Dieses Buch ist auf keinen Fall eine Rechtfertigung des Verbrechens, im Gegenteil. Mir scheint, dass es seit Anfang des 19. Jahrhunderts – ich nenne sie – bourgeoise Literatur gab, die man als eine Ästhetik des Verbrechens bezeichnen könnte und in der das Verbrechen mit Lobreden bedacht und der Mord als eine der schönen Künste betrachtet wurde und meiner Meinung nach war diese Literatur Teil des Kontrollsystems und der allgemeinen Unterdrückung. Auch scheint mir, und das ist wichtig, dass die moderne Gesellschaft, die Gesellschaft des 19. Jahrhunderts der Kriminalität sogar so etwas wie einen Freiraum eingeräumt hat. Denn die Verbrecher sind nützlich für die Gesellschaft. Sie sind für vieles zu gebrauchen und in diesem Sinne besteht tatsächlich eine Toleranz gegenüber der Kriminalität, wenigstens gegenüber gewissen Formen der Illegalität. Mein Buch will also keinesfalls ausdrücken, dass es schlecht wäre zu strafen, dass wir nicht bestrafen sollten.
Ich will vielmehr zeigen, dass die Art, wie wir strafen heute sehr eng verknüpft ist mit einer gewissen Form von Macht und von politischer Kontrolle, die sowohl in den kapitalistischen als auch in den sozialistischen Gesellschaften zu finden ist. Und deshalb können die Menschen in beiden Gesellschaften dieses Strafsystem weder unterstützen, noch verstehen, noch wirklich akzeptieren, obwohl sie eigentlich wünschen, dass die Leute bestraft werden, die Böses tun.
Bis in seine letzten Lebensjahre hinein diagnostiziert Foucault primär die Schattenseiten der Vernunft bzw. der modernen Gesellschaft. Er verabschiedet die große Gesellschaftstheorie, die er noch bei seinem Lehrer, dem Marxisten Louis Althusser gelernt hat und blickt in die Details des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Er analysiert genau die einzelnen Praktiken, derer sich politische Macht zu Repressionszwecken bedient. Dabei kümmert er sich besonders darum, wie solche Praktiken die Menschen geistig wie körperlich prägen:
Meiner Ansicht nach muss man die großen Hinrichtungszeremonien als ein politisches Ritual betrachten. Die Krönung des Königs, sein Einzug in eine Stadt, das waren politische Rituale. Und die öffentlichen Hinrichtungen waren eine Art alltägliches politisches Ritual, bei denen die körperliche und materielle Kraft des Königs in ihrem ganzen Glanz und ihn ihrer ganzen Macht gezeigt wurde. Und die Wunden des Verurteilten sollten genau wie seine Schmerzensschreie die überwältigende Kraft und Macht des Herrschers offenbaren.
Michel Foucault beschreibt politische Unterdrückung nicht als Produkt der Klassenherrschaft, sondern als Ausdruck kultureller Prozesse. Dabei spielen in der Moderne eine negative Rolle: Vernunft und Wissen, auf die gerade die Aufklärung alle ihre Fortschrittshoffnungen stützt. Vernunft und Wissen befreien den Menschen nicht von Naturzwängen oder Unwissenheit, sondern spannen ihn in ein subtiles Geflecht von Machtbeziehungen ein, die bereits auf der individuellen, zwischenmenschlichen Ebene ansetzen:
Die Beziehungen zwischen Individuen sind auch wenn nicht sogar vor allem Machtbeziehungen und wenn ich etwas polemisch werden darf, möchte ich behaupten, dass man auf beiden Seiten die Existenz von Machtbeziehungen vernachlässigt hat. Auf beiden Seiten damit meine ich einerseits die traditionelle, spiritualistische Universitätsphilosophie, der zufolge die Beziehungen der Individuen zueinander im wesentlichen durch das Verständnis, durch Dialog, Sprache und Logik geprägt sind: man versteht sich oder man versteht sich nicht. Und auf der anderen Seite versucht die marxistische Analyse die Beziehungen der Menschen im Wesentlichen von den Produktionsverhältnissen her zu definieren. Mir scheint also, dass neben den wirtschaftlichen oder logischen Beziehungen ebenfalls grundlegende Machtbeziehungen bestehen, die unsere Existenz wesentlich beeinflussen.
In den letzten Lebensjahren wendet sich Foucault von der weit gefächerten Machtanalyse eher ab. Er beginnt Macht nicht nur als Unterdrückung zu verstehen. Band 2 und Band 3 seines Hauptwerkes Sexualität und Wahrheit befassen sich mit der Selbstkonstitution des Menschen in der antiken Welt, zu der Macht nötig ist. Die jetzt erschienenen Vorlesungen aus den Jahren 1981/82 am Collège de France , an dem Foucault seit 1970 einen Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme innehatte, beschäftigen sich unter dem Titel Hermeneutik des Subjekts mit dem Horizont des dritten Bandes seines Hauptwerkes: Die Sorge um sich . Sie vertiefen und explizieren dessen Gedankengang, dass zwischen Sokrates und dem Neuplatonismus, also etwa zwischen 400 vor und 300 nach Christus in der antiken Welt, sich ein Bewusstsein der notwendigen Selbstschöpfung ausbreitet.
Um ein Verhältnis zu sich selbst zu gewinnen, muss der antike Mensch natürlich sich selbst beherrschen, sich aber nicht von außen beherrschen lassen. Macht gewinnt dadurch für Foucault auch eine positive Bedeutung. Der Mensch muß seiner selbst mächtig sein: dann vermag er sich um sich selbst zu kümmern, auch um sich Machtansprüchen der Gesellschaft bzw. der anderen Menschen entziehen zu können.
Schienen Foucaults Analysen der modernen Gesellschaft mit ihren überwältigenden Machtstrukturen eher jede Hoffnung auf eine Humanisierung und auf sozialen Fortschritt auszuschließen, so entwickelt der späte Foucault im Rückgriff auf die griechisch römische Antike eine Hermeneutik des Subjekts, ein Verständnis vom Menschen, das Chancen gerade einer individuellen Lebensgestaltung in Abkehr von den großen sozialen Mächten, aber auch im Widerstand gegen sie aufkeimen läßt. Hierbei fällt auch das Wort der Lebenskunst, die eine Hermeneutik des Subjekts verlangt, eine Kraft des Verstehens seiner Selbst, die dem Individuum ermöglicht, sich auch noch zwischen den sozialen Mächten selbsttätig zu bewegen.
So lassen denn auch zwanzig Jahre nach seinem Tod die harschen Vorwürfe nach, er sei ein Gegenaufklärer. Foucault wird sogar als Wegbereiter der postmodernen Philosophie von deren Gegnern längst anerkannt. So bemerkt der leipziger Philosoph Pirmin Stekeler-Weithofer, der zur analytischen Philosophie zählt:
In der Gegenwart taucht Nietzsche hauptsächlich bei Foucault auf, bei Rorty, und das sind ja auch ein bisschen meine Helden – und es sind auch nicht einfach unbefragte Helden, wenn Sie so wollen , - ich denke aber, dass sie wie Nietzsche ein Gegengift darstellen, gegen die allzu große Selbstsicherheit akademischen Philosophierens.
Michel Foucault
Hermeneutik des Subjekts
Suhrkamp, 694 S., EUR 39,90
Ich will vielmehr zeigen, dass die Art, wie wir strafen heute sehr eng verknüpft ist mit einer gewissen Form von Macht und von politischer Kontrolle, die sowohl in den kapitalistischen als auch in den sozialistischen Gesellschaften zu finden ist. Und deshalb können die Menschen in beiden Gesellschaften dieses Strafsystem weder unterstützen, noch verstehen, noch wirklich akzeptieren, obwohl sie eigentlich wünschen, dass die Leute bestraft werden, die Böses tun.
Bis in seine letzten Lebensjahre hinein diagnostiziert Foucault primär die Schattenseiten der Vernunft bzw. der modernen Gesellschaft. Er verabschiedet die große Gesellschaftstheorie, die er noch bei seinem Lehrer, dem Marxisten Louis Althusser gelernt hat und blickt in die Details des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Er analysiert genau die einzelnen Praktiken, derer sich politische Macht zu Repressionszwecken bedient. Dabei kümmert er sich besonders darum, wie solche Praktiken die Menschen geistig wie körperlich prägen:
Meiner Ansicht nach muss man die großen Hinrichtungszeremonien als ein politisches Ritual betrachten. Die Krönung des Königs, sein Einzug in eine Stadt, das waren politische Rituale. Und die öffentlichen Hinrichtungen waren eine Art alltägliches politisches Ritual, bei denen die körperliche und materielle Kraft des Königs in ihrem ganzen Glanz und ihn ihrer ganzen Macht gezeigt wurde. Und die Wunden des Verurteilten sollten genau wie seine Schmerzensschreie die überwältigende Kraft und Macht des Herrschers offenbaren.
Michel Foucault beschreibt politische Unterdrückung nicht als Produkt der Klassenherrschaft, sondern als Ausdruck kultureller Prozesse. Dabei spielen in der Moderne eine negative Rolle: Vernunft und Wissen, auf die gerade die Aufklärung alle ihre Fortschrittshoffnungen stützt. Vernunft und Wissen befreien den Menschen nicht von Naturzwängen oder Unwissenheit, sondern spannen ihn in ein subtiles Geflecht von Machtbeziehungen ein, die bereits auf der individuellen, zwischenmenschlichen Ebene ansetzen:
Die Beziehungen zwischen Individuen sind auch wenn nicht sogar vor allem Machtbeziehungen und wenn ich etwas polemisch werden darf, möchte ich behaupten, dass man auf beiden Seiten die Existenz von Machtbeziehungen vernachlässigt hat. Auf beiden Seiten damit meine ich einerseits die traditionelle, spiritualistische Universitätsphilosophie, der zufolge die Beziehungen der Individuen zueinander im wesentlichen durch das Verständnis, durch Dialog, Sprache und Logik geprägt sind: man versteht sich oder man versteht sich nicht. Und auf der anderen Seite versucht die marxistische Analyse die Beziehungen der Menschen im Wesentlichen von den Produktionsverhältnissen her zu definieren. Mir scheint also, dass neben den wirtschaftlichen oder logischen Beziehungen ebenfalls grundlegende Machtbeziehungen bestehen, die unsere Existenz wesentlich beeinflussen.
In den letzten Lebensjahren wendet sich Foucault von der weit gefächerten Machtanalyse eher ab. Er beginnt Macht nicht nur als Unterdrückung zu verstehen. Band 2 und Band 3 seines Hauptwerkes Sexualität und Wahrheit befassen sich mit der Selbstkonstitution des Menschen in der antiken Welt, zu der Macht nötig ist. Die jetzt erschienenen Vorlesungen aus den Jahren 1981/82 am Collège de France , an dem Foucault seit 1970 einen Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme innehatte, beschäftigen sich unter dem Titel Hermeneutik des Subjekts mit dem Horizont des dritten Bandes seines Hauptwerkes: Die Sorge um sich . Sie vertiefen und explizieren dessen Gedankengang, dass zwischen Sokrates und dem Neuplatonismus, also etwa zwischen 400 vor und 300 nach Christus in der antiken Welt, sich ein Bewusstsein der notwendigen Selbstschöpfung ausbreitet.
Um ein Verhältnis zu sich selbst zu gewinnen, muss der antike Mensch natürlich sich selbst beherrschen, sich aber nicht von außen beherrschen lassen. Macht gewinnt dadurch für Foucault auch eine positive Bedeutung. Der Mensch muß seiner selbst mächtig sein: dann vermag er sich um sich selbst zu kümmern, auch um sich Machtansprüchen der Gesellschaft bzw. der anderen Menschen entziehen zu können.
Schienen Foucaults Analysen der modernen Gesellschaft mit ihren überwältigenden Machtstrukturen eher jede Hoffnung auf eine Humanisierung und auf sozialen Fortschritt auszuschließen, so entwickelt der späte Foucault im Rückgriff auf die griechisch römische Antike eine Hermeneutik des Subjekts, ein Verständnis vom Menschen, das Chancen gerade einer individuellen Lebensgestaltung in Abkehr von den großen sozialen Mächten, aber auch im Widerstand gegen sie aufkeimen läßt. Hierbei fällt auch das Wort der Lebenskunst, die eine Hermeneutik des Subjekts verlangt, eine Kraft des Verstehens seiner Selbst, die dem Individuum ermöglicht, sich auch noch zwischen den sozialen Mächten selbsttätig zu bewegen.
So lassen denn auch zwanzig Jahre nach seinem Tod die harschen Vorwürfe nach, er sei ein Gegenaufklärer. Foucault wird sogar als Wegbereiter der postmodernen Philosophie von deren Gegnern längst anerkannt. So bemerkt der leipziger Philosoph Pirmin Stekeler-Weithofer, der zur analytischen Philosophie zählt:
In der Gegenwart taucht Nietzsche hauptsächlich bei Foucault auf, bei Rorty, und das sind ja auch ein bisschen meine Helden – und es sind auch nicht einfach unbefragte Helden, wenn Sie so wollen , - ich denke aber, dass sie wie Nietzsche ein Gegengift darstellen, gegen die allzu große Selbstsicherheit akademischen Philosophierens.
Michel Foucault
Hermeneutik des Subjekts
Suhrkamp, 694 S., EUR 39,90