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Wirtschaftskrise in der Türkei
"Wenn wir nur die Symptome bekämpfen, lösen wir das Problem nicht"

Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU, hat sich gegen deutsche Finanzhilfen für die Türkei ausgesprochen. Diese würden nur die aktuellen Symptome der Währungskrise bekämpfen und die notwendigen Reformen im Land verzögern, sagte er im Deutschlandfunk.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Silvia Engels |
    Der Bundestagsabgeordnete und transatlantische Koordinator der Bundesregierung, Jürgen Hardt (CDU), spricht am 21.11.2017 im Bundestag in Berlin. In seiner 2. Sitzung der 19. Legislaturperiode berät der Deutsche Bundestag unter anderem über Bundeswehreinsätze und die Einsetzung verschiedener Ausschüsse. Foto: Silas Stein/dpa | Verwendung weltweit
    Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU (dpa)
    Silvia Engels: Sie haben es in den Nachrichten gehört: Die wegen Terrorvorwürfen angeklagte deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu darf die Türkei verlassen.
    Am Telefon ist Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion. Guten Morgen, Herr Hardt.
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Frau Engels.
    Engels: Deckt sich dieser Bericht über die bevorstehende Ausreisemöglichkeit Tolus auch mit Ihren Informationen?
    Hardt: Ich habe keine eigenen Erkenntnisse dazu. Ich weiß, dass einige Personen, deutsche Staatsbürger in der Türkei in Haft sitzen – aus Gründen, die wir nicht nachvollziehen können, und auch ohne entsprechende Gerichtsurteile. Ich sage, das sind politische Gefangene, und ich sage, wenn wir jetzt für Frau Tolu eine solche gute Botschaft hören, erwarte ich und wünsche ich mir das natürlich auch für die anderen. Und an die türkische Regierung gerichtet sage ich: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.
    "Es fehlt das Vertrauen der Investoren in die Rechtssicherheit"
    Engels: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, sagen Sie. Aber der Fall Tolu war ja lange ein Konfliktpunkt in den deutsch-türkischen Beziehungen. Er wurde wie andere Fälle auch zu einem Symbol. Es wurde viel darüber berichtet. Ist diese Ausreiseerlaubnis, die zunehmend als gesichert gelten kann, nun ein Signal der Entspannung Ankaras, das man trotzdem vielleicht auch ernst nehmen muss?
    Hardt: Die Art und Weise, wie die türkische Regierung und die türkische Justiz, die in dieser Frage meines Erachtens von der Regierung gesteuert ist, mit Personen umgeht, die andere Meinungen in der Türkei vertreten und sich kritisch gegenüber der Regierung äußern, ist in erster Linie ein Hinweis darauf, dass die Rechtsstaatlichkeit und die Meinungsfreiheit in der Türkei gegenwärtig nicht gewährleistet ist. Wenn jetzt tatsächlich die türkische Regierung beziehungsweise die türkische Justiz zum Ergebnis kommt, Frau Tolu und vielleicht auch andere wieder auf freien Fuß zu setzen, heißt das für mich noch nicht, dass die Rechtsstaatlichkeit gewährleistet ist, und das ist eines der zentralen Probleme, die wir mit der Türkei haben. Die Türkei hat sich auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit klar hinzubewegt. Es war eine funktionierende Demokratie, ein Rechtsstaat, in dem auch andere Meinungen zugelassen wurden, und das hat Erdogan systematisch ausgehöhlt. Und das ist auch der Kern des Problems, das die Türkei gegenwärtig mit ihrer wirtschaftlichen Entwicklung hat. Es fehlt das Vertrauen der Investoren in die Rechtssicherheit in diesem Lande.
    "Probleme der türkischen Wirtschaft sind hausgemacht"
    Engels: Damit kommen wir zu unserem zweiten Thema, denn diese ja erfreuliche Nachricht kommt zu einer schwierigen Zeit für die Türkei. Seit Wochen eskalieren ja der türkische Präsident Erdogan und US-Präsident Trump diesen bilateralen Handelskonflikt. Die USA verlangen die Freilassung des in der Türkei unter Hausarrest stehenden US-Pastors Brunson und dadurch kamen weitere Strafzölle ins Spiel. Der türkische Präsident hält gegen mit Gegenmaßnahmen und leidtragend ist die ohnehin schon in der Krise steckende türkische Wirtschaft. Der Wechselkurs ist eingebrochen, die Inflation steigt. Die Ratingagenturen haben die Kreditwürdigkeit herabgestuft. Experten fürchten Unternehmenspleiten in der Türkei und möglicherweise in der Folge auch schwere Krisen für europäische Banken, die im Türkeigeschäft engagiert sind.
    Am Wochenende hat ja SPD-Chefin Nahles deshalb deutsche finanzielle Unterstützung für die Türkei angedeutet, damit die Türkei stabil bleibt. Sie haben sich dazu zurückhaltend geäußert. Warum?
    Hardt: Ich glaube, dass die Probleme der türkischen Wirtschaft in erster Linie hausgemacht sind. Es hat begonnen mit einer überbordenden Staatsausgaben-Politik von Präsident Erdogan und seinen Regierungen, die damit einen Wohlstand auch für kleinere und mittlere Einkommensbezieher vorgegaukelt haben, was ihm sicherlich auch in Wahlen geholfen hat. Aber viele haben vor der Überhitzung der türkischen Wirtschaft gewarnt und vor der Ausgabenpolitik des Staates.
    Das hat alles funktionieren können, weil die Investoren die Perspektive hatten, dass die Türkei sich letztlich westlichen Werten, der westlichen Welt, der Europäischen Union immer weiter annähert und deswegen einen guten wirtschaftlichen Weg nehmen wird. Dann hat Erdogan mit seiner Politik in seinem Lande die Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit, an dem Weg der Türkei Richtung Westen klar in Zweifel gestellt. Er hat Streit angefangen mit dem wichtigsten Verbündeten der Türkei, nämlich Amerika, und das erschüttert natürlich das Vertrauen nachhaltig. Und die Erwartung, dass es mit diesem Land wirtschaftlich und politisch weiter aufwärts geht und das Wachstum in diesem Land dauerhaft sein wird, die ist ins Mark erschüttert. Ich glaube, das was wir jetzt im Augenblick erleben an Auseinandersetzungen zwischen Amerika und der Türkei, was auch möglicherweise stark durch persönliche Emotionen der Präsidenten befördert ist, das ist sicher nur die Spitze des Eisberges, so dass jetzt sichtbar wird, dass Erdogan sein Land letztlich in die Sackgasse geführt hat, ökonomisch und politisch. Wenn er da nicht rauskommt aus dieser Ecke, macht es keinen Sinn, Wirtschaftshilfen oder Finanzhilfen gegenüber der Türkei zu gewähren. Die Türkei ist im Übrigen auch nicht Mitglied der Eurogruppe. Von daher haben wir auch nicht die Verantwortung, wie wir das vielleicht gegenüber Griechenland oder Spanien oder anderen Ländern der Europäischen Union gehabt haben.
    Erdogan lässt das Land "zwischen den Fronten treiben"
    Engels: Sie verlangen also, wir haben es verstanden, eine Änderung der Haltung Erdogans. Wann wäre denn Ihrer Ansicht nach die Schwelle erreicht, wann Erdogan wieder ein Gesprächspartner ist, mit dem man auch wieder auf Kooperation setzen kann? Denn darauf verweist ja auch zum Beispiel der frühere Außenminister Gabriel: Die Türkei ist zu wichtig, um es einfach so treiben zu lassen.
    Hardt: Es ist so, dass der türkische Präsident Erdogan seinerseits das Land ein Stück weit treiben lässt zwischen den Fronten, wenn man das so will. Er hat das Land übernommen in einer Zeit, als der Weg Richtung Europa eigentlich klar vorgezeichnet war, als das Bündnis mit Amerika in der NATO unzweifelhaft war, und wir befinden uns heute in einer Situation, in der die Türkei mit Soldaten im südlichen Land Syrien steht, in der die Türkei mit nahezu jedem seiner Nachbarn Streit hat, in der die Türkei sich abwendet von der Europäischen Union und von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Das sind gänzlich andere Voraussetzungen, als sie zum Beispiel vor zehn Jahren da waren für diejenigen, die in der Türkei investiert haben. Und wenn das nicht zurückkehrt, dann wird es auch keinen wirtschaftlichen Wiederaufschwung in dem Lande geben können, und ich fürchte, dass letztlich die AKP und Erdogan sich überlegen müssen, wie sie durch neue politische Bündnisse und einen neuen politischen Kurs diese Sackgasse verlassen und dann doch auf einen Weg zurückkehren, wie er vor zehn bis 20 Jahren in der Türkei ja positiv mit unserer Unterstützung beschritten wurde.
    Engels: Die Rückkehr zu diesem Pfad. – Nun steht ein Staatsbesuch Erdogans in Deutschland bevor. Die Opposition fordert klare Markierungen, ein Zugeständnis Erdogans in irgendeiner Form an die Zivilgesellschaft, bevor man ihn hier mit diesen Ehren empfangen sollte. Schließen Sie sich da an?
    Hardt: Ich glaube, dass dieser Besuch Erdogans eine sehr gute Möglichkeit für Regierungsvertreter, auch für die Öffentlichkeit in Deutschland ist, der türkischen Regierung auch klar die Dinge vorzuhalten und vorzutragen, die wir kritisch sehen. Gleichwohl gibt es natürlich einen großen Vorrat auch an gemeinsamen Themen, wo die türkische und die deutsche Regierung jenseits dieser aktuellen Streitpunkte an einem Strang ziehen. Denken Sie zum Beispiel an das Flüchtlingsabkommen der Europäischen Union mit der Türkei. Daran hält sich die Türkei, daran halten auch wir uns, und das sollte natürlich auch weiterhin Bestand haben.
    Kurswechsel in der Türkei: "Das liegt allein in der Hand des türkischen Präsidenten"
    Ich erwarte, dass dieser Besuch zur Gelegenheit genommen wird, der türkischen Regierung die deutschen Vorstellungen klar vorzuhalten, und ich hoffe, dass auch in der türkischen Öffentlichkeit angesichts dieses Besuches und der Themen, die dabei zur Sprache kommen, eine Diskussion darüber stattfindet, ob das Land sich tatsächlich auf dem richtigen Weg befindet. Wenn Präsident Erdogan dann daraus die richtigen Schlüsse zieht und eine Kursänderung seiner Politik im Lande nach innen (das wäre dann die Rechtsstaatlichkeit und die Meinungsfreiheit) und nach außen (das wäre die Orientierung Richtung Europa, Richtung Amerika), wenn er einen Kurswechsel vollzieht, dann haben wir vielleicht am Jahresende eine gänzlich andere Situation. Das liegt aber allein in der Hand des türkischen Präsidenten.
    Engels: Vielleicht haben wir am Jahresende eine andere Situation, sagen Sie. Aber wieviel Zeit gibt es denn mit Blick auf die Wirtschaftskrise noch? Denn es sind ja auch durchaus ernst zu nehmende große deutsche Unternehmen involviert, die sich jetzt auch um ihr Geschäft, aber auch ihre eigene Existenz zum Teil sorgen in der Türkei. Und umgekehrt kann einfach auch die deutsche Bundesregierung doch die Nöte, die möglicherweise mit Folgen für die Bankenlandschaft in Europa entstehen, nicht ignorieren.
    Hardt: Ich glaube, wenn wir nur die Symptome bekämpfen – und das wäre ja eine entsprechende Finanzhilfe, die wir direkt für die Türkei und kurzfristig gewähren -, wenn wir nur die Symptome bekämpfen, lösen wir das Problem nicht. Ich glaube, ohne die Bereitschaft der türkischen Regierung, auch etwas an den Ursachen zu tun, und das ist zum einen die Staatsausgabenpolitik, die doch in den letzten Jahren sehr überbordend war, und das ist zum anderen die Frage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in der Türkei, solange dies nicht seitens der türkischen Regierung korrigiert wird, würden Hilfen nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein und würden letztlich den notwendigen Veränderungsprozess in der Türkei nur verschleppen. Von daher fürchte ich, dass wir mit solchen Hilfen nicht den Erfolg haben werden, den wir uns wünschen, und deswegen mache ich dahinter ein großes Fragezeichen unter den gegenwärtigen Bedingungen.
    "Deutsche Firmen werden gegebenenfalls Einbußen hinnehmen müssen"
    Engels: Auch wenn deutsche Firmen leiden?
    Hardt: Ich habe Sie gerade nicht verstanden.
    Engels: Auch wenn deutsche Firmen leiden?
    Hardt: Deutsche Firmen werden natürlich gegebenenfalls Einbußen hinnehmen müssen, wenn das Geschäft in der Türkei einbricht und wenn es dort Schwierigkeiten gibt. Das wird dann auch die Bundesregierung und die deutsche Seite im Einzelfall bewerten müssen. Aber generell glaube ich, dass wir an der Ursache ansetzen müssen, und das ist die gegenwärtige Politik in der Türkei.
    Engels: Der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion Jürgen Hardt war das hier im Deutschlandfunk. Wir sprachen mit ihm über die Türkei und die Perspektiven des bilateralen Verhältnisses. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Hardt: Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.