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Wirtschaftswachstum heißt noch lange nicht gut leben

Das Bruttoinlandsprodukt ist die Summe aller Güter und Dienstleistungen, die ein Land binnen eines Jahres produziert. Oft wird das BIP als Indikator für den Zustand eines Staates betrachtet. Dabei sagt es fast nichts über die Lebensqualität der Menschen aus. Statistiker der OECD haben deshalb den "Better-Life-Index" erfunden.

Von Philip Banse |
    Will man erkunden, wie zufrieden Bewohner eines Landes sind, wie hoch die Lebensqualität ist, sagt der Schweizer Volkswirtschafts-Professor Mathias Binswanger, hilft das Bruttoinlandsprodukt, das, was eine Volkswirtschaft produziert und leistet, nicht weiter. Beispiel USA, wo sich das Bruttoinlandsprodukt seit den 50er-Jahren verdreifacht hat:

    "Das heißt, die Menschen sind heute materiell gesehen drei Mal so reich wie sie das in den 50er-Jahren waren, aber das hatte überhaupt keinen Einfluss auf das Glücksempfinden. Es sind auch nicht mehr Menschen unglücklich geworden. Es gibt einfach schlichtweg keinen Zusammenhang zwischen diesen beiden Größen."

    Deswegen hat die OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, den Better-Life-Index eingeführt. Dieser Index bewertet die Lebensqualität in einem Land nicht nur anhand materieller Größen wie Einkommen, Arbeit und Wohnsituation. Sondern für die Beurteilung eines Landes werden auch weiche Faktoren betrachtet wie beispielsweise Bildung, Umwelt, Gesundheit und Ungleichheit zwischen Mann und Frau. Insgesamt beurteilt der Better-Life-Index elf solcher Faktoren. Werden alle elf Faktoren gleich gewichtet, sind folgende am lebenswertesten: Australien, Norwegen, Schweden, USA, Dänemark, Kanada und Schweiz. Deutschland liegt nur im Mittelfeld, sagte der stellvertretende Leiter des OECD-Statistikdirektorats, Paul Schreyer. Vor allem mit dem Faktor Umwelt könne Deutschland punkten:

    "Was Deutschland betrifft, punktet es im Bereich Beschäftigung, Umwelt, Sicherheit. Das sind Bereiche, wo Deutschland relativ über dem Schnitt ist."

    Negativ wirke sich aus, dass die allgemeine Lebenszufriedenheit in Deutschland unter dem Durchschnitt der Industrieländer in der OECD liege.

    Erstmals wurden auch die Unterschiede zwischen Männern und Frauen berücksichtigt. Sie sind in Deutschland im OECD-Vergleich eher gering. Weil Männer öfter beschäftigt sind und mehr verdienen als Frauen, sind Männer mit ihren materiellen Lebensbedingungen eher zufrieden als Frauen, sagt OECD-Statistiker Paul Schreyer. Fragt man allerdings nach immateriellen Faktoren, sehe das Bild völlig anders aus:

    "In der Regel sind die Frauen gesünder. Sie haben häufiger und in zunehmendem Maße auch eine bessere Ausbildung, ausgeprägtere soziale Bindungen. Und in einigen Ländern ergeben die Umfragen auch, dass Frauen subjektiv höhere Lebensqualität empfinden als Männer."

    Der Better-Life-Index wurde vor einem Jahr gestartet und jetzt erneuert. Das Besondere: Auf der Webseite betterlifeindex.org kann jeder angeben, wie wichtig ihm diese elf Faktoren sind. 850.000 Menschen haben die Webseite nach Angaben der OECD besucht, davon haben 30.000 der Auswertung ihrer Daten zugestimmt. Es ist also keine repräsentative Umfrage. Für diese 30.000 Menschen fußt ihre Zufriedenheit nicht primär auf materiellen Aspekten, sagt der stellvertretende Leiter des OECD-Statistikdirektorats, Paul Schreyer:

    "Sie finden Gesundheit, subjektive Lebenszufriedenheit und Bildung als die drei Top-Komponenten."

    Wer auf betterlifeindex.org mit Schiebereglern angibt, welche Faktoren für seine Zufriedenheit nötig sind, sieht sofort, wie sich das Ranking der passenden Länder verändert: Sind einem Einkommen und Wohnen am wichtigsten, ist die USA ganz vorn. Sind Gesundheit, Umwelt und allgemeine Lebenszufriedenheit besonders wichtig, landen Länder wie Norwegen, die Schweiz und Australien weit oben. Ist das Bruttoinlandsprodukt also als Instrument zur Bewertung von Wohlstand passé? Nein, sagt OECD-Statistiker Schreyer. Für eine grobe Unterscheidung von Industrie,- Schwellen- und Entwicklungsländern sei das BIP immer noch geeignet:

    "Aber innerhalb der OECD und wahrscheinlich auch innerhalb der Europäischen Union, also überall dort, wo die materiellen Lebensbedingungen nicht allzu unterschiedlich sind, da trägt die Einführung der zusätzlichen Komponenten doch deutlich dazu bei, dass man differenzierte Aussagen über die Länder treffen kann."