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Wisente
Die heimliche Rückkehr der 600-Kilo-Kolosse

Einst streifte der Wisent in Herden von zehn bis 20 Tieren durch die dichten Wälder Europas, doch die Menschen jagten ihn und zerstörten seinen Lebensraum. 1755 verschwanden die letzten Wisente aus Deutschland. Nun sind sie zurückgekehrt.

Von Jochen Steiner |
    Wisent mit Nachwuchs
    Wisent mit Nachwuchs. (picture alliance / dpa / Wisent-Welt-Wittgenstein)
    Der Rothaarsteig ist ein beliebter Fernwanderweg – er ist 150 Kilometer lang und führt von Brilon in Nordrhein-Westfalen bis ins hessische Dillenburg. Und wie der Name schon sagt, schlängelt er sich auch durch das Rothaargebirge. Seit etwa eineinhalb Jahren können Wanderer dort mit etwas Glück ein Tier beobachten, das zuletzt vor über 250 Jahren in freier Wildbahn in Deutschland vorkam: der Wisent.
    "Was mich jedes Mal wieder erstaunt hat, war, wie unwahrscheinlich ruhig und auch sehr heimlich diese Tiere sein können. Man muss sich vorstellen, da steht ein Wisent vor einem, der wiegt 600 Kilo und dann hat er noch zehn Kollegen dabei, und trotzdem befindet man sich 30 Meter von der Herde und man sieht und hört sie nicht, wenn die Tiere das nicht wollen", sagt Philip Schmitz von der Universität Siegen. Der Biologe hat die Tiere für seine Doktorarbeit viele Stunden beobachtet, gefährliche Situationen hat er nicht erlebt.
    Vor zehn Jahren hatte der Unternehmer Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg die Idee, Wisente in einem 4.000 Hektar großen Teil seines Privatwaldes auszuwildern. Nach einer Machbarkeitsstudie begann im März 2010 die dreijährige Eingewöhnungsphase für eine Handvoll Tiere in einem ein Hektar großen Gehege im Rothaargebirge. Sie konnten sich dort aneinander und an den neuen Lebensraum gewöhnen. Die Wisente kamen aus anderen Einrichtungen in Deutschland und Belgien. Und dann, im April 2013, war es so weit, erzählt Coralie Herbst von der Tierärztlichen Hochschule Hannover.
    "Wir haben acht Tiere freigelassen, das heißt, das war ein Bulle und ein Jungbulle, der war knapp ein Jahr alt zu dem Zeitpunkt, eine junge Kuh und fünf adulte, ausgewachsene Kühe. Dann haben wir im ersten Jahr zwei Kälber bekommen und in diesem Jahr auch drei."
    Ein Tier ist gestorben, sodass nun 12 Wisente durchs Rothaargebirge streifen. Die Herde kann in den nächsten Jahren noch weiter wachsen. "Also die sollen 20 bis maximal 25 Tiere werden."
    Ein Modell, das dem Arterhalt dient
    Dann müssen die Forscher aber eingreifen, überzählige Tiere zum Beispiel an andere Einrichtungen abgeben. Für mehr als 25 Tiere ist im Privatwald des Rothaargebirges kein Platz. Ein Trägerverein ist für das Projekt verantwortlich, das einen Modellcharakter besitzt, betont Philip Schmitz:
    "Um ein Beispiel zu sein für ähnliche Projekte, um eine Metapopulation zu gründen, also um auch den Arterhalt voranzutreiben, um auch den Tourismus und die wirtschaftliche Entwicklung der Region zu beflügeln, all das sind die Ziele, die dahinter stecken."
    Und natürlich um mehr über die Wisente herauszubekommen. Deshalb stattete Schmitz drei Tiere vor der Freilassung mit GPS-Halsbändern aus. Das Ziel: die Wanderbewegungen im 4.000 Hektar großen Wald kennenzulernen.
    "Die Tiere haben ihren Lebensraum stufenweise erweitert. Sie haben klein angefangen, dann haben sie das Gebiet, das sie kannten, eine Weile genutzt. Dann gab es die zweite Erkundungswelle. Das haben sie im Jahr mehrmals wiederholt und am Ende ein Streifgebiet etabliert, was eigentlich sehr vergleichbar ist zu anderen Daten, die wir schon kennen."
    Etwa 45 Quadratkilometer ist solch ein Streifgebiet groß, das die Herde über einen ganzen Sommer hinweg durchwandert.
    "Im Winter ist die Situation eine andere. Wir haben hier im Rothaargebirge eine Fütterung etabliert, so wie es auch in anderen Auswilderungsprojekten der Fall ist und dann bleiben die Tiere eigentlich in großer Nähe zu dieser zuverlässigen Futterquelle. Also da sprechen wir dann von einem Gebiet von vielleicht einem Quadratkilometer."
    Die Wisente könnten auch ohne Winterfütterung überleben, doch dazu müssten sie für die Nahrungssuche von den bewaldeten Hügeln in die schneefreien Täler hinunterwandern, und dort sind Dörfer, Felder, Menschen - also kein geeigneter Lebensraum mehr für die großen Tiere.