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Wirtschaftswissenschaftler warnt vor Entwertung des Euro

Die Europäische Zentralbank könne ihre Bereitschaft signalisieren, das hoch verschuldete Europa mit langfristigen Billigkrediten zu stützen und damit Spekulanten abschrecken, sagt der Ökonom Thomas Straubhaar - warnt aber vor den Inflationsrisiken.

Das Gespräch führte Christoph Heinemann | 06.06.2012
    Christoph Heinemann: Wenn sich der Rat der Europäischen Zentralbank zusammensetzt, dann schaut alles, was Geld und Aktien besitzt, nach Frankfurt am Main. So ist das auch heute, oder besser gesagt, gerade heute, denn die Überschuldung spanischer Banken bereitet große Sorgen. Rund 90 Milliarden Euro werden benötigt, zudem kann das Land seine Schulden am Kapitalmarkt bei einem Zinssatz von über sechs Prozent nicht refinanzieren. Das hat der Finanzminister selbst eingeräumt. Von Griechenland ganz zu schweigen: Der Euro schwächelt, die Bewölkung am Himmel der Weltkonjunktur verdichtet sich. Das alles verunsichert die Anleger mit der Folge, dass zum Beispiel der Deutsche Aktienindex unter der psychologisch wichtigen Marke von 6000 Punkten pendelt – Schlussstand gestern 5969. – Am Telefon ist Professor Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburger Instituts für Weltwirtschaft. Guten Morgen.

    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Professor Straubhaar, der Leitzins steht zurzeit bei einem Prozent. Das ist das wichtigste Hilfsmittel der Währungshüter. Rechnen Sie damit, dass der Rat heute an der Zinsschraube drehen wird?

    Straubhaar: Nein, das denke ich nicht, weil damit würde der Rat das Signal geben, dass er sich von den Märkten drängen lässt, dass er nur reagiert und nicht agiert, und von daher gesehen würde er seine Unabhängigkeit endgültig aufs Spiel setzen. Selbst wenn es viele gute Gründe gibt, die ich auch durchaus unterstütze, dass die Europäische Zentralbank als letzter Retter für den Euro dasteht und entsprechend handelt, denke ich nicht, dass das heute der Fall sein wird.

    Heinemann: Das ist ein psychologisches, kein ökonomisches Argument?

    Straubhaar: Das ist richtig, weil letztlich all jene, die fordern, dass die Europäische Zentralbank den Zinssatz von heute historisch schon einem Prozent weiter absenkt auf 0,5 Prozent, die erwarten letztlich, dass dadurch die Refinanzierung vor allem für südeuropäische Banken billiger wird, die mit diesem Geld ja dann letztlich die Staatsanleihen ihrer jeweiligen Länder kaufen, also spanische Banken beispielsweise kaufen dann spanische Staatsanleihen, die sonst niemand mehr zu vernünftigen Zinskonditionen zeichnen würde, und das würde natürlich, wenn man insgesamt seit letztem Dezember Größenordnungen eine Billion Euro zu einem Prozent jetzt für drei Jahre ausgegeben hat, man halbiert das, dann würde das Größenordnungen von fünf Milliarden pro Jahr für die jeweiligen südeuropäischen Banken diese Refinanzierung günstiger machen.

    Heinemann: Nun spekulieren Börsianer seit Tagen, die EZB könne eben neue Hilfen gewähren, langfristige Billigkredite. Sollte die Zentralbank die sogenannte "Dicke Bertha" wieder auspacken?

    Straubhaar: Ich würde es sicher früher oder später auf jeden Fall nicht ausschließen. Ich denke auch, dass es ganz wichtig ist, dass die Europäische Zentralbank ganz klar signalisiert, dass sie bereit ist, diese größte, stärkste Waffe, um beim Ausdruck zu bleiben, gegen die Euro-Staatsverschuldung zu ziehen und eben erstens in der Lage ist, das zu tun. Genauso unabhängig wie die amerikanische Notenbank ein hoch überschuldetes Amerika stützt, kann die Europäische Zentralbank ein hoch überschuldetes Europa stützen, und damit ganz klar machen, dass dieser Euro, der letztlich eine politische Entscheidung war, auch letztlich von politischen Faktoren abhängt, inwieweit er überleben wird. Von daher gesehen wird sie früher oder später diese Waffe einsetzen können, und es ist gut, wenn sie signalisiert, dass sie es bereit ist zu tun, weil das möglicherweise auch schon wieder all jene, die spekulieren, etwas abschreckt; weil wenn die Europäische Zentralbank bereit ist, noch stärker aktiv zu werden, als sie es heute ist, dann verlieren im Prinzip die Spekulanten, die mit hohen Zinsen rechnen, ihr Spielzeug und müssen sich dann entscheiden, wollen sie überhaupt mit Europa noch im Geschäft bleiben.

    Heinemann: Nur wer Geld austeilt, muss es irgendwann wieder einsammeln, sonst droht Inflation.

    Straubhaar: Das ist richtig und das ist der ganz, ganz große Risikofaktor. Es droht eine Entwertung einer Währung, die dann praktisch wie Monopoly-Geld ohne Substanz und ohne entsprechende realwirtschaftliche Grundlagen vermehrt wird. Das ist die große Gefahr und eine Entwertung heißt entweder, dass der Wechselkurs gegenüber anderen Währungen, der Außenwert nach unten geht - das ist in den letzten Tagen ja durchaus schon der Fall gewesen; der Euro ist von einem Niveau von 1,45 etwa auf unter 1,25 gesunken; das hat zwar den positiven Vorteil, dass dadurch unsere Exporte auch wieder günstiger werden -, oder es droht am langen Ende Inflation, weil dieses Monopoly-Geld dann niemand mehr bereit ist, einfach so anzuerkennen.

    Heinemann: Herr Professor Straubhaar, Spaniens Banken gelten als hoffnungslos überschuldet. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet heute, dass auf europäischer Ebene überlegt wird, Geld aus dem europäischen Schutzschirm direkt an den spanischen Bankenrettungsfonds zu zahlen, ohne Auflagen für die Haushaltssanierung, aber mit der Verpflichtung, dass die spanische Regierung die Probleme im Finanzsektor beseitigt, etwa durch Fusionen oder durch Schließungen einzelner Geldinstitute. Also direkt Geld vom Rettungsfonds an den spanischen Bankenrettungsfonds. Ist das eine gute Nachricht, oder weichen hier Kriterien auf?

    Straubhaar: Das halte ich auch nicht für den klügsten Weg. Ich denke, erstens ist völlig richtig, dass man darüber nachdenkt, wie man diese beiden jetzt aktiven Rettungsschirme, einmal den temporären und dann den permanenten, ...

    Heinemann: Wir wollen das nur mal kurz sagen: einmal EFSF und einmal ESM, und ESM gibt es ab Juli.

    Straubhaar: Genau. ... , wie diese beiden Rettungsschirme vielleicht kombiniert noch wirkungsvoller eingesetzt werden können. Ich denke, es wird auch noch mal die Frage sein, ob gegebenenfalls die Europäische Zentralbank direkt diesen Rettungsfonds zusätzlich alimentieren kann, indem beispielsweise dieser Rettungsfonds eine Banklizenz erhalten könnte. Was ich unglücklich finde, ist, wenn dann dieses Geld wiederum an Private letztlich fließt, was Geschäftsbanken nun einfach mal sind, und nicht direkt zum Aufkauf oder zum direkten Geldtransfer an notleidende Staaten dient, also das heißt konkret, dass dieser Rettungsschirm dann direkt eben Staatsanleihen kauft, weil der Unterschied ist der: Wenn er das direkt tut, dann hat wenigstens diese öffentlich-rechtliche Institution, dieser Rettungsschirm, die Zinserträge. Wenn er das an Geschäftsbanken gibt, dann werden wiederum Geschäftsbanken auf Kosten der Steuerzahler dank dieser vergünstigten Kredite Gewinne, also Profite erzielen können.

    Heinemann: Nun schmiedet die EU-Kommission offenbar an Plänen für eine gemeinsame Aufsicht für europäische Banken sowie – und das ist jetzt aus deutscher Sicht vielleicht etwas problematischer – einen europäischen Fonds zur Abwicklung maroder Geldhäuser und zur gemeinsamen Einlagensicherung, also auf europäischer Ebene. Wie risikoreich ist das, eine solche gemeinsame Haftung, für die Staaten, die nun mal etwas besser dastehen?

    Straubhaar: Sie haben es ja schon angedeutet, dass das ein hoch riskanter Weg ist, weil dann eben endgültig nationale und letztlich private Haftungsrisiken vergesellschaftet, vereuropäisiert werden, und das, denke ich, ist eine Verschlimmerung der Situation deswegen, weil das öffnet dann Tür und Tor, auf Kosten anderer zu große Risiken einzugehen. Noch einmal: Ich denke, in dieser ganz schwierigen Situation gibt es erstens keine einfachen Lösungen, zweitens haben wir diese Rettungsschirme – ich glaube, auf diese Linie sollte man setzen -, und drittens sollte man eben Hilfe an Staaten und nicht an Private geben, weil sonst wird Tür und Tor geöffnet für eine Haftungsgemeinschaft, die, glaube ich, gerade aus deutscher Sicht der schlechteste Weg wäre.

    Heinemann: Professor Straubhaar, hat das Endspiel um den Euro begonnen?

    Straubhaar: Nein! Ich denke, auch der Ausdruck ist deshalb falsch, weil der Euro selber steht nicht auf der Kippe, so unglaublich diese Aussage klingen mag. Noch einmal, weil erstens der Euro ist ein politisches Projekt und sein Ende ist eine politische Frage. Zweitens: Es gibt nirgendwo in Europa, nicht mal in Deutschland, eine ernstzunehmende, in Regierungsverantwortung oder auch in der Opposition stehende Partei, die das Ende des Euro will. Die wollen alle ein Ende der Euro-Schuldenkrise. Und drittens hat die Europäische Zentralbank die Macht – das ist nicht eine Frage des Könnens, sondern des Wollens -, diese politische Zielsetzung, den Erhalt des Euros, auch sicherzustellen, und von daher gesehen steht nicht das Endspiel des Euro bevor, sondern es geht um die Lösung eines Euro-Schuldenproblems.

    Heinemann: Professor Thomas Straubhaar, der Direktor des Hamburger Instituts für Weltwirtschaft. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Straubhaar: Auf Wiederhören, Herr Heinemann.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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