verschuldung das nachgeholt zwischen 2009 und heute, was die Industrieländer vor der Finanzkrise vorgemacht haben, und leiden jetzt, bei hoher Verschuldung, zum Teil in Auslandswährung, zum Teil in US-Dollar, sie leiden jetzt unter dem Zinsanstieg, der von den USA kommt.
    "Sicherlich werden die Exporte in die Türkei leiden"
    Zagatta: Wenn Sie die Auslandswährung erwähnen, welche Folge hat denn diese Krise jetzt für deutsche Unternehmen? Es gibt ja viele, die da in der Türkei oder mit der Türkei Geschäfte machen.
    Mayer: Sicherlich werden die Exporte in die Türkei leiden. Die Türkei hat über Jahre hinweg über ihre Verhältnisse gelebt. Auch Erdogan wird, auch wenn er außerhalb des IWFs noch Geld bekommt, nicht umhin können, seine Inlandsnachfrage, insbesondere die großen Infrastrukturinvestitionen, die ihm so gut gefallen, einzuschränken. Das bedeutet, dass sich das Wachstum in der Türkei abschwächen wird, dass das Land wahrscheinlich in eine Rezession gehen wird, und das betrifft natürlich diejenigen, die an die Türkei Kredite gegeben haben und diejenigen, die in die Türkei exportiert haben. Allerdings muss ich dazu sagen, dass natürlich die Türkei kein riesiger Auslandsmarkt für deutsche Unternehmen ist. Das kann man verkraften.
    Zagatta: Dass die Lira, dass die türkische Währung gerade jetzt so abgestürzt ist, ist das ein selbstgemachtes Problem oder hängt das doch mit den Strafzöllen der USA zusammen?
    Mayer: Nein, das ist ganz, ganz wesentlich ein selbstgemachtes Problem. Über die Probleme der Türkei hat man lange gesprochen. Also das kommt jetzt nicht aus heiterem Himmel. Die expansive Politik war bekannt. Es war bekannt, dass die Auslandsverschuldung hoch ist, aber bis zur Wahl Erdogans ins Präsidentenamt, waren die Märkte einigermaßen beruhigt durch einigermaßen kompetente Leute im Finanzministerium in der Zentralbank. Erdogan hat jetzt als Staatspräsident sich sehr viel Macht zugesprochen, insbesondere mischt er jetzt auch aktiv mit in der Finanz- und Wirtschaftspolitik. Ein Familienangehöriger ist zum Finanzminister ernannt worden. Er selbst regiert in die Zentralbank hinein, verbietet der Zentralbank, die Leitzinsen zu erhöhen, und das hat, meines Erachtens, hier die Wende gebracht.
    Zagatta: Die Wirtschaftskrise, die Währungskrise, ein selbstgemachtes Problem der Türkei, sagt Thomas Mayer von der Vermögensverwaltung Flossbach von Storch, der frühere Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.