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Wirtschaftswissenschaften in München
Plural oder einseitig?

Die Ludwig-Maximilians-Universität München ist Elite-Universität und nimmt seit 2006 an der Exzellenzinitiative teil. Sie hat einen der größten Forschungsetats weltweit. Derzeit sind rund 50.000 Studierende eingeschrieben. Auch der Bereich Wirtschaftswissenschaften ist sehr renommiert. Plurale Ökonomie spielt hingegen keine substanzielle Rolle.

Von Julian Ignatowitsch |
    "Kannst du mir sagen, was plurale Ökonomik ist?"
    "Ähm ... Plurale Ökonomik?... Nein!"
    Nachmittags vor der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, ihres Zeichens Elite-Uni in Deutschland. Der Begriff "Plurale Ökonomik" sagt hier erst mal keinem der Studierenden etwas.
    Nach kurzer Erklärung ist die Sache klarer: Thomas, fünftes Semester, sagt, davon halte er nichts; Max ein Semester weiter, schreibt dagegen gerade seine Bachelorarbeit im Bereich Wirtschaftspsychologie und meint, das Thema gefalle ihm.
    Drinnen im alten Gebäude in der Ludwigstraße sitzt Lisa Holzhäuser auf einer Couch in einem kleinen Zimmer. Sie ist Vorstand der Fachschaft VWL, nickt beim Begriff "Plurale Ökonomik" gleich wissend, schränkt aber auch sofort ein:
    "Ich glaube, der Begriff ist bei uns im Studium nicht weit verbreitet, man hört vielleicht mal irgendwo was davon, aber hier an der Fakultät kennt man es eigentlich nicht wirklich."
    "Wie plural ist denn das VWL-Studium an der LMU?"
    "Wir sind nicht ganz oben an der Spitze, wo es sehr variabel ist, da ist sicher Luft nach oben. Aber ich würde auch nicht sagen, dass wir total eingeschränkt sind: Wir haben auch Bereiche wie Psychologie oder Statistik. Ich hatte ein Seminar mit experimenteller Psychologie. Ich denke, man ist da auf einem guten Weg. Aber wir sind bei uns in der Hochschulpolitik engagiert, dass wir da mehr möglich machen wollen, dass auch mehr Veranstaltungen angeboten werden."
    Die Studienordnung im Bachelor erlaubt den Studierenden gerade zu Beginn kaum Abweichungen von der vorherrschenden neo-klassischen Lehre, die all ihre Annahmen auf den berühmt-berüchtigten Homo Oeconomicus stützt. Lediglich ein Wahlmodul ermöglicht später den Besuch von fachübergreifenden sozialwissenschaftlichen Veranstaltungen; die Interdisziplinarität bleibt im VWL-Grundstudium auf der Strecke. Das sei gerade im Ausland ganz anders, erzählt Fachschaftsmitglied Matthias:
    "Ich kenne andere Universitäten, zum Beispiel Kopenhagen, wo ich ein Auslandsemester mache, die sind breiter aufgestellt, was bei uns halt weniger der Fall ist. Da bin ich schon unzufrieden. Es sind eher dann Seminare, die vielleicht im Bereich Psychologie liegen, von den Vorlesungen her ist es aber sehr eindimensional."
    Das heißt, wer sich nicht umguckt oder kein Interesse zeigt, kommt an alternativen Sichtweisen problemlos vorbei – und schwimmt sein Studium lang im wissenschaftlichen Mainstream mit.
    Einer der Lehrstühle, die auch abseits der traditionellen Ökonomie forschen und lehren, ist der von Professor Klaus Schmidt: Verhaltensökonomie, Experimentelle Wirtschaftsforschung steht an seiner Tür. An der LMU ist er damit eher ein Exot:
    "Also, Skepsis gibt es ganz sicher, schief angeschaut werden wir schon länger nicht mehr. Die Skepsis sind vor allem die Fragen: 1. Ist das nicht alles viel zu kompliziert und 2. Wie relevant ist es eigentlich?"
    Schmidt hat in München vor acht Jahren das Experimentallabor MELESSA gegründet. Derzeit plant er ein Forschungsvorhaben, das neue Ansätze auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik austesten soll. Dafür arbeitet er mit Soziologen, Politologen und Psychologen zusammen.
    "Und wir sind da in einem lebhaften Austausch und debattieren, wie man das machen sollte. Und da gibt es unterschiedliche Auffassungen und das ist in Ordnung."
    Auch an der LMU öffnet man sich also. Radikale Neuerungen gibt es aber nicht. Das europaweite Studierendennetzwerk Plurale Ökonomik ist in München aktuell zum Beispiel gar nicht aktiv. Überhaupt: Das Netzwerk kennt hier kaum jemand. Von zehn angesprochenen Studierenden reagiert nur einer mit Kopfnicken. Amel war vor einem Jahr mal dort:
    "Also, es soll wieder im Kommen sein, ich wollte mich auch beteiligen, aber zurzeit haben wir das Firmenkontaktgespräch, die Messe."
    Die Prioritäten liegen bei ihm nach vier Semestern VWL woanders: Apple und BMW kommen bald zur Jobmesse an die Uni – da stehen andere Themen hinten an.