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Wirtschaftszahlen des deutschen Buchmarktes
"Glut des Lesens" lodert wieder

Nachdem der Börsenverein des deutschen Buchhandels im letzten Jahr einen drastischen Leserschwund diagnostizierte, scheint sich die Branche bereits zu erholen. Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, spricht im Dlf von einem "Wendepunkt". Die Situation der Verlage bleibt "misslich".

Alexander Skipis im Gespräch mit Miriam Zeh |
Zu sehen ist Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels
Es sei noch zu früh für eine Trendwende, doch von einem Wendepunkt spricht Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels (Foto: Claus Setzer)
Miriam Zeh: Vor einem Jahr stellte der Börsenverein des deutschen Buchhandels seine Studie "Buchkäufer – quo vadis?" vor. Sie hatte erstmals die sogenannten Buchabwanderer in den Blick genommen. 6,4 Millionen Deutsche sollen das zwischen 2013 und 2017 gewesen sein. Über Leserschwund und Medienkonkurrenz wurde daraufhin viel diskutiert. Heute war erneut zur Wirtschaftspressekonferenz nach Frankfurt geladen. Unter dem Motto "Zurück zu den Lesern" präsentierte der Börsenverein des deutschen Buchhandels Umsatz und Entwicklung des deutschen Buchmarkts für 2018 und 2019. Herr Skipis, gab es dieses Mal bessere Neuigkeiten zu verkünden?
Alexander Skipis: Eindeutiges ja! Diese Studie "Quo vadis, Buchkäufer?" markierte im letzten Jahr einen Wendepunkt in unserer Branche. Einen Wendepunkt, was die Erkenntnis über den Buchmarkt angeht und dann auch einen Wendepunkt, was die Entwicklung der Buchkäuferzahlen und auch der Umsätze angeht.
Zeh: Das heißt, neue Leser oder neue Buchkäufer konnten wieder dazugewonnen werden?
Skipis: Ja, wir konnten sogar schon in 2018 300.000 neue Buchkäuferinnen und Buchkäufer hinzugewinnen. Und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres, also 2019, haben wir einen Umsatzplus von 4,1 Prozent erreicht und einen Absatzplus von 1,7 Prozent. Das ist schon eine kleine Sensation für unseren Markt.
Großer Zuwachs bei jungen Lesern
Zeh: Können Sie diese neu gewonnen Käufer oder Leser genauer bestimmen? Es gab ja in der Studie "Buchkäufer – quo vadis?" eine Aufschlüsselung nach Altersgruppen. Und in einigen Altersgruppen waren besonders viele Leserinnen und Leser verloren gegangen, nämlich bei den 20 bis 29-Jährigen und bei den 40 bis 49-Jährigen. Wie haben sich diese Altersgruppen entwickelt?
Skipis: Diese Altersgruppen haben sich sehr erfreulich entwickelt. Wir haben bei den 20 bis 29-Jährigen 15,2 Prozent hinzugewinnen können, bei den 30 bis 39-Jährigen 15,8 Prozent und bei den 40 bis 49-Jährigen 2,2 Prozent. Das heißt, dort wo wir die größten Verluste haben, haben wir jetzt auch wiederum die höchsten Zugewinne.
Zeh: Wie erklären Sie sich diese Zugewinne, denn die Medienkonkurrenz ist ja zum Vorjahr gleich geblieben?
Skipis: Der Ausgangspunkt ist in der Tat unsere Buchkäuferstudie "Quo vadis?", in der wir drei Erkenntnisse gewonnen haben, die für uns sehr wichtig waren. Die erste Erkenntnis war, die Menschen – auch wenn sie jetzt gerade abwandern – lieben das Buch und lieben das Erlebnis mit dem Buch. Die zweite Erkenntnis war, diese Menschen sind vor allen Dingen durch die sozialen Medien so stark in Anspruch genommen, ständig online sein zu müssen, ständig agieren und reagieren zu müssen, dass sie nicht mehr zum Buchlesen kommen. Und drittens, eine wichtige Erkenntnis für uns, sie haben uns klar gesagt: Ihr seid nicht mehr bei uns, das heißt, wir begegnen dem Buch nicht mehr. Die Kontaktpunkte fehlen und die Orientierung fehlt uns.
Und aus diesen drei Punkten haben wir dann Strategien entwickelt, die offensichtlich jetzt schon greifen. Wir haben in der Studie auch die Buchkäuferinnen und -käufer befragt: Was können wir denn anders tun? Da haben sie uns viele Ideen gegeben, die wir in der Studie veröffentlicht haben, und unsere Buchhändler und Verleger haben das aufgegriffen. Da sind Ideen da bei wie zum Beispiel Yoga in der Buchhandlung anbieten. Das war damals etwas belächelt worden, als wir das veröffentlich haben, aber es scheint offen super gut zu funktionieren. Hugendubel macht das und hat praktisch immer wieder volle Buchhandlungen, wenn sie diese Kurse anbieten. Also insofern hat sich individuell die Branche bereits nach dieser Studie orientiert.
Neues Orientierungssystem für Leser
Und wir machen noch zwei Dinge mit der Branche zusammen. Wir werden ein neues Orientierungssystem aufbauen, das sehr stark auf die Bedürfnisse der Leserinnen und Leser eingeht. Die Leserinnen und Leser interessieren nicht die Warengruppen, die wir für unsere Ordnung gebraucht haben, sondern die interessiert: Ich habe ein emotionales Bedürfnis, ich möchte gerne etwas lesen, das so und so aussieht. Und genau das wollen wir mit dem Orientierungssystem abfangen.
Und das zweite ist, wir arbeiten an einer Image-Entwicklung. Unsere Buchmarkt-Kampagne "Jetzt ein Buch!" wird auf die Erfordernisse und Erkenntnisse der "Quo vadis"-Studie angepasst. Daran arbeiten wir gerade. Wir wollen dadurch wieder die Lust am Lesen gewinnen oder – vielleicht etwas bildlich gesprochen: die Glut entfachen. Die Glut, die da ist, nämlich lesen zu wollen, das Leseerlebnis zu genießen. Diese Glut wollen wir wieder zu einem lodernden Feuer machen.
Sachbuch verzeichnet größten Zuwachs
Zeh: Vor allem bei einer bestimmten Gattung scheint ja diese Glut schon zu lodern. Bereits vor zwei Tagen hatte der Börsenverein bereits vermeldet, dass Sachbücher das größte Umsatzplus von 5,5 Prozent verzeichnen können. Wie erklären Sie sich den Erfolg dieser Warengruppe? Man könnte sich doch auch vorstellen, dass gerade Sachbücher und Ratgeber als erstes durchs Internet ersetzt werden. Schließlich bekommt man von Google auf fast jede Frage eine Antwort, innerhalb von Sekunden und auch noch kostenlos. Warum ziehen Leser trotzdem das Wissen in Buchformat vor?
Skipis: In der Tat hätte man so denken können. Aber das Sachbuch hat offensichtlich viel mehr zu bieten als die blanke angebliche Information, die man sich im Netz holt. Das Sachbuch ist eine gesicherte Erkenntnis. Das sind gesicherte Fakten, die da drin beschrieben sind und durch die lineare Beschreibung in einem Buch können sie sich natürlich mit einem Thema nach ganz anderen Dingen orientieren und beschäftigen als bei der punktuellen Suche im Netz.
Wir wissen alle, wie es ist, wenn wir im Netz etwas recherchieren. Man verliert sich dann langsam, weil es sehr schwierig ist, Prioritäten zu finden und Vertrauen zu finden in die bestimmten Informationen – anders das Sachbuch. Das Sachbuch bietet eben diese gesicherten Erkenntnisse, diese gesicherten Fakten und hat obendrein dann noch vielleicht noch die pointierte, fundierte Meinung des Autors zu einem Thema. Deshalb, so erklären wir das, ist das Sachbuch mit 5,5 Prozent Wachstum im letzten Jahr der Spitzenreiter an Beliebtheit.
Lage der Verlage bleibt misslich
Zeh: Im laufenden Jahr steht die Buchbranche vor einigen Herausforderungen. Anfang des Jahres hatte die Insolvenz des Großhändlers KNV für Verunsicherung gesorgt. Was kommt sonst noch auf Verlage und Buchhandlungen zu in diesem Jahr?
Skipis: In der Vergangenheit war ja schon das Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz eine große Problematik für unsere Verlage, weil wiederum eine Urheberrechtsschranke eingeführt worden ist, mit der die Verlage 15% ihres jeweiligen Buches sozusagen entschädigungslos verlieren. Das hat schon mal sehr stark belastet. Dann war die nach dem Vogel-Urteil nicht mehr mögliche Ausschüttung der Verwertungsgesellschaften an die Verlage ein weiterer Schlag ins Kontor. Und mit KNV sind vor allen Dingen kleinere und mittlere Verlage wiederum finanziell belastet worden. Das ist alles sehr hart für die Branche. Und wir müssen sehen, wie wir diese Probleme dann gemeinsam lösen können.
Allerdings werden wir dann auch sehen, dass – nachdem auf europäischer Ebene die Urheberrechtslinie beschlossen worden ist – die Ausschüttungsbeteiligung an den Verwertungsgesellschaften auf nationaler Ebene jetzt möglich ist. Das müsste jetzt umgesetzt werden. Insofern ist das ein kleiner Lichtblick für die missliche Situation im Moment der Verlage.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.