Die Wirtschaftskrise im Ostteil Europas entwickelt sich mehr und mehr zu einer politischen Krise. Mit einer vermeintlich "schlechten Wirtschaftspolitik" wurde das Misstrauensvotum gegen den tschechischen Ministerpräsidenten Mirek Topolanek diese Woche formal begründet, auch die EU-Skepsis vieler Regierungsgegner mag indes eine Rolle gespielt haben.
Im Falle der lettischen Regierung, die im Februar vorzeitig abtrat, ist der Zusammenhang mit der desolaten Wirtschaftslage im Ostseeland unverkennbar. Vergangenes Wochenende reichte nun auch noch der ungarische Premier Ferenc Gyurcsany seinen Rücktritt ein. Auch er hinterlässt ein Land inmitten einer schweren Wirtschaftskrise und in einer finanziell äußerst angespannten Situation. Die Sozialisten wollen unter neuer Führung weiter regieren. Fidesz, die konservative Oppositionspartei, verlangt Neuwahlen. Ildiko Pelcz Gall ist Vize-Chefin der Fidesz:
"Letzten Oktober wurde klar, dass die weltweite Krise an unseren Grenzen nicht halt macht. Seither aber gibt es keinerlei Programm zur Überwindung der Krise. Wir erleben nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Politikkrise. Beides ist eng verflochten. Wir müssen jetzt reparieren, was diese Regierung angerichtet hat. Vorgezogene Wahlen wären das beste."
Selbst in der schwersten Bewährungsprobe seit der Wende bleiben die beiden großen Parteien Ungarns heillos zerstritten. Niemand weiß, wie die Menschen auf Arbeitslosigkeit, sinkende Kaufkraft und den tiefen Fall der Löhne auf Dauer reagieren. Aber eine Sorte Krisengewinnler stehe jetzt schon fest, glaubt Laszlo Halpern, Ökonom an der ungarischen Akademie der Wissenschaften:
"Die Krise stärkt die populistischen Tendenzen in der Politik, Leute, die die Dinge nicht erklären, sondern einfach irgendwen beschuldigen. Insbesondere die Rechten sind leicht zu mobilisieren. Es gibt eine große Gefahr, dass den Roma die Sündenbock-Rolle zufällt. Schon jetzt heißt es wieder, die Roma würden doch nur auf Kosten anderer leben. Sie machten Sozialbetrug zum Geschäftsmodell. Diese einfachen Sprüche verkaufen sich derzeit gut."
Kaum besser als in Ungarn stellt sich die Situation Lettlands dar. Der Baltenstaat musste kurz nach Ungarn als zweites Land der Region die internationale Finanzfeuerwehr alarmieren. Wie schon für Ungarn schnürten EU, Weltbank und Weltwährungsfonds einen milliardenschweren Notkredit, um Lettlands kurzfristige Zahlungsfähigkeit zu sichern. Die Bedingungen dafür sind hart: Das Land muss umfassend kürzen und sparen. Die Löhne im öffentlichen Sektor werden um 15 Prozent gekappt, die Steuern angehoben. Aldis Misevics von der lettischen Dienstleistungsgewerkschaft klagt stellvertretend für viele Beschäftigte:
"Die Preise steigen wahnsinnig. Die Löhne fallen wahnsinnig. Das ist gefährlich. Alles wird optimiert, rationalisiert. Gut, heute haben wir Krise. Nach einem Jahr hoffentlich nicht mehr. Aber was machen die Leute dann? Ob die dann überhaupt noch in Lettland sind?"
Gerade Lettlands Absturz verwundert. In Ungarn gab es schon länger gravierende Probleme. Aber Lettland gehörte noch bis vor kurzem zu den Spitzenreitern in Europa, mit zweistelligen Wachstumsraten. Die ganze Region, von Ausnahmen abgesehen, galt als Musterbeispiel eines gelungenen Umbaus von maroden Plan- zu leistungsfähigen Marktwirtschaften. Jetzt aber tauchen immer mehr Reformstaaten auf dem Krisenradar auf: Nach Lettland und Ungarn benötigte auch die Ukraine internationale Hilfe, Weißrussland, Rumänien, Serbien, und wohl bald schon mehr. Christoph Rosenberg vom Internationalen Währungsfonds IWF ist einer der besten Kenner der Region.
"Das Wachstum war stark und von Fundamentalfaktoren getrieben. Die EU-Mitgliedschaft hat einen Boost gegeben, den selbst wir vom IWF unterschätzt hatten. Zu den fundamentalen Faktoren wie Rechtssystem der EU, Marktzugang, kam noch das Engagement der ausländischen Banken und der Zugang zu billigen Krediten. Die These war, dass es in diesen Ländern nur aufwärts gehen kann."
Noch bis in den Herbst hinein machte die "Abkopplungstheorie" die Runde: Abkoppeln könne sich Mittel- und Osteuropa sogar von der Finanz- und Wirtschaftskrise, die von Amerika ausging. Widerlegt wurde sie scheibchenweise: Erst geriet Russland durch den Preisverfall bei Öl und Gas unter Druck; dann kam die Ukraine aus dem Takt wegen der hohen Bedeutung der Schwerindustrie und dem tiefen Fall der Stahlpreise, auf den das Land nicht vorbereitet war. Mit dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers und dem Kollaps der internationalen Kreditmärkte aber schlug die Stunde der Wahrheit dann auch für die Staaten Mittelosteuropas. Christoph Rosenberg war damals Regionaldirektor des Weltwährungsfonds in Warschau:
"Mein Leben hat sich seit dem 19. September radikal verändert. Bis dahin bestand mein Arbeitsalltag darin, zu warnen, es nicht zu übertreiben und die hohen Wachstumsraten nicht als gegeben zu nehmen. Seither besteht meine Arbeit darin, überall die Feuer auszutreten in der Region."
Den Flaute-bedingten Rückgang der Exporte hätten die Staaten vielleicht noch verkraftet; in vielen Ländern hatte sich ein starker Binnenkonsum entwickelt. Als für die Länder explosiv aber erweist sich die Krise auf Grund ihrer Doppelnatur als Wirtschafts- und Finanzkrise. Denn finanziert worden war das hohe Wachstum all die Jahre über mit fremdem Geld.
Ausländische Anleger und Investoren steckten Milliarden in die Region, westliche Banken gründeten Tochterinstitute und verteilten großzügig Kredit, deutsche Sparer kauften Staatsanleihen aus dem Osten. Vladimir Gligorow, Osteuropaexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche:
"Die meisten dieser Länder haben ein Leistungsbilanzdefizit. Viele haben nationale Währungen, und insofern ein Problem, das Defizit zu finanzieren."
Schon drohen neue Probleme, denn zahlreiche Unternehmen und Privatleute im Osten haben Kredite in fremden Währungen aufgenommen, um Zinsen zu sparen. Weil die Landeswährungen nun aber massiv abwerten, steigt parallel die Summe an Zloty oder Forint, die für den Schuldendienst der Euro- oder Schweizer-Franken-Kredite aufgebracht werden müssen. Deutsche Banken sind, gemessen an ihrer Größe, im Osten weniger stark exponiert als etwa österreichische, italienische oder schwedische Institute. Und doch betrifft die Misere im Osten auch Deutschland: Zuletzt ging knapp ein Fünftel der deutschen Ausfuhren in die Region. Rainer Lindner, Geschäftsführer beim Ostausschuss der deutschen Wirtschaft:
"Der Ostausschuss sieht die Lage schon sehr ernst, weil die Prognosen 2009 auf einen Rückgang des Handels hindeuten, auf vorsichtige Unternehmer im Osten, die Investitionen gegebenenfalls zurückfahren werden. Das sah 2008 ganz anders aus, da hatten wir ein Rekordjahr, 10 Prozent Zuwachs nach Ostmitteleuropa und gerade auch Russland, und dieser positive Trend scheint jetzt ins Stocken zu geraten. Aber wo ist die Lage nicht dramatisch?"
15. März, Nationalfeiertag in Ungarn; Hubschrauber über Budapest, Polizei-Einheiten patrouillieren in der Innenstadt. Zuletzt waren Proteste gegen die Regierung immer wieder in Gewalt ausgeartet, doch diesmal bleibt es ruhig. Ein Land in Schockstarre. Denn seit Herbst ist klar: Ungarn hat sich übernommen. Damals fand der ungarische Finanzminister keine Geldgeber mehr für seine Staatsanleihen. Ein ganz normales Umschuldungsgeschäft, sonst Routine, schlug plötzlich fehl. Wären nicht EU, IWF und Weltbank mit einer Kreditzusage über 20 Milliarden Euro zu Hilfe geeilt, in Budapest wären die Lichter ausgegangen. Abel Garamhegyi ist im ungarischen Wirtschaftsministerium für Handel zuständig - er streitet schlicht ab, dass sein Land vor der Pleite stand.
"Das Image Ungarns ist viel schlechter als die Realität. Der ungarische Staat war nie in einer Situation, wo er seine Aufgaben nicht mehr hätte finanzieren können. Sicherlich, einige Tage lang kam es hier nicht mehr zu Euro-Transaktionen. Aber das war hauptsächlich Marktversagen, kein 'Staatsbankrott'. Der Staat war stabil finanziert. Das Problem war ganz einfach, dass das ganz normale Bankgeschäft eingefroren ist. Neun, zehn Monate früher war ein Übernachtkredit bei einer Bank etwas ganz normales. Man konnte zur Bank gehen und sagen: 'Einen Übernacht, bitte sehr'. Heute ist schon allein das Wort "Übernacht" ein Warnsignal, ein Menetekel."
Ungarns Führung stellt das Land als Opfer der weltweiten Finanzkrise da. Die Opfertheorie hat ihre Anhänger zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Vor allem in den Ländern, denen es besonders schlecht geht. Laszlo Halpern, Ökonom an der ungarischen Akademie der Wissenschaften, sieht aber auch eigenes Verschulden.
"Man sollte bis ins Jahr 2006 zurückgehen. Damals hatten sich Regierung und Opposition überboten in Versprechungen, und fatalerweise wurde das dann auch noch umgesetzt. Das war desaströs: Das Haushaltsdefizit wuchs in astronomische Höhen, auf unhaltbare neun Prozent der Wirtschaftsleistung 2006."
Premier Gyurscanyi vollführte damals eine 180-Grad-Wende und schlug strikten Sparkurs ein, gegen den Protest der Straße und der Opposition. Er habe Ungarn wieder auf den "richtigen Weg" geführt, bescheinigen ihm Experten heute. Nur kam das zu spät; die weltweite Finanzkrise holte das Land ein. Nicht zufällig war Ungarn das erste Opfer in der Region; die Schulden waren einfach zu hoch. Jetzt steckt das Land in der Rezession, ein bis zu fünfprozentiger Rückgang der Wirtschaftsleistung wird prognostiziert. Die Krise hat auch die Baubranche erreicht, der es zuletzt noch gut ging. Lajos Hartvig, Mitinhaber eines großen Budapester Architekturbüros:
"Von unseren acht Großprojekten aus dem Oktober sind sechs auf Eis. Ich habe eine Statistik gelesen, dass 90 Prozent der ungarischen Großprojekte sind abgestoppt."
Weil plötzlich das Geld der Banken fehlt. Zwei virtuelle Zähler stehen im Internet für Angst und Hoffnung: Einen berechnet das ungarische Web-Magazin "Index", das täglich die gemeldeten Entlassungen größerer Firmen summiert. Ein anderer zeigt, wie viele der Ungarn zustehenden EU-Mittel bereits abgerufen wurden. Denn entgegen der allgemeinen Wahrnehmung kommt der Zufluss dieser Gelder erst jetzt so richtig in Gang: Bislang mangelte es noch an Erfahrungen bei der Antragstellung, waren Behördenwege oft zu lang. 25 Milliarden Euro aus den diversen Brüsseler EU-Fonds stehen Ungarn in der laufenden Sechs-Jahres-Periode zu, betont Jörg Lackenbauer von der EU-Kommission:
"Es gab Sorgen bezüglich der administrativen Qualität. Wir sind aber sehr zufrieden, was die Ungarn jetzt machen."
Die EU-Fonds hat auch Lettland dringend nötig. Denn wo Geld eben noch billig per Kredit zu haben war, fehlt es jetzt an allen Orten - sogar in der Rigaer Staatsoper.
Das Opernhaus am Rande der Rigaer Altstadt hat einen guten Ruf weit über die Landesgrenzen hinaus. Nun aber muss sich Opernchefin Selga Laizane mit unerwarteten Sparzwängen auseinandersetzen:
"Das Opernhaus ist keine Ausnahme. Unser Budget wurde kurzfristig gekürzt, wie das anderer Institutionen auch. Und wir versuchen, irgendwie klar zu kommen. Vom Gesamthaushalt haben wir zehn Prozent verloren. Der diesjährige Opernball fällt aus, und wir haben die Walküre vom Spielplan gestrichen. Außerdem gibt es eine klare Vorgabe vom Ministerium, Personal abzubauen, 32 Leute. Es ist viel."
Das Spardiktat von IWF, Weltbank und EU als Gegenleistung für die Notkredite macht keine Unterschiede von Land zu Land. Anders als Ungarn sei Lettland aber nicht durch unsolide Haushaltspolitik in die Klemme geraten, erklärt Thomas Laursen, regionaler Direktor der Weltbank.
"Im Baltikum war der Staatshaushalt weniger ein Thema. Hier sind die Probleme eher ein Resultat exzessiven Kreditwachstums, finanziert vor allem durch große Kapitalzuflüsse aus dem Ausland, von ausländischen Banken: Ein nicht nachhaltiger Kreditboom."
Um über zehn Prozent war die überhitzte lettische Wirtschaft am Ende gewachsen; noch stärkere Schübe gab es bei Löhnen und Preisen. Spekulative Käufer heizten den Rigaer Immobilienmarkt immer weiter an, am Ende wurden Westpreise gezahlt. Und auf Basis des vermeintlichen Reichtums schlossen Wohnungsbesitzer immer neue Kredite ab für noch mehr Konsum auf Pump. Nun ist die Blase geplatzt, der Immobilienmarkt im freien Fall - und Lettland fragt sich, wer ist Schuld. Nicht allein die Banken, meint der in Riga lehrende Ökonom Morten Hansen.
"Man kann die Banken verantwortlich machen für zu lockere Kreditvergabe. Aber man muss auch die Leute sehen. Sie dürfen auch mal nachdenken. Kann ich das wirklich zurückzahlen? Ist es wirklich realistisch, dass mein Lohn alljährlich um 35 Prozent im Jahr steigt? Man sollte auch die Regierung kritisieren, und zwar sehr. In den guten Jahren gab es klar eine Überhitzung. Viele sagten, ihr müsst das bremsen, und keiner tat es."
Warum nicht? Aldis Miglavs, Wirtschaftsberater der inzwischen zurückgetretenen lettischen Regierung, gibt zu Bedenken:
"Die Leute glauben eben gern das Positive. Wenn jemand warnt, da läuft was falsch, dann heißt es: Guck doch hin, die Wirtschaft brummt, was willst Du denn? Du warnst, aber sie sagen: Schau hin, die USA wachsen schon seit Jahrzehnten auf diese Weise und kommen gut voran."
Eines haben Lettland und Ungarn tatsächlich mit den Vereinigten Staaten gemein: Ein Wachstumsmodell, das auf Pump basierte, auf dem Geld anderer Länder. Und das ist auch der Grund dafür, warum ausgerechnet Polen heute relativ gut da steht.
Regionaltreffen deutscher Unternehmer in der westpolnischen Messestadt Posen. Christoph Garschynski, ein Rechtsanwalt, der deutsche Unternehmen in Polen berät, will nicht klagen:
"Das Interesse ist nach wie vor vorhanden. Nur: Es ist ein bisschen verhalten zur Zeit. Längerfristige Ziele legt man erst einmal auf Eis. Ich könnte aber nicht behaupten, dass man sich jetzt zurückziehen will."
Warum auch? In vielen Bereichen läuft die Wirtschaft weiter rund. Tobias Jerschke, Polen-Manager des Spediteurs Kühne + Nagel, sagt, er spüre noch keine Einbußen. In Polen beliefert die Firma hauptsächlich Einzelhändler mit leicht verderblicher Ware. Jerschke:
"Natürlich ist der Außenhandel zwischen Polen und den baltischen Staaten zusammengebrochen, aber das macht nur einen geringen Anteil am Außenhandel Polens aus."
Ringsum drohen Staaten zu kollabieren, und Polen hält Stellung: Das erstaunt. Zwar zeigte der Binnenkonsum im Februar erstmals Schwächen, auch ist die traditionell hohe Arbeitslosigkeit wieder über 10 Prozent gestiegen. Deutschland und Russland sind die wichtigsten Handelspartner des Landes; die Autoindustrie ist bedeutsam: Auch Polen wird zwangsläufig irgendwann in die Rezession geraten, sollte die Weltwirtschaftskrise andauern. Aber verglichen mit den Einbrüchen in Ungarn, dem Baltikum oder der Ukraine steht Polen derzeit blendend da. Zwar wächst das Land nicht mehr wie zuletzt um sechs Prozent, aber bis zu zwei Prozent trauen ihm Experten dieses Jahr noch zu. Ursachen kennt Thomas Laursen, Regionaldirektor der Weltbank in Warschau.
"Niemand ist immun gegen das, was in der Welt und in der Region passiert. Aber Polen ist in einer etwas anderen Position. Die wirtschaftlichen Rahmendaten sind stark, und das Finanzsystem ist vergleichsweise gesund. Was man hier sieht und auch in Tschechien ist, dass die Wirtschaft insgesamt viel besser geführt wird."
Zum Beispiel haben die Banken weit weniger aggressiv Fremdwährungskredite vermarktet als etwa in Ungarn. Die Staatsverschuldung ist moderat, und überhaupt haben die Polen viel mehr auf eigene Ressourcen gesetzt als auf Kredite vom Ausland. Die Kredite wuchsen schnell, aber fast ebenso schnell auch die Spareinlagen der Polen, lobt die Weltbank. Dazu passt, dass die Führung des Landes Konjunkturprogramme für Unfug hält. Premier Donald Tusk:
"Ich rate dringend zu Gelassenheit. Es vergeht ja kein Tag, wo nicht irgendein Land ein Rettungspaket für die Wirtschaft schnürt. Aber wenn die Staaten 100, 200, 500 Milliarden in die Wirtschaft pumpen, dann fehlt das Geld doch am Markt. Zudem ist die Frage ungelöst, woher es eigentlich kommt. Die Führer der Welt geben das Geld mit vollen Händen aus - um dann aber im Kreis der Kabinettskollegen zuzugeben: 'Eigentlich haben wir dieses Geld gar nicht'."
Aber auch Polen gerät unter Druck: Der Kurs des polnischen Zloty ist genauso heftig gefallen wie die Währung des Krisenlandes Ungarn, der Forint. Den sicheren Hafen der Europäischen Währungsunion hatte Polen bislang nicht angesteuert - lange hatte sich Polen sogar geweigert, auch nur ein Zieldatum für die Erfüllung der Konvergenzkriterien des Maasrichter Vertrages zu nennen. Das rächt sich jetzt. In Warschau heißt es zur Abwertung des Zloty: Die Märkte würden eben nicht differenzieren und Polens Stärken ausblenden. Die zeigen sich in der Krise, denn das große Land mit seinen 38 Millionen Einwohnern wuchs lange Zeit langsamer als die kleinen, extrem offenen Ökonomien etwa im Baltikum. Jetzt aber erweist sich Polens Weg als Krisenschutz, und er wird sich auch durchsetzen, prophezeit der Wiener Ökonom Gligorow:
"Die Länder werden jetzt auf ihre eigenen Ersparnisse und ihre eigenen Investoren bauen müssen. Vielleicht gilt das nicht für jedes Land und vielleicht nicht für die Euro-Zone, wo es eine weitere Liberalisierung und eine Art Europäisierung des Bankensektors geben könnte, wenn es dazu kommt, wäre es etwas anderes. Aber ansonsten: Die Rückkehr zu diesen hohen Investitionen und Kreditflüssen ist auf absehbare Zeit unwahrscheinlich."
Die Länder, die ganz auf fremde Banken setzten, hatten es im Boom gut und wurden umfangreich mit Geld und Kredit versorgt. In der Krise aber erweist sich diese Abhängigkeit als Extra-Last: Die, die eben noch allzu freizügig Kredite vergaben, knausern plötzlich, verlangen viel höhere Zinsen und weitaus mehr Sicherheiten. Volker Schwarz von der Warschauer Bre Bank, einer Tochter der Commerzbank:
"Es ist so, dass bestehende Kreditzusagen eingehalten werden. Dass aber die Ausweitung des Kreditvolumens derzeit ein Problem ist. Die Banken müssen mit dem Volumen arbeiten, das sie haben. Die Ausweitung des Kreditvolumens ist nicht möglich, weil der Interbankenmarkt und die Refinanzierung der Banken nicht funktionieren."
Die Bankenschutzschirme in den westlichen Staaten spielen dabei eine unheilvolle Rolle - sind sie doch mehr oder weniger ausdrücklich dazu gespannt worden, den Kreditmarkt im jeweiligen Heimatland zu stützen, und nicht in Drittländern. Neben der Ungewissheit, wer künftig das Wirtschaftswachstum finanziert, stellt sich die Frage, was eigentlich genau finanziert werden soll. Die Länder brauchen überdurchschnittliches Wachstum, um weiter aufzuholen, sonst wandern die guten Mitarbeiter einfach ab. In den Boomjahren auf Pump aber wurde vieles verschlafen. Lettlands Exportwirtschaft etwa: Holzprodukte sind das wichtigste Ausfuhrgut, doch noch immer exportiert das Land hauptsächlich Rohholz in alle Welt. Ideen, das zu ändern und hochwertigere Holzprodukte zu entwickeln, gibt es bislang kaum - Agnese Plocina vom Verband der Holzindustrie in Riga.
"Momentan denken wir nicht an Strategie. ... Es geht den Unternehmen darum, irgendwie heil durch die Krise zu kommen. Effizient zu bleiben, die Kosten zu senken. Es ist wirklich hart zur Zeit."
Die Krise trennt Spreu und Weizen: Einige Länder Osteuropas werden noch lange ihre Schulden abzahlen müssen, andere stehen besser da. Nicht alles ist auf Sand gebaut: die Wolkenkratzer von Warschau, die hübsch restaurierten Altstädte im Baltikum bleiben. Erfahrungen sind gesammelt, Know-how und Humankapital aufgebaut worden. Das bleibt. Und vielleicht ist es ein Glück, dass in den USA die Immobilienblase platzte, bevor die diversen Kredit- und Immobilienblasen im Osten noch weiter aufgeblasen worden wären.
Im Falle der lettischen Regierung, die im Februar vorzeitig abtrat, ist der Zusammenhang mit der desolaten Wirtschaftslage im Ostseeland unverkennbar. Vergangenes Wochenende reichte nun auch noch der ungarische Premier Ferenc Gyurcsany seinen Rücktritt ein. Auch er hinterlässt ein Land inmitten einer schweren Wirtschaftskrise und in einer finanziell äußerst angespannten Situation. Die Sozialisten wollen unter neuer Führung weiter regieren. Fidesz, die konservative Oppositionspartei, verlangt Neuwahlen. Ildiko Pelcz Gall ist Vize-Chefin der Fidesz:
"Letzten Oktober wurde klar, dass die weltweite Krise an unseren Grenzen nicht halt macht. Seither aber gibt es keinerlei Programm zur Überwindung der Krise. Wir erleben nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Politikkrise. Beides ist eng verflochten. Wir müssen jetzt reparieren, was diese Regierung angerichtet hat. Vorgezogene Wahlen wären das beste."
Selbst in der schwersten Bewährungsprobe seit der Wende bleiben die beiden großen Parteien Ungarns heillos zerstritten. Niemand weiß, wie die Menschen auf Arbeitslosigkeit, sinkende Kaufkraft und den tiefen Fall der Löhne auf Dauer reagieren. Aber eine Sorte Krisengewinnler stehe jetzt schon fest, glaubt Laszlo Halpern, Ökonom an der ungarischen Akademie der Wissenschaften:
"Die Krise stärkt die populistischen Tendenzen in der Politik, Leute, die die Dinge nicht erklären, sondern einfach irgendwen beschuldigen. Insbesondere die Rechten sind leicht zu mobilisieren. Es gibt eine große Gefahr, dass den Roma die Sündenbock-Rolle zufällt. Schon jetzt heißt es wieder, die Roma würden doch nur auf Kosten anderer leben. Sie machten Sozialbetrug zum Geschäftsmodell. Diese einfachen Sprüche verkaufen sich derzeit gut."
Kaum besser als in Ungarn stellt sich die Situation Lettlands dar. Der Baltenstaat musste kurz nach Ungarn als zweites Land der Region die internationale Finanzfeuerwehr alarmieren. Wie schon für Ungarn schnürten EU, Weltbank und Weltwährungsfonds einen milliardenschweren Notkredit, um Lettlands kurzfristige Zahlungsfähigkeit zu sichern. Die Bedingungen dafür sind hart: Das Land muss umfassend kürzen und sparen. Die Löhne im öffentlichen Sektor werden um 15 Prozent gekappt, die Steuern angehoben. Aldis Misevics von der lettischen Dienstleistungsgewerkschaft klagt stellvertretend für viele Beschäftigte:
"Die Preise steigen wahnsinnig. Die Löhne fallen wahnsinnig. Das ist gefährlich. Alles wird optimiert, rationalisiert. Gut, heute haben wir Krise. Nach einem Jahr hoffentlich nicht mehr. Aber was machen die Leute dann? Ob die dann überhaupt noch in Lettland sind?"
Gerade Lettlands Absturz verwundert. In Ungarn gab es schon länger gravierende Probleme. Aber Lettland gehörte noch bis vor kurzem zu den Spitzenreitern in Europa, mit zweistelligen Wachstumsraten. Die ganze Region, von Ausnahmen abgesehen, galt als Musterbeispiel eines gelungenen Umbaus von maroden Plan- zu leistungsfähigen Marktwirtschaften. Jetzt aber tauchen immer mehr Reformstaaten auf dem Krisenradar auf: Nach Lettland und Ungarn benötigte auch die Ukraine internationale Hilfe, Weißrussland, Rumänien, Serbien, und wohl bald schon mehr. Christoph Rosenberg vom Internationalen Währungsfonds IWF ist einer der besten Kenner der Region.
"Das Wachstum war stark und von Fundamentalfaktoren getrieben. Die EU-Mitgliedschaft hat einen Boost gegeben, den selbst wir vom IWF unterschätzt hatten. Zu den fundamentalen Faktoren wie Rechtssystem der EU, Marktzugang, kam noch das Engagement der ausländischen Banken und der Zugang zu billigen Krediten. Die These war, dass es in diesen Ländern nur aufwärts gehen kann."
Noch bis in den Herbst hinein machte die "Abkopplungstheorie" die Runde: Abkoppeln könne sich Mittel- und Osteuropa sogar von der Finanz- und Wirtschaftskrise, die von Amerika ausging. Widerlegt wurde sie scheibchenweise: Erst geriet Russland durch den Preisverfall bei Öl und Gas unter Druck; dann kam die Ukraine aus dem Takt wegen der hohen Bedeutung der Schwerindustrie und dem tiefen Fall der Stahlpreise, auf den das Land nicht vorbereitet war. Mit dem Zusammenbruch der US-Bank Lehman Brothers und dem Kollaps der internationalen Kreditmärkte aber schlug die Stunde der Wahrheit dann auch für die Staaten Mittelosteuropas. Christoph Rosenberg war damals Regionaldirektor des Weltwährungsfonds in Warschau:
"Mein Leben hat sich seit dem 19. September radikal verändert. Bis dahin bestand mein Arbeitsalltag darin, zu warnen, es nicht zu übertreiben und die hohen Wachstumsraten nicht als gegeben zu nehmen. Seither besteht meine Arbeit darin, überall die Feuer auszutreten in der Region."
Den Flaute-bedingten Rückgang der Exporte hätten die Staaten vielleicht noch verkraftet; in vielen Ländern hatte sich ein starker Binnenkonsum entwickelt. Als für die Länder explosiv aber erweist sich die Krise auf Grund ihrer Doppelnatur als Wirtschafts- und Finanzkrise. Denn finanziert worden war das hohe Wachstum all die Jahre über mit fremdem Geld.
Ausländische Anleger und Investoren steckten Milliarden in die Region, westliche Banken gründeten Tochterinstitute und verteilten großzügig Kredit, deutsche Sparer kauften Staatsanleihen aus dem Osten. Vladimir Gligorow, Osteuropaexperte am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche:
"Die meisten dieser Länder haben ein Leistungsbilanzdefizit. Viele haben nationale Währungen, und insofern ein Problem, das Defizit zu finanzieren."
Schon drohen neue Probleme, denn zahlreiche Unternehmen und Privatleute im Osten haben Kredite in fremden Währungen aufgenommen, um Zinsen zu sparen. Weil die Landeswährungen nun aber massiv abwerten, steigt parallel die Summe an Zloty oder Forint, die für den Schuldendienst der Euro- oder Schweizer-Franken-Kredite aufgebracht werden müssen. Deutsche Banken sind, gemessen an ihrer Größe, im Osten weniger stark exponiert als etwa österreichische, italienische oder schwedische Institute. Und doch betrifft die Misere im Osten auch Deutschland: Zuletzt ging knapp ein Fünftel der deutschen Ausfuhren in die Region. Rainer Lindner, Geschäftsführer beim Ostausschuss der deutschen Wirtschaft:
"Der Ostausschuss sieht die Lage schon sehr ernst, weil die Prognosen 2009 auf einen Rückgang des Handels hindeuten, auf vorsichtige Unternehmer im Osten, die Investitionen gegebenenfalls zurückfahren werden. Das sah 2008 ganz anders aus, da hatten wir ein Rekordjahr, 10 Prozent Zuwachs nach Ostmitteleuropa und gerade auch Russland, und dieser positive Trend scheint jetzt ins Stocken zu geraten. Aber wo ist die Lage nicht dramatisch?"
15. März, Nationalfeiertag in Ungarn; Hubschrauber über Budapest, Polizei-Einheiten patrouillieren in der Innenstadt. Zuletzt waren Proteste gegen die Regierung immer wieder in Gewalt ausgeartet, doch diesmal bleibt es ruhig. Ein Land in Schockstarre. Denn seit Herbst ist klar: Ungarn hat sich übernommen. Damals fand der ungarische Finanzminister keine Geldgeber mehr für seine Staatsanleihen. Ein ganz normales Umschuldungsgeschäft, sonst Routine, schlug plötzlich fehl. Wären nicht EU, IWF und Weltbank mit einer Kreditzusage über 20 Milliarden Euro zu Hilfe geeilt, in Budapest wären die Lichter ausgegangen. Abel Garamhegyi ist im ungarischen Wirtschaftsministerium für Handel zuständig - er streitet schlicht ab, dass sein Land vor der Pleite stand.
"Das Image Ungarns ist viel schlechter als die Realität. Der ungarische Staat war nie in einer Situation, wo er seine Aufgaben nicht mehr hätte finanzieren können. Sicherlich, einige Tage lang kam es hier nicht mehr zu Euro-Transaktionen. Aber das war hauptsächlich Marktversagen, kein 'Staatsbankrott'. Der Staat war stabil finanziert. Das Problem war ganz einfach, dass das ganz normale Bankgeschäft eingefroren ist. Neun, zehn Monate früher war ein Übernachtkredit bei einer Bank etwas ganz normales. Man konnte zur Bank gehen und sagen: 'Einen Übernacht, bitte sehr'. Heute ist schon allein das Wort "Übernacht" ein Warnsignal, ein Menetekel."
Ungarns Führung stellt das Land als Opfer der weltweiten Finanzkrise da. Die Opfertheorie hat ihre Anhänger zwischen Ostsee und Schwarzem Meer. Vor allem in den Ländern, denen es besonders schlecht geht. Laszlo Halpern, Ökonom an der ungarischen Akademie der Wissenschaften, sieht aber auch eigenes Verschulden.
"Man sollte bis ins Jahr 2006 zurückgehen. Damals hatten sich Regierung und Opposition überboten in Versprechungen, und fatalerweise wurde das dann auch noch umgesetzt. Das war desaströs: Das Haushaltsdefizit wuchs in astronomische Höhen, auf unhaltbare neun Prozent der Wirtschaftsleistung 2006."
Premier Gyurscanyi vollführte damals eine 180-Grad-Wende und schlug strikten Sparkurs ein, gegen den Protest der Straße und der Opposition. Er habe Ungarn wieder auf den "richtigen Weg" geführt, bescheinigen ihm Experten heute. Nur kam das zu spät; die weltweite Finanzkrise holte das Land ein. Nicht zufällig war Ungarn das erste Opfer in der Region; die Schulden waren einfach zu hoch. Jetzt steckt das Land in der Rezession, ein bis zu fünfprozentiger Rückgang der Wirtschaftsleistung wird prognostiziert. Die Krise hat auch die Baubranche erreicht, der es zuletzt noch gut ging. Lajos Hartvig, Mitinhaber eines großen Budapester Architekturbüros:
"Von unseren acht Großprojekten aus dem Oktober sind sechs auf Eis. Ich habe eine Statistik gelesen, dass 90 Prozent der ungarischen Großprojekte sind abgestoppt."
Weil plötzlich das Geld der Banken fehlt. Zwei virtuelle Zähler stehen im Internet für Angst und Hoffnung: Einen berechnet das ungarische Web-Magazin "Index", das täglich die gemeldeten Entlassungen größerer Firmen summiert. Ein anderer zeigt, wie viele der Ungarn zustehenden EU-Mittel bereits abgerufen wurden. Denn entgegen der allgemeinen Wahrnehmung kommt der Zufluss dieser Gelder erst jetzt so richtig in Gang: Bislang mangelte es noch an Erfahrungen bei der Antragstellung, waren Behördenwege oft zu lang. 25 Milliarden Euro aus den diversen Brüsseler EU-Fonds stehen Ungarn in der laufenden Sechs-Jahres-Periode zu, betont Jörg Lackenbauer von der EU-Kommission:
"Es gab Sorgen bezüglich der administrativen Qualität. Wir sind aber sehr zufrieden, was die Ungarn jetzt machen."
Die EU-Fonds hat auch Lettland dringend nötig. Denn wo Geld eben noch billig per Kredit zu haben war, fehlt es jetzt an allen Orten - sogar in der Rigaer Staatsoper.
Das Opernhaus am Rande der Rigaer Altstadt hat einen guten Ruf weit über die Landesgrenzen hinaus. Nun aber muss sich Opernchefin Selga Laizane mit unerwarteten Sparzwängen auseinandersetzen:
"Das Opernhaus ist keine Ausnahme. Unser Budget wurde kurzfristig gekürzt, wie das anderer Institutionen auch. Und wir versuchen, irgendwie klar zu kommen. Vom Gesamthaushalt haben wir zehn Prozent verloren. Der diesjährige Opernball fällt aus, und wir haben die Walküre vom Spielplan gestrichen. Außerdem gibt es eine klare Vorgabe vom Ministerium, Personal abzubauen, 32 Leute. Es ist viel."
Das Spardiktat von IWF, Weltbank und EU als Gegenleistung für die Notkredite macht keine Unterschiede von Land zu Land. Anders als Ungarn sei Lettland aber nicht durch unsolide Haushaltspolitik in die Klemme geraten, erklärt Thomas Laursen, regionaler Direktor der Weltbank.
"Im Baltikum war der Staatshaushalt weniger ein Thema. Hier sind die Probleme eher ein Resultat exzessiven Kreditwachstums, finanziert vor allem durch große Kapitalzuflüsse aus dem Ausland, von ausländischen Banken: Ein nicht nachhaltiger Kreditboom."
Um über zehn Prozent war die überhitzte lettische Wirtschaft am Ende gewachsen; noch stärkere Schübe gab es bei Löhnen und Preisen. Spekulative Käufer heizten den Rigaer Immobilienmarkt immer weiter an, am Ende wurden Westpreise gezahlt. Und auf Basis des vermeintlichen Reichtums schlossen Wohnungsbesitzer immer neue Kredite ab für noch mehr Konsum auf Pump. Nun ist die Blase geplatzt, der Immobilienmarkt im freien Fall - und Lettland fragt sich, wer ist Schuld. Nicht allein die Banken, meint der in Riga lehrende Ökonom Morten Hansen.
"Man kann die Banken verantwortlich machen für zu lockere Kreditvergabe. Aber man muss auch die Leute sehen. Sie dürfen auch mal nachdenken. Kann ich das wirklich zurückzahlen? Ist es wirklich realistisch, dass mein Lohn alljährlich um 35 Prozent im Jahr steigt? Man sollte auch die Regierung kritisieren, und zwar sehr. In den guten Jahren gab es klar eine Überhitzung. Viele sagten, ihr müsst das bremsen, und keiner tat es."
Warum nicht? Aldis Miglavs, Wirtschaftsberater der inzwischen zurückgetretenen lettischen Regierung, gibt zu Bedenken:
"Die Leute glauben eben gern das Positive. Wenn jemand warnt, da läuft was falsch, dann heißt es: Guck doch hin, die Wirtschaft brummt, was willst Du denn? Du warnst, aber sie sagen: Schau hin, die USA wachsen schon seit Jahrzehnten auf diese Weise und kommen gut voran."
Eines haben Lettland und Ungarn tatsächlich mit den Vereinigten Staaten gemein: Ein Wachstumsmodell, das auf Pump basierte, auf dem Geld anderer Länder. Und das ist auch der Grund dafür, warum ausgerechnet Polen heute relativ gut da steht.
Regionaltreffen deutscher Unternehmer in der westpolnischen Messestadt Posen. Christoph Garschynski, ein Rechtsanwalt, der deutsche Unternehmen in Polen berät, will nicht klagen:
"Das Interesse ist nach wie vor vorhanden. Nur: Es ist ein bisschen verhalten zur Zeit. Längerfristige Ziele legt man erst einmal auf Eis. Ich könnte aber nicht behaupten, dass man sich jetzt zurückziehen will."
Warum auch? In vielen Bereichen läuft die Wirtschaft weiter rund. Tobias Jerschke, Polen-Manager des Spediteurs Kühne + Nagel, sagt, er spüre noch keine Einbußen. In Polen beliefert die Firma hauptsächlich Einzelhändler mit leicht verderblicher Ware. Jerschke:
"Natürlich ist der Außenhandel zwischen Polen und den baltischen Staaten zusammengebrochen, aber das macht nur einen geringen Anteil am Außenhandel Polens aus."
Ringsum drohen Staaten zu kollabieren, und Polen hält Stellung: Das erstaunt. Zwar zeigte der Binnenkonsum im Februar erstmals Schwächen, auch ist die traditionell hohe Arbeitslosigkeit wieder über 10 Prozent gestiegen. Deutschland und Russland sind die wichtigsten Handelspartner des Landes; die Autoindustrie ist bedeutsam: Auch Polen wird zwangsläufig irgendwann in die Rezession geraten, sollte die Weltwirtschaftskrise andauern. Aber verglichen mit den Einbrüchen in Ungarn, dem Baltikum oder der Ukraine steht Polen derzeit blendend da. Zwar wächst das Land nicht mehr wie zuletzt um sechs Prozent, aber bis zu zwei Prozent trauen ihm Experten dieses Jahr noch zu. Ursachen kennt Thomas Laursen, Regionaldirektor der Weltbank in Warschau.
"Niemand ist immun gegen das, was in der Welt und in der Region passiert. Aber Polen ist in einer etwas anderen Position. Die wirtschaftlichen Rahmendaten sind stark, und das Finanzsystem ist vergleichsweise gesund. Was man hier sieht und auch in Tschechien ist, dass die Wirtschaft insgesamt viel besser geführt wird."
Zum Beispiel haben die Banken weit weniger aggressiv Fremdwährungskredite vermarktet als etwa in Ungarn. Die Staatsverschuldung ist moderat, und überhaupt haben die Polen viel mehr auf eigene Ressourcen gesetzt als auf Kredite vom Ausland. Die Kredite wuchsen schnell, aber fast ebenso schnell auch die Spareinlagen der Polen, lobt die Weltbank. Dazu passt, dass die Führung des Landes Konjunkturprogramme für Unfug hält. Premier Donald Tusk:
"Ich rate dringend zu Gelassenheit. Es vergeht ja kein Tag, wo nicht irgendein Land ein Rettungspaket für die Wirtschaft schnürt. Aber wenn die Staaten 100, 200, 500 Milliarden in die Wirtschaft pumpen, dann fehlt das Geld doch am Markt. Zudem ist die Frage ungelöst, woher es eigentlich kommt. Die Führer der Welt geben das Geld mit vollen Händen aus - um dann aber im Kreis der Kabinettskollegen zuzugeben: 'Eigentlich haben wir dieses Geld gar nicht'."
Aber auch Polen gerät unter Druck: Der Kurs des polnischen Zloty ist genauso heftig gefallen wie die Währung des Krisenlandes Ungarn, der Forint. Den sicheren Hafen der Europäischen Währungsunion hatte Polen bislang nicht angesteuert - lange hatte sich Polen sogar geweigert, auch nur ein Zieldatum für die Erfüllung der Konvergenzkriterien des Maasrichter Vertrages zu nennen. Das rächt sich jetzt. In Warschau heißt es zur Abwertung des Zloty: Die Märkte würden eben nicht differenzieren und Polens Stärken ausblenden. Die zeigen sich in der Krise, denn das große Land mit seinen 38 Millionen Einwohnern wuchs lange Zeit langsamer als die kleinen, extrem offenen Ökonomien etwa im Baltikum. Jetzt aber erweist sich Polens Weg als Krisenschutz, und er wird sich auch durchsetzen, prophezeit der Wiener Ökonom Gligorow:
"Die Länder werden jetzt auf ihre eigenen Ersparnisse und ihre eigenen Investoren bauen müssen. Vielleicht gilt das nicht für jedes Land und vielleicht nicht für die Euro-Zone, wo es eine weitere Liberalisierung und eine Art Europäisierung des Bankensektors geben könnte, wenn es dazu kommt, wäre es etwas anderes. Aber ansonsten: Die Rückkehr zu diesen hohen Investitionen und Kreditflüssen ist auf absehbare Zeit unwahrscheinlich."
Die Länder, die ganz auf fremde Banken setzten, hatten es im Boom gut und wurden umfangreich mit Geld und Kredit versorgt. In der Krise aber erweist sich diese Abhängigkeit als Extra-Last: Die, die eben noch allzu freizügig Kredite vergaben, knausern plötzlich, verlangen viel höhere Zinsen und weitaus mehr Sicherheiten. Volker Schwarz von der Warschauer Bre Bank, einer Tochter der Commerzbank:
"Es ist so, dass bestehende Kreditzusagen eingehalten werden. Dass aber die Ausweitung des Kreditvolumens derzeit ein Problem ist. Die Banken müssen mit dem Volumen arbeiten, das sie haben. Die Ausweitung des Kreditvolumens ist nicht möglich, weil der Interbankenmarkt und die Refinanzierung der Banken nicht funktionieren."
Die Bankenschutzschirme in den westlichen Staaten spielen dabei eine unheilvolle Rolle - sind sie doch mehr oder weniger ausdrücklich dazu gespannt worden, den Kreditmarkt im jeweiligen Heimatland zu stützen, und nicht in Drittländern. Neben der Ungewissheit, wer künftig das Wirtschaftswachstum finanziert, stellt sich die Frage, was eigentlich genau finanziert werden soll. Die Länder brauchen überdurchschnittliches Wachstum, um weiter aufzuholen, sonst wandern die guten Mitarbeiter einfach ab. In den Boomjahren auf Pump aber wurde vieles verschlafen. Lettlands Exportwirtschaft etwa: Holzprodukte sind das wichtigste Ausfuhrgut, doch noch immer exportiert das Land hauptsächlich Rohholz in alle Welt. Ideen, das zu ändern und hochwertigere Holzprodukte zu entwickeln, gibt es bislang kaum - Agnese Plocina vom Verband der Holzindustrie in Riga.
"Momentan denken wir nicht an Strategie. ... Es geht den Unternehmen darum, irgendwie heil durch die Krise zu kommen. Effizient zu bleiben, die Kosten zu senken. Es ist wirklich hart zur Zeit."
Die Krise trennt Spreu und Weizen: Einige Länder Osteuropas werden noch lange ihre Schulden abzahlen müssen, andere stehen besser da. Nicht alles ist auf Sand gebaut: die Wolkenkratzer von Warschau, die hübsch restaurierten Altstädte im Baltikum bleiben. Erfahrungen sind gesammelt, Know-how und Humankapital aufgebaut worden. Das bleibt. Und vielleicht ist es ein Glück, dass in den USA die Immobilienblase platzte, bevor die diversen Kredit- und Immobilienblasen im Osten noch weiter aufgeblasen worden wären.