Noch mehr Bürokratie ist keine Lösung, meint ein urbaner Landwirt in der Hauptstadt Caracas. Er produziert schon seit langem Gemüse und verkauft es an die notleidende Stadtbevölkerung.
Mitten im Zentrum von Caracas gedeiht eine Gemüseoase: Kräuter, Gurken und Tomaten wachsen in einem eingezäunten Garten von der Größe eines Fußballfeldes, eingerahmt von Bürogebäuden, U-Bahn-Schächten und Hauptverkehrsachsen. Einige Passanten bleiben stehen und betrachten ungläubig das viele Gemüse. Ein seltener Anblick in Zeiten des Mangels.
Hinter dem Zaun wuselt Mathematikprofessor Manuel Velasquez durch die Beete. Der kleine Mann im grünen Overall steht nie still. Während des Interviews zupft er Unkraut, zeigt stolz die Pflanzen.
"Wir sind auf Gemüse spezialisiert: Tomaten, Paprika, Chile, Auberginen, Kürbis, Gurken, Radieschen, Steckrüben, rote Beete, Karotten, Mangold, Kopfsalat, sogar Bohnen."
Seit vier Jahren kommt Velasquez täglich für einige Stunden in den Garten. Der verstorbene sozialistische Präsident Hugo Chávez hatte den früheren Park dem Volk zum Bewirtschaften geschenkt.
"Unser Kommandant Chávez begeisterte sich schon vor 13 Jahren für dieses Modell. Eigentlich war er seiner Zeit damit weit voraus. Das hier ist der erste Stadtgarten in unserem Land und der einzige, den Chávez 2003 persönlich eingeweiht hat."
Aber, seit Chávez‘ Tod sei alles anders. Grimmig schaut Velasquez auf das hohe Bürogebäude gegenüber. In ihm residiert das neue Ministerium für urbane Landwirtschaft, gegründet von Chávez‘ Nachfolger. In Venezuela wird kaum noch etwas produziert. Für viele Landwirte lohnt sich die Arbeit nicht mehr, oder sie ist zu schwierig geworden, weil weder Saatgut noch Düngemittel erhältlich sind. Das Ministerium soll deshalb Stadtgärten fördern, Beete auf Dächern und Balkonen, die Tomate auf dem Fensterbrett. Doch Velasquez und seine Mitstreiter hat noch nie ein Beamter besucht, ihm gar Unterstützung angeboten…
"Wir haben durchaus mit dem Staat zu tun, weil auch wir Revolutionäre sind. Mit dem Ministerium für Urbane Landwirtschaft gibt es aber keinen Austausch. Ihre Logik ist eine andere. Sie gehen in eine Konferenz nach der anderen. Wir stehen mit beiden Beinen auf dem Boden und produzieren Lebensmittel!"
Die verkaufen sie direkt vor dem Gartentor zu Niedrigpreisen an die notleidende Bevölkerung.
Im Ministerium auf der anderen Straßenseite lernt eine Gruppe von 50 Personen anhand eines Videos, wie man den Boden bearbeitet und sät. Angela ist dafür extra aus ihrer ländlichen Region angereist.
"Bei uns hat fast jeder ein Stückchen Land, einen kleinen Garten, in dem man das Notwendigste anbauen kann. Ich will lernen, wie man viel rausholen kann, weil es für uns es immer schwieriger wird, an Lebensmittel zu kommen: Es gibt einen Krieg um Lebensmittel. Auch beim Transport gibt es Probleme. Wir verlieren Gewicht, obwohl wir drei Mal am Tag essen, aber es fehlt einfach kalorienreiche Nahrung."
Als Regierungsanhängerin glaubt Angela an die offizielle Erklärung, die Unternehmer führten einen Wirtschaftskrieg gegen das Land und seien verantwortlich für den Mangel. Manuel Velasquez in seinem Stadtgarten sieht das Problem eher bei der Politik.
"Wir sitzen noch viel zu viel in Büros herum, dabei gibt es in Venezuela jede Menge Arbeit. Das gesamte Volk sollte produzieren! Es geht um weit mehr als Oppositions-oder Regierungspolitik. In den Medien geht es immer nur um den Kampf zwischen beiden Seiten und um lauter Ankündigungen der Regierung, aber nichts Konkretes. Konkret ist wenn ich sage: Hier ist mein Samen, mit dem baue ich jetzt etwas an. Das ist heute ein Grundproblem: zu viel Theorie und zu wenig Praxis."
Voller Anerkennung spricht der gärtnernde Matheprofessor dagegen vom verstorbenen Comandante Hugo Chávez. Der habe noch angepackt. Das Bild von Velasquez, der sich zum Abschied mit einer 10 Kilo-Gurke auf dem Arm präsentiert, hätte dem Comandante sicherlich gefallen.