Der Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften geht 2023 an die US-Ökonomin Claudia Goldin. Das gab die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm bekannt. Goldin (77) wird für die "Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt" ausgezeichnet. Sie ist erst die dritte Frau, die den Preis erhält.
Der Nobelpreis im Fach Wirtschaftswissenschaften wird seit 1969 verliehen und ist mit elf Millionen Kronen (etwa 950.000 Euro) dotiert. Er wird von der schwedischen Notenbank gestiftet, die damit der wachsenden Bedeutung wirtschaftlicher Fragen Rechnung tragen will.
Mit welchen ökonomischen Fragen hat sich Claudia Goldin beschäftigt?
Frauen auf dem Arbeitsmarkt: Untersuchungen zu diesem Thema haben der US-Ökonomin Claudia Goldin nun den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften eingebracht. Die 77-Jährige habe die wichtigsten Treiber für Geschlechterunterschiede in der Arbeitswelt aufgedeckt, stellte die Akademie der Wissenschaften in Stockholm fest.
Goldin habe den ersten umfassenden Beitrag über das Einkommen und die Teilhabe von Frauen auf dem Arbeitsmarkt im Laufe der Jahrhunderte geliefert, sagte der Vorsitzende des zuständigen Nobelkomitees, Jakob Svensson. Ihre Forschung decke zum einen die Ursachen des Wandels auf, zum anderen aber auch die Hauptursachen für die noch immer verbleibende Kluft zwischen den Geschlechtern: "Frauen sind auf dem globalen Arbeitsmarkt erheblich unterrepräsentiert und verdienen, wenn sie arbeiten, weniger als Männer."
Viel Zuspruch aus der Fachwelt
Goldin wurde 1946 in New York geboren. Sie ist Professorin an der Elite-Universität Harvard und erst die dritte Frau, die den Wirtschaftsnobelpreis erhält. Zuvor waren bereits Elinor Ostrom 2009 und Esther Duflo 2019 ausgezeichnet worden.
In der Fachwelt gibt es viel Zuspruch für die Ehrung von Goldin. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, bezeichnete die Wahl als "Weckruf für Wirtschaft und Gesellschaft in Deutschland für mehr Chancengleichheit". Lob kommt auch aus dem Mannheimer Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW: "Claudia Goldin hat mit ihren Arbeiten unser Verständnis zu mehr Gleichberechtigung am Arbeitsplatz wesentlich erweitert", sagte ZEW-Präsident Achim Wambach.
Warum ist der Wirtschaftsnobelpreis umstritten?
Der Wirtschaftsnobelpreis hat unter den Nobelpreisen eine Sonderrolle inne. Für die ausgezeichneten Forscherinnen und Forscher ist er natürlich eine ganz besondere Ehrung. Doch von Alfred Nobel – dem Vater der Nobelpreise – war eine Auszeichnung für besondere Leistungen auf dem Gebiet der ökonomischen Theorie nie vorgesehen. Im Gegenteil: Er verspürte den Wirtschaftswissenschaften gegenüber sogar eine tiefe Abneigung. "Ich habe keine Wirtschafts-Ausbildung und hasse sie von Herzen", schrieb Nobel einst in einem Brief.
Gestiftet wurde der Preis erst gut 70 Jahre nach seinem Tod von der Schwedischen Zentralbank - als „Preis in Erinnerung an Alfred Nobel“. Streng genommen ist der Wirtschaftsnobelpreis also kein „echter“ Nobelpreis. Hier setzt auch die inhaltliche Kritik an dem Preis an: In einer Reihe mit den Naturwissenschaften Physik, Chemie und Medizin genannt und ausgezeichnet zu werden, verleihe der Wirtschaftswissenschaft – einer Sozialwissenschaft – und den Preisträgern eine problematische Autorität, heißt es.
Wichtige Impulse für politische Debatten
Lars Feld, Leiter des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg und ehemaliges Mitglied der sogenannten Wirtschaftsweisen, spricht von „Kollegen“, die mit dem Wirtschaftsnobelpreis für Fortschritte in einem bestimmten Fachgebiet ausgezeichnet worden seien und dann „letztlich zu allen wirtschaftlichen Fragen Kompetenz reklamiert“ hätten. „Das ist durchaus problematisch“, sagt Feld. Dennoch hält er den Preis für eine wichtige Institution, von dessen Verleihung auch wichtige Impulse ausgehen können. Als Beispiel nennt er die Klimapolitik: Wenn in der EU über Klimazölle debattiert werde, dann gehe das auf die geistige Vorarbeit des Wirtschaftsnobelpreisträgers Willhelm Nordhaus zurück, betont der Ökonom.
Eine weitere Kritik am Wirtschaftsnobelpreis: Dem Nobelpreis-Komitee wird vorgeworfen, in der Vergangenheit zu einseitig gewesen zu sein. Zu weiß, zu männlich, zu US-amerikanisch gehe es bei der Auswahl zu. Den Preisträgerinnen und Preisträgern mangele es an unterschiedlichen Perspektiven auf soziale und ökonomische Phänomene.
Wenig deutsche Preisträger
Auch deutsche Preisträger muss man in der langen Liste der Geehrten mit der Lupe suchen. Erst ein Deutscher, Reinhard Selten, erhielt die begehrte Medaille Mitte der 1990er-Jahre für seine Beiträge zur Spieltheorie. Lars Feld erklärt das damit, dass sich die Volkswirtschaftslehre hierzulande viele Jahrzehnte vor allem im deutschsprachigen Raum bewegt habe, die dominante Wissenschaftssprache, in der sich die Fachwelt Forschungsergebnisse kommuniziert, aber Englisch gewesen sei. „Deutsche Kandidaten waren dementsprechend lange Zeit gar nicht auf dem Schirm des Komitees“, sagt er. Das habe sich aber geändert, die deutsche Forschung sei mittlerweile wettbewerbsfähig – auch mit den großen amerikanischen Universitäten.
Wer galt in diesem Jahr als Favorit für den Wirtschaftsnobelpreis?
Mögliche Favoriten für den Wirtschaftsnobelpreis kann man daraus ableiten, wie oft Veröffentlichungen von Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftlern aufgegriffen und in Fachmedien zitiert werden. Deswegen galt etwa der französische Ökonom Thomas Piketty in diesem Jahr als Favorit, er forscht zur Ungleichheit bei Einkommen und Reichtum. Sein Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ wurde in der Öffentlichkeit vielfach diskutiert.
Weitere Favoriten für 2023 waren Raj Chetty von der Stanford Universität, der sich mit sozialer Mobilität beschäftigt, und Edward Glaeser aus Harvard, der Städte und deren Wachstum untersucht.
ahe, rtr, dpa