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Wirtschaftssanktionen gegen Russland
"Das muss man sich schon gut überlegen"

Sollte sich die Politik für weitere Sanktionen gegen Russland entscheiden, werde die deutsche Wirtschaft sie mittragen, sagte BGA-Hauptgeschäftsführer Gerhard Handke im Deutschlandfunk. Das deutsch-russische Handelsvolumen von rund 76 Milliarden Euro aufs Spiel zu setzen, müsse man sich jedoch gut überlegen.

Gerhard Handke im Gespräch mit Dirk Müller | 18.03.2014
    BGA-Hauptgeschäftsführer Gerhard Handke.
    In Zukunft wird man sich Milliarden-Investitionen in Russland dreimal überlegen, glaubt Gerhard Handke, Hauptgeschäftsführer des Groß- und Außenhandelsverbandes. (dpa/Britta Pedersen)
    Dirk Müller: Sanktionen also gegen Russland, die zweite Stufe. Die Europäische Union hat den nächsten Schritt gemacht, weitere Strafmaßnahmen beschlossen, wie auch die amerikanische Regierung gestern in Washington. Sanktionen gegen 21 Personen, Einreiseverbote werden verhängt und deren Konten gesperrt. Betroffen sind 13 Russen und acht Spitzenpolitiker der Krim. Ähnliche Schritte haben die Amerikaner eingeleitet.
    Das sind alles noch keine Wirtschaftssanktionen. Das ist der nächste Schritt, falls Wladimir Putin nicht einlenkt. Strafmaßnahmen, von denen Hunderte, Tausende Firmen und Unternehmen im Westen, wie aber auch im Osten nichts wissen wollen. – Darüber sprechen wir nun mit Gerhard Handke, Hauptgeschäftsführer des Groß- und Außenhandelsverbandes. Guten Morgen!
    Gerhard Handke: Guten Morgen!
    Müller: Herr Handke, werden Sie so langsam nervös?
    Handke: Nervös – nervös sind wir natürlich schon seit Längerem, aber nicht wegen der Sanktionen, sondern wegen der Gesamtsituation.
    Müller: Keine Angst vor den Sanktionen, vor möglichen Wirtschaftssanktionen?
    Handke: Angst ist nicht der richtige Ausdruck. Wir machen uns natürlich Gedanken darüber, wie es weitergehen wird, und es wird natürlich diskutiert, was ist, wenn die Politik sozusagen mit ihrem Arsenal am Ende ist und ihnen nichts anderes mehr einfällt, als uns als Waffe einzusetzen. Dann ist die Überlegung, werden wir Sanktionen verhängen oder nicht, natürlich eine sehr vielschichtige politische Entscheidung.
    "Vor Wirtschaftssanktionen muss man viele Aspekte berücksichtigen"
    In der sind Aspekte der Diplomatie, des Militärs, geheimdienstliche Erkenntnisse, historische Hintergründe und eben halt auch wirtschaftliche Aspekte insgesamt die Grundlage für eine Entscheidung, und diese Entscheidung muss die Politik fällen, nicht wir. Wir können nur darauf hinweisen, was bei diesem wirtschaftlichen Teil für Aspekte zu berücksichtigen sind. Wenn man uns als Waffe einsetzen will, können wir sagen, was ist im Magazin und was hat die Gegenseite.
    Müller: Wenn Sie das so benutzen und sagen, Sie werden möglicherweise als Waffe eingesetzt, wenn Wirtschaftssanktionen kommen, heißt das, sie werden geknebelt, die deutschen Unternehmen, und sie werden missbraucht?
    Handke: Nein, so kann man das nicht sehen. Auch wir blicken natürlich mit großer Sorge auf das, was dort passiert, denn dass das hier ein eklatanter Bruch des Völkerrechts ist, ist offenkundig, und so gesehen werden wir selbstverständlich da mit an einem Strang ziehen. Wenn die Politik sich entscheidet, Sanktionen zu verhängen, dann wird die Wirtschaft das natürlich mittragen. Aber es gibt eine Menge von Aspekten, die man da vorher berücksichtigen sollte, bevor man eine solche Entscheidung fällt.
    Müller: Sie sagen, Angst ist nicht das richtige Wort. Ist es bestimmt auch nicht. Sie sagen, Sorge, Befürchtungen. Dann geben Sie uns ein Beispiel. Was droht im Falle von Sanktionen?
    Handke: Nun, da kann man zunächst mal auf die bekannten Zahlen hinweisen. 36 Milliarden, oder vielleicht deutlicher, 36.000 Millionen haben wir im letzten Jahr an Russland verkauft, 40 Milliarden in Gegenrichtung. Das ist ein Riesenvolumen. Über 6000 deutsche Unternehmen sind in Russland engagiert. Wir haben über 20 Milliarden dort investiert.
    Die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen haben sich in den letzten 20 Jahren vorzüglich entwickelt und wir sind gute Partner geworden. Das aufs Spiel zu setzen, ist schon eine Hausnummer. Das muss man sich gut überlegen.
    Müller: Herr Handke, 6000 deutsche Firmen, sagen Sie, machen Geschäfte. Dann sind circa 300.000 Arbeitsplätze offenbar damit verbunden, direkt oder indirekt, beziehungsweise gegebenenfalls dann noch mehr. Das ist aber das, was man direkt zuweisen kann, 300.000 Arbeitsplätze. Man weiß nicht, wie Sanktionen, wenn sie kommen, ausfallen werden. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie da konkret?
    "Wirtschaftliche Klima schon jetzt deutlich verschlechtert"
    Handke: Nun, das wird natürlich davon abhängig sein, welche Sanktionen verhängt werden. Das ist ja eine Skala von null bis hundert. Das Volumen, das auf dem Tisch liegt, ist klar und genau benannt worden ist ja bisher nicht, was man vor hat. Im Moment sind wir noch im Bereich von politischen Sanktionen, das halten wir auch für völlig richtig, wie wir überhaupt der Ansicht sind, dass die Strategie der EU und auch der Bundesregierung bisher eigentlich völlig richtig ist, nicht gleich die Axt rausholen und zurückschlagen, sondern versuchen, den Partner an den Tisch zu holen, um mit ihm über die Dinge zu reden. Dann wird man möglicherweise, wenn man dann doch zu Wirtschaftssanktionen greift, peu à peu versuchen, in irgendeiner Weise Schmerz auf der Gegenseite zu erzeugen.
    Müller: Wenn Herr Gabriel demnächst mit Ihnen telefoniert beziehungsweise sich mit den Beteiligten an einen Tisch setzt, dann müssen Sie ja irgendwelche Zahlen haben. Sie müssen ja Szenarien haben. 6000 deutsche Firmen, 76 Milliarden Handelsvolumen, 20 Milliarden Investitionen. Wie groß ist da jetzt schon der Schaden, dass sich viele zurückhalten, die Befürchtung haben, das ist zu risikoreich reinzugehen? Sie müssen doch jetzt schon Verluste spüren.
    Handke: Dass sich das wirtschaftliche Klima deutlich verschlechtert hat, das ist jetzt schon zu spüren, selbstverständlich. Ich merke das, wenn unsere Unternehmen anrufen und fragen, wie ist die Situation, was ratet ihr uns. Man merkt, dass die Leute selbstverständlich vorsichtiger werden. Außerdem ist ja völlig offenkundig der riesige Vertrauensverlust für Russland in der Welt.
    "Riesiger Vertrauensverlust für Russland in der Welt"
    Selbstverständlich werden die Leute in Zukunft sich dreimal überlegen, ob sie mit Milliarden-Investitionen nach Russland hineingehen. So gesehen ist der Schaden für Russland schon jetzt da, das muss man deutlich sagen. Das hat Putin offensichtlich in Kauf genommen. Seine Reputation hat schweren Schaden genommen.
    Müller: Der Schaden für Russland, damit auch Schaden für deutsche Unternehmen?
    Handke: Würde ich so sehen für die Zukunft. Ich gehe jetzt nicht davon aus, dass sich die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland genauso reibungslos und erfolgreich fortentwickeln werden, wie das in den vergangenen Jahren gewesen ist. Das wird jetzt erst mal zu einem Bruch, zumindest zu einem Stillstand führen, und es kommt sehr darauf an, wie sich die politischen Beziehungen zu Russland in den nächsten Jahren entwickeln werden.
    "Stillstand oder Bruch in deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen"
    Nun ist es häufig so, dass die wirtschaftlichen Bebziehungen ein wenig vorne wegrollen und die Politik hinterherkommt. Manchmal ist es aber auch umgekehrt. Zumindest ist das ein gegenseitiges Verhältnis, und wenn die politischen Beziehungen schwer geschädigt sind – und das sind sie im Moment -, bleibt das nicht spurlos an der Wirtschaft vorbei.
    Müller: Herr Handke, reden wir über die Gaslieferungen. Wie sicher sind Sie, dass, wenn der Kaviar sanktioniert wird als Beispiel – was Besseres fällt mir jetzt nicht ein -, trotzdem das Gas weiter strömen wird?
    Handke: Da spricht vieles für. Man muss sehen, dass die Gas- und Öllieferungen für Russland existenziell sind. Das braucht man, glaube ich, nicht weiter zu erläutern. Russland ist darauf angewiesen, als zuverlässiger Lieferant in der Welt zu gelten, und das gelten sie auch, das tun sie.
    Selbst zu übelsten Zeiten des Kalten Krieges war Russland ein zuverlässiger Lieferant und über alle Streitigkeiten hinweg haben die Russen zu keinem Zeitpunkt ihre Lieferungen infrage gestellt. Das werden sie unserer Ansicht nach auch jetzt nicht tun. Wenn sie es tun, dann schießen sie sich selbst ins Knie. Das werden sie nicht tun. Russland ist ein zuverlässiger Lieferant.
    Müller: Gerhard Handke, Hauptgeschäftsführer des Groß- und Außenhandelsverbandes in Deutschland. Danke für das Gespräch, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk/Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.