Dirk Müller: Christine Lagarde, Mario Monti und Mario Draghi haben Gewicht im Euro-Raum, stehen sie doch für den Internationalen Währungsfonds, für die neue italienische Regierung und für die Europäische Zentralbank EZB. Alle drei fordern sie weitere zusätzliche Milliarden für den Euro-Rettungsschirm; 500 Milliarden sind allerdings bereits dafür vorgesehen. Heftiges Kopfschütteln daraufhin in Berlin. Angela Merkel wie auch Wolfgang Schäuble lehnen dies bislang jedenfalls ab. So stellt sich die Frage: noch mehr Reformen, oder noch mehr Geld? In Brüssel gestern am späten Abend ein vorläufiger Kompromiss: Es bleibt vorerst bei der halben Billion, ab März wird neu verhandelt. – Darüber sprechen wir nun mit Professor Peter Bofinger, Mitglied im Sachverständigenrat der Bundesregierung, einer der fünf Wirtschaftsweisen. Guten Morgen!
Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Bofinger, brauchen wir noch mehr Geld?
Bofinger: Ja, wir brauchen mehr Geld, und zwar muss man sich zunächst fragen, wofür man das Geld braucht und in welcher Form man das Geld braucht. Das Problem, um das es geht, ist, dass Länder wie Italien und Spanien nach wie vor hohe Zinsen bezahlen müssen, um sich auf den Finanzmärkten zu refinanzieren, und dass die Märkte das, was in diesen Ländern an Reformen in Angriff genommen worden ist und was an Sparprogrammen jetzt in die Wege geleitet worden ist, dass die Märkte das nicht ausreichend honorieren.
Wenn Sie Italien nehmen: Das hat nun einen sehr kompetenten Ministerpräsidenten an Stelle von Herrn Berlusconi, es hat sehr viele Sparmaßnahmen gemacht, aber der Zinsaufschlag, den es bezahlen muss gegenüber deutschen Anleihen, ist nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Das heißt, die Märkte reagieren eigentlich so, wie man sich das vorstellt. Und mit den hohen Zinsen ist es für ein Land wie Italien, das eine hohe Verschuldung hat, natürlich auch schwierig, diese Verschuldung zu stabilisieren und auch zurückzuführen, und deswegen braucht man Maßnahmen, wie Italien oder Spanien zu vernünftigen Zinsen ihr Geld bekommen. Das ist das, was benötigt wird, und das ist ja auch das, was Frau Lagarde gestern gefordert hat.
Müller: Nun könnte man umgekehrt auch formulieren, wir brauchen niedrigere Zinsen.
Bofinger: Genau, man braucht niedrigere Zinsen. Das Problem ist: Die Märkte tun das nicht, die Märkte sind massiv verunsichert, und die Frage ist, kann man mit diesem Rettungsfonds diese Lösung herbeiführen, also mit einem ESM. Das Problem bei diesen Rettungsfonds ist, dass sie eben ein stigmatisierendes Element haben, dass sie auch nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn die Lage wirklich nahe an der Katastrophe ist, und dass man nicht prophylaktisch und proaktiv die Situation gestalten kann. Wir haben beim Sachverständigenrat uns für das Modell eines Schuldentilgungsfonds eingesetzt, also der Möglichkeit, dass Länder wie Italien und Spanien sich in einer gemeinsamen Haftung aller Euroländer verschulden können. Das hätte nicht diesen Rettungsfallcharakter, sondern das wäre eine reguläre Maßnahme und würde dann auch die niedrigen Zinsen sichern, und es hat mich gefreut, dass sich Frau Lagarde gestern ganz explizit für diesen Vorschlag des Sachverständigenrates auch ausgesprochen hat.
Müller: Dann sind Angela Merkel und Wolfgang Schäuble also auf dem falschen Weg?
Bofinger: Meiner Meinung nach ist das ein sehr gefährlicher Weg, den die Bundesregierung verfolgt, und ich glaube, es ist auch ganz wichtig, dass man nicht nur über diese Rettungsschirme spricht und nicht nur über die Strukturreformen spricht. Das größte Risiko für den Euroraum ist, dass wir eine Abwärtsspirale der Wirtschaftsentwicklung erleben können. Wir sehen das ja jetzt schon, dass die Prognosen für Italien oder Spanien immer weiter nach unten revidiert werden. Für Italien wie Spanien ist in diesem Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von etwa zwei Prozent zu rechnen, und wenn wir diese Abwärtsspirale haben, dann wird es nahezu unmöglich, die Schulden zu stabilisieren, es kommen dann neue Defizite dazu, die Schuldenstände steigen, die Märkte werden weiter verunsichert sein. Das heißt, das Hauptproblem, worauf man eigentlich die meiste Aufmerksamkeit richten sollte, ist, dass wir eine solche Abwärtsspirale des Währungsraumes verhindern, und das ist auch wiederum ein Punkt, den Frau Lagarde gestern ganz deutlich gemacht hat. Sie sagt, wir haben das Risiko, wenn wir diese Prozesse nicht in den Griff bekommen, dass wir in eine große Depression geraten, und ich glaube, die Anstrengungen sollten ganz stark darauf gerichtet sein, was können wir tun, dass diese Abwärtsspirale nicht verstärkt wird, sondern dass sie im Gegenteil möglichst gestoppt wird.
Müller: Demnach, Herr Bofinger, ist das für Sie eine ganz klare ausgemachte Sache: Griechenland ist von der Eurozone, von der Europäischen Union durch die strengen Vorgaben kaputt gespart worden.
Bofinger: Ich würde das so sehen. Griechenland ist ein sehr klares Beispiel dafür, wie gefährlich diese Strategie ist, dass man in einer Phase, wo die Wirtschaft negative Zuwachsraten aufweist, mit immer neuen Sparprogrammen versucht, Defizitziele einzuhalten, und das Land ist jetzt im freien Fall und ich glaube, man sollte sich dieses Beispiel sehr gut vor Augen halten, um zu vermeiden, dass wir jetzt in Portugal, in Irland, in Spanien oder Italien eine ähnliche extreme Abwärtsentwicklung erleben.
Müller: Reden wir, Herr Bofinger, noch einmal über die Zinsen, über die Reaktion der Märkte. Die Europäische Zentralbank hat ja so viel Geld wie noch nie auf den Markt geworfen, so billig, so preiswert wie noch nie. Warum sind die Banken dann, wenn es darum geht, die Zinsen in irgendeiner Form zu bedienen beziehungsweise die Anleihen zu kaufen, nicht etwas kooperativer und sind vor allem dabei, niedrigere Zinsen zu erlauben?
Bofinger: Na ja, man muss sehen: Die einzig handlungsfähige Institution im Euroraum ist die Europäische Zentralbank und sie hat den richtigen Schritt gemacht, indem sie die Banken geflutet hat, indem sie ihnen für drei Jahre zu einem Prozent quasi unbegrenzt Liquidität zur Verfügung gestellt hat. Die Banken haben das auch genutzt, und das ist ja auch nicht ganz ohne Erfolg geblieben, denn im Bereich von zwei bis drei Jahren sind die Zinsen sowohl für Italien als auch für Spanien deutlich heruntergegangen und auch im längerfristigen Bereich sind die Zinsen heute schon niedriger als vor zwei Monaten. Das heißt, die EZB hat dafür gesorgt, dass die Situation entspannter ist, als sie das sonst gewesen wäre.
Müller: Also haben die Banken eine Gegenleistung gebracht?
Bofinger: Die Banken haben diese Mittel genommen und haben sie in diesem Bereich zwei bis drei Jahre eingesetzt. Also das ist sicher ein Erfolg der EZB. Aber das zeigt ja auch, wie wenig handlungsfähig eigentlich die europäische Politik ist, dass die gesamte Last, die Dinge zu stabilisieren, bisher bei der EZB liegt. Das ist ja genau das, was man eigentlich in Berlin vermeiden wollte, und indem man eigentlich sehr inaktiv war und sehr wenig bereit war, die Dinge proaktiv zu gestalten, hat man eigentlich der EZB die ganze Verantwortung zugeschoben und Gott sei Dank hat die EZB das im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch geleistet.
Müller: Aber ist das, Herr Bofinger, wirklich ein positives Signal, wenn wir sagen, wir haben einen Rettungsschirm, 500 Milliarden, wir machen daraus 1000 Milliarden, weil die Situation so unsicher ist? Wie sollen die Märkte dann konstruktiv reagieren?
Bofinger: Also man muss jetzt mal sehen, wie dieser Rettungsschirm dann im Einzelnen ausgestaltet wird, nach welchen Regeln er arbeitet. Aber das Grundproblem dieser Rettungsschirme ist eben, dass sie als Notfallmaßnahme konzipiert sind und dass es eher stigmatisierend ist für ein Land, wenn es diesen Rettungsschirm in Anspruch nimmt. Deswegen werden Länder wie Italien oder Spanien extrem zögern, diesen Rettungsfonds in Anspruch zu nehmen. Sie werden, wenn sie es überhaupt machen, in allerletzter Not solche Mittel in Anspruch nehmen, und das ist wiederum keine sehr gute Lösung, weil wir eben versuchen sollten, dass wir in solche Notfallsituationen möglichst gar nicht hineinkommen.
Müller: Also im Grunde sagen Sie, wenn die betroffenen Staaten auf diese Ressource zurückgreifen, dann ist es schon zu spät?
Bofinger: Genau. Deswegen haben wir beim Sachverständigenrat die Lösung dieses Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen. Das ist eine Lösung, die eben eingesetzt werden könnte, ohne dass solche Notfallprogramme gleich aufgefahren werden. Das wäre dann quasi eine normale Versorgung mit Liquidität. Um das auch noch mal so zu formulieren: Es geht nicht darum, Staaten zu retten, sondern es geht darum, Staaten zu schützen vor Märkten, die nervös sind, die panisch sind und die in dieser Panik überzogene Zinsforderungen stellen.
Müller: Und die Fiskalunion soll jetzt noch härtere Defizitkriterien auf den Weg bringen. Ist das richtig?
Bofinger: Es ist klar, dass die Bundesregierung versucht, diese Hilfen über den ESM zu koppeln – daran, dass die Staaten strengeren Defizitregeln sich unterwerfen. Das ist ja auch ein völlig legitimes Unterfangen. Auf der anderen Seite muss man eben auch sehen: Der Versuch, nun alles durch Regeln im Voraus zu bestimmen im Bereich der Fiskalpolitik, ist zwar ehrenwert, aber die Erfahrung mit der Finanzkrise hat gezeigt, dass die Entwicklungen so schwer zu prognostizieren sind, dass man immer wieder Konstellationen haben wird, wo auch diese Regeln nicht anwendbar sind, wo man außerhalb dieser Regeln die Dinge versuchen muss, in den Griff zu bekommen. Also man darf sich von diesen Regeln auch nicht allzu viel erwarten.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Wirtschaftsweise Professor Peter Bofinger. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bofinger: Ja gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Müller!
Müller: Herr Bofinger, brauchen wir noch mehr Geld?
Bofinger: Ja, wir brauchen mehr Geld, und zwar muss man sich zunächst fragen, wofür man das Geld braucht und in welcher Form man das Geld braucht. Das Problem, um das es geht, ist, dass Länder wie Italien und Spanien nach wie vor hohe Zinsen bezahlen müssen, um sich auf den Finanzmärkten zu refinanzieren, und dass die Märkte das, was in diesen Ländern an Reformen in Angriff genommen worden ist und was an Sparprogrammen jetzt in die Wege geleitet worden ist, dass die Märkte das nicht ausreichend honorieren.
Wenn Sie Italien nehmen: Das hat nun einen sehr kompetenten Ministerpräsidenten an Stelle von Herrn Berlusconi, es hat sehr viele Sparmaßnahmen gemacht, aber der Zinsaufschlag, den es bezahlen muss gegenüber deutschen Anleihen, ist nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahr. Das heißt, die Märkte reagieren eigentlich so, wie man sich das vorstellt. Und mit den hohen Zinsen ist es für ein Land wie Italien, das eine hohe Verschuldung hat, natürlich auch schwierig, diese Verschuldung zu stabilisieren und auch zurückzuführen, und deswegen braucht man Maßnahmen, wie Italien oder Spanien zu vernünftigen Zinsen ihr Geld bekommen. Das ist das, was benötigt wird, und das ist ja auch das, was Frau Lagarde gestern gefordert hat.
Müller: Nun könnte man umgekehrt auch formulieren, wir brauchen niedrigere Zinsen.
Bofinger: Genau, man braucht niedrigere Zinsen. Das Problem ist: Die Märkte tun das nicht, die Märkte sind massiv verunsichert, und die Frage ist, kann man mit diesem Rettungsfonds diese Lösung herbeiführen, also mit einem ESM. Das Problem bei diesen Rettungsfonds ist, dass sie eben ein stigmatisierendes Element haben, dass sie auch nur dann eingesetzt werden dürfen, wenn die Lage wirklich nahe an der Katastrophe ist, und dass man nicht prophylaktisch und proaktiv die Situation gestalten kann. Wir haben beim Sachverständigenrat uns für das Modell eines Schuldentilgungsfonds eingesetzt, also der Möglichkeit, dass Länder wie Italien und Spanien sich in einer gemeinsamen Haftung aller Euroländer verschulden können. Das hätte nicht diesen Rettungsfallcharakter, sondern das wäre eine reguläre Maßnahme und würde dann auch die niedrigen Zinsen sichern, und es hat mich gefreut, dass sich Frau Lagarde gestern ganz explizit für diesen Vorschlag des Sachverständigenrates auch ausgesprochen hat.
Müller: Dann sind Angela Merkel und Wolfgang Schäuble also auf dem falschen Weg?
Bofinger: Meiner Meinung nach ist das ein sehr gefährlicher Weg, den die Bundesregierung verfolgt, und ich glaube, es ist auch ganz wichtig, dass man nicht nur über diese Rettungsschirme spricht und nicht nur über die Strukturreformen spricht. Das größte Risiko für den Euroraum ist, dass wir eine Abwärtsspirale der Wirtschaftsentwicklung erleben können. Wir sehen das ja jetzt schon, dass die Prognosen für Italien oder Spanien immer weiter nach unten revidiert werden. Für Italien wie Spanien ist in diesem Jahr mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von etwa zwei Prozent zu rechnen, und wenn wir diese Abwärtsspirale haben, dann wird es nahezu unmöglich, die Schulden zu stabilisieren, es kommen dann neue Defizite dazu, die Schuldenstände steigen, die Märkte werden weiter verunsichert sein. Das heißt, das Hauptproblem, worauf man eigentlich die meiste Aufmerksamkeit richten sollte, ist, dass wir eine solche Abwärtsspirale des Währungsraumes verhindern, und das ist auch wiederum ein Punkt, den Frau Lagarde gestern ganz deutlich gemacht hat. Sie sagt, wir haben das Risiko, wenn wir diese Prozesse nicht in den Griff bekommen, dass wir in eine große Depression geraten, und ich glaube, die Anstrengungen sollten ganz stark darauf gerichtet sein, was können wir tun, dass diese Abwärtsspirale nicht verstärkt wird, sondern dass sie im Gegenteil möglichst gestoppt wird.
Müller: Demnach, Herr Bofinger, ist das für Sie eine ganz klare ausgemachte Sache: Griechenland ist von der Eurozone, von der Europäischen Union durch die strengen Vorgaben kaputt gespart worden.
Bofinger: Ich würde das so sehen. Griechenland ist ein sehr klares Beispiel dafür, wie gefährlich diese Strategie ist, dass man in einer Phase, wo die Wirtschaft negative Zuwachsraten aufweist, mit immer neuen Sparprogrammen versucht, Defizitziele einzuhalten, und das Land ist jetzt im freien Fall und ich glaube, man sollte sich dieses Beispiel sehr gut vor Augen halten, um zu vermeiden, dass wir jetzt in Portugal, in Irland, in Spanien oder Italien eine ähnliche extreme Abwärtsentwicklung erleben.
Müller: Reden wir, Herr Bofinger, noch einmal über die Zinsen, über die Reaktion der Märkte. Die Europäische Zentralbank hat ja so viel Geld wie noch nie auf den Markt geworfen, so billig, so preiswert wie noch nie. Warum sind die Banken dann, wenn es darum geht, die Zinsen in irgendeiner Form zu bedienen beziehungsweise die Anleihen zu kaufen, nicht etwas kooperativer und sind vor allem dabei, niedrigere Zinsen zu erlauben?
Bofinger: Na ja, man muss sehen: Die einzig handlungsfähige Institution im Euroraum ist die Europäische Zentralbank und sie hat den richtigen Schritt gemacht, indem sie die Banken geflutet hat, indem sie ihnen für drei Jahre zu einem Prozent quasi unbegrenzt Liquidität zur Verfügung gestellt hat. Die Banken haben das auch genutzt, und das ist ja auch nicht ganz ohne Erfolg geblieben, denn im Bereich von zwei bis drei Jahren sind die Zinsen sowohl für Italien als auch für Spanien deutlich heruntergegangen und auch im längerfristigen Bereich sind die Zinsen heute schon niedriger als vor zwei Monaten. Das heißt, die EZB hat dafür gesorgt, dass die Situation entspannter ist, als sie das sonst gewesen wäre.
Müller: Also haben die Banken eine Gegenleistung gebracht?
Bofinger: Die Banken haben diese Mittel genommen und haben sie in diesem Bereich zwei bis drei Jahre eingesetzt. Also das ist sicher ein Erfolg der EZB. Aber das zeigt ja auch, wie wenig handlungsfähig eigentlich die europäische Politik ist, dass die gesamte Last, die Dinge zu stabilisieren, bisher bei der EZB liegt. Das ist ja genau das, was man eigentlich in Berlin vermeiden wollte, und indem man eigentlich sehr inaktiv war und sehr wenig bereit war, die Dinge proaktiv zu gestalten, hat man eigentlich der EZB die ganze Verantwortung zugeschoben und Gott sei Dank hat die EZB das im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch geleistet.
Müller: Aber ist das, Herr Bofinger, wirklich ein positives Signal, wenn wir sagen, wir haben einen Rettungsschirm, 500 Milliarden, wir machen daraus 1000 Milliarden, weil die Situation so unsicher ist? Wie sollen die Märkte dann konstruktiv reagieren?
Bofinger: Also man muss jetzt mal sehen, wie dieser Rettungsschirm dann im Einzelnen ausgestaltet wird, nach welchen Regeln er arbeitet. Aber das Grundproblem dieser Rettungsschirme ist eben, dass sie als Notfallmaßnahme konzipiert sind und dass es eher stigmatisierend ist für ein Land, wenn es diesen Rettungsschirm in Anspruch nimmt. Deswegen werden Länder wie Italien oder Spanien extrem zögern, diesen Rettungsfonds in Anspruch zu nehmen. Sie werden, wenn sie es überhaupt machen, in allerletzter Not solche Mittel in Anspruch nehmen, und das ist wiederum keine sehr gute Lösung, weil wir eben versuchen sollten, dass wir in solche Notfallsituationen möglichst gar nicht hineinkommen.
Müller: Also im Grunde sagen Sie, wenn die betroffenen Staaten auf diese Ressource zurückgreifen, dann ist es schon zu spät?
Bofinger: Genau. Deswegen haben wir beim Sachverständigenrat die Lösung dieses Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen. Das ist eine Lösung, die eben eingesetzt werden könnte, ohne dass solche Notfallprogramme gleich aufgefahren werden. Das wäre dann quasi eine normale Versorgung mit Liquidität. Um das auch noch mal so zu formulieren: Es geht nicht darum, Staaten zu retten, sondern es geht darum, Staaten zu schützen vor Märkten, die nervös sind, die panisch sind und die in dieser Panik überzogene Zinsforderungen stellen.
Müller: Und die Fiskalunion soll jetzt noch härtere Defizitkriterien auf den Weg bringen. Ist das richtig?
Bofinger: Es ist klar, dass die Bundesregierung versucht, diese Hilfen über den ESM zu koppeln – daran, dass die Staaten strengeren Defizitregeln sich unterwerfen. Das ist ja auch ein völlig legitimes Unterfangen. Auf der anderen Seite muss man eben auch sehen: Der Versuch, nun alles durch Regeln im Voraus zu bestimmen im Bereich der Fiskalpolitik, ist zwar ehrenwert, aber die Erfahrung mit der Finanzkrise hat gezeigt, dass die Entwicklungen so schwer zu prognostizieren sind, dass man immer wieder Konstellationen haben wird, wo auch diese Regeln nicht anwendbar sind, wo man außerhalb dieser Regeln die Dinge versuchen muss, in den Griff zu bekommen. Also man darf sich von diesen Regeln auch nicht allzu viel erwarten.
Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der Wirtschaftsweise Professor Peter Bofinger. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Bofinger: Ja gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.