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Wissenschaft im Koalitionsvertrag
"Überraschungen sind in Zukunft deutlich mehr eingeplant"

Es sei bemerkenswert, dass es laut Koalitionsvertrag eine Institution geben soll, die disruptive Ansätze in der Forschung fördere, sagte Volker Meyer-Guckel, Generalsekretär des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft. Damit einher gehe auch eine neue Kultur von Risikoinvestitionen.

Volker Meyer-Guckel im Gespräch mit Lennart Pyritz |
    Volker Meyer-Guckel, spricht am 19.01.2015 in Lüneburg beim Richtfest im neuen Zentralgebäude der Leuphana Universität.
    Volker Meyer-Guckel Generalsekretär des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft (picture alliance / dpa / Philipp Schulze)
    Lennart Pyritz: Die Ideen und Pläne im Koalitionsvertrag wollen wir jetzt einordnen mit Volker Meyer-Guckel - stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft: Ein eingetragener Verein, der sich unter anderem mit politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen auf die Wissenschaft beschäftigt. Im Koalitionsvertrag heißt es, Deutschland solle bis 2025 mindestens 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aufwenden. Vorausgesetzt, das klappt - wie würde Deutschland damit im internationalen Vergleich dastehen?
    Volker Meyer-Guckel: Also es gibt Länder, die schon mehr investieren vom Bruttoinlandsprodukt in Forschung und Innovation, beispielsweise Südkorea. Es gibt Länder, die jetzt viel aufholen - China holt auf -, und wenn wir das 3,5-Prozent-Ziel erreichen können, dann wären wir tatsächlich unter den ersten fünf, also wir würden weiterhin in der Weltliga spielen, was die Investitionen angeht, aber es ist natürlich ein langer Weg. Genauso wie das Drei-Prozent-Ziel nahezu 15 bis 20 Jahre gebraucht hat, um erreicht zu werden, wird es auch wahrscheinlich länger dauern als bis 2025. Aber es ist gut, eine Marke zu setzen, weil sich natürlich da auch Haushaltsentscheidungen orientieren können.
    Pyritz: Bleiben wir noch bei Finanzierungsfragen: Im Koalitionsvertrag ist auch die steuerliche Forschungsförderung verankert – ist das in Ihren Augen ein sinnvolles Instrument, oder könnten diese Gelder dafür irgendwann an anderer Stelle wieder abgezogen werden, zum Beispiel bei außeruniversitären Forschungseinrichtungen?
    Meyer-Guckel: Die Bundesregierung hat ja in der Vergangenheit immer deutlich gemacht, dass wenn es zur Einführung der steuerlichen F+E-Förderung kommt, dass dann die Programmförderung darunter nicht leiden wird – erste wichtige Aussage. Die zweite Aussage ist in der Tat, wenn man das 3,5-Prozent-Ziel erreichen will, das geht ja überhaupt nur, wenn der jetzige Anteil der Industrieinvestitionen in Forschung und Entwicklung deutlich gesteigert wird. Da sich die steuerliche F+E-Förderung vor allen Dingen auf kleine und mittelständische Unternehmen zunächst beschränken soll, ist das, glaube ich, ein großes Potenzial, was dann gehoben werden kann.
    "Digitalisierungsthemen werden nicht en bloc definiert"
    Pyritz: Wenn wir jetzt mal auf die inhaltlichen Akzente im Koalitionsvertrag schauen - da steht zum einen das Thema Digitalisierung im Vordergrund, darüber haben wir in den vergangenen Tagen schon ausführlich berichtet -, welche anderen Themenfelder halten Sie da noch für besonders wichtig, welche sind Ihnen ins Auge gesprungen?
    Meyer-Guckel: Es gibt ja zunächst das große Feld der Hochschulfinanzierung. Die Hochschulfinanzierung soll ja jetzt dauerhaft den Bundesanteil verstetigen. Das ist, glaube ich, wichtig und richtig, weil ich glaube die Hochschulen mittlerweile an einem Punkt angekommen sind, wo sie nicht länger über Projektfinanzierung ihren Aufwuchs finanzieren können. Das zweite Thema, was neben der Digitalisierung immer auftaucht und in gewisser Weise auch so eine Art Zwillingsthema ist, ist die Frage der Öffnung von Wissenschaft. Wir haben an verschiedenen Stellen des Koalitionsvertrags das Thema Offenheit - Open Innovation, Open Access, Open Data -, also die Frage, wie man Wissenschaft insgesamt weiter öffnen kann. Interessanterweise ist das so ähnlich wie bei dem Digitalisierungsthema, die ziehen sich so durch verschiedene Kapitel im Koalitionsvertrag, aber werden eigentlich nicht en bloc definiert, und das bildet so ein bisschen die Situation hier auch in der Ressortverteilung ab. Es gibt unterschiedlichste Förderprogramme, unterschiedlichste Initiativen, aber nirgendwo wird eigentlich diese Verbindung von Open Innovation und Open Science eigentlich mal zusammen gedanklich und auch verantwortlich diskutiert, und das ist, glaube ich, die Herausforderung.
    "Life Science werden eine neue Leitwissenschaft"
    Pyritz: Ich nenne mal noch ein paar weitere Themen aus dem Koalitionsvertrag: Die Gesundheitsforschung soll ausgebaut werden und die Nutzung von Prinzipien der Natur soll vorangetrieben werden. Erwarten Sie auch in diesen Bereichen frische Impulse?
    Meyer-Guckel: Ich glaube, das gehört auch unmittelbar verschränkt zueinander. Wir haben ja im Bereich der individualisierten Medizin, also durch die Fortschritte in den Life Sciences, unglaubliches Potenzial, da weiß man noch gar nicht, in welche Richtung das Ganze gehen wird. Aber Fakt ist, dass die Life Science gewissermaßen eine neue Leitwissenschaft werden oder schon geworden sind und sich daraus natürlich auch viele Anwendungen ableiten lassen. Ich finde es gut, dass hier die Bundesregierung einen Ansatz fährt, wo sie auch die Zivilgesellschaft in diese Diskussionen einbeziehen will, denn hier muss es einen Schulterschluss geben zwischen dem ökonomischen Potenzial und dem, was die Gesellschaft tatsächlich dann auch nachfragt.
    Pyritz: Wenn wir jetzt mal einen Schritt zurücktreten und den Koalitionsvertrag noch mal so in der Gesamtschau in den Blick nehmen, erkennen Sie darin neue Weichenstellungen im Sinne der Wissenschaft oder den Ansatz, im Sinne des GroKo-Claims aus technischem soziale Fortschritt zu machen?
    Meyer-Guckel: Also das Schöne an Koalitionsverträgen ist ja, dass das wirklich Entscheidende da nicht drinsteht. Ich finde es immerhin bemerkenswert, dass es in Zukunft eine Institution geben soll, die disruptive Ansätze der Forschung fördern soll, sozusagen, Überraschungen sind in Zukunft deutlich mehr eingeplant, ist nicht nur eine Fortschreibung von Förderlinien, die es schon gibt. Das ist ja auch eine neue Kultur, dass man nicht schaut, immer mit dem Rechnungshof im Hintergrund, wo haben wir jetzt unsere Forschungsgelder sinnvoll investiert, sondern dass man sagt, wir machen auch mal Risikoinvestitionen, und wenn das nicht klappt, ist auch gut, und dann muss der Rechnungshof dann halt sagen, es hat halt nicht geklappt, aber es ist für die Gesellschaft gut gewesen.
    "Der frische Blick von außen kann durchaus produktiv sein"
    Pyritz: Welche Themen aus Wissenschaft und Forschung werden denn im Koalitionsvertrag gar nicht erwähnt, die Ihrer Einschätzung nach aber drinstehen sollten?
    Meyer-Guckel: Also es fällt ja auf, dass so bestimmte Themen, die in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt haben, nur mit ganz wenigen Sätzen bedient werden. Nehmen wir die Klima- und Energieforschung, ich hab jetzt vier Sätze gefunden, Genderforschung will ich gar nicht mehr erwähnen, also es zeigt so, dass es bestimmte Forschungsförderzyklen gibt, die auch zum Abschluss kommen - ich halte das auch nicht für falsch, weil diese Bereiche ja mittlerweile auch gut etabliert sind. Ich halte bei aller quantitativen, sagen wir mal, Durchdringung des Koalitionsvertrags mit dem Thema Digitalisierung die Konkretisierung noch nicht für sehr gelungen, da muss noch eine Menge Arbeit reingesteckt werden, aber ich finde insgesamt, das muss ich sagen, hab ich jetzt Stichworte, die ich mir gewünscht hätte, auch alle gefunden, wenn auch manchmal nur in Nebensätzen.
    Pyritz: Zum Schluss zu einer Personalfrage: Kennen Sie die designierte Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek?
    Meyer-Guckel: Ich war genauso überrascht wie jeder andere, glaube ich, kenne sie auch nicht persönlich.
    Pyritz: Dann schließe ich die nächste Frage an: Wie wird sie, nachdem, was Sie bislang über Anja Karliczek wissen, dieses Ministerium in den kommenden Jahren führen?
    Meyer-Guckel: Ich glaube, das weiß sie selber noch nicht so richtig, aber ihr erster Ansatz, erst mal zuzuhören, keine Interviews zu inhaltlichen Fragen zu geben, sondern erst mal zu lernen, ist, glaube ich, ein kluger und vernünftiger. Und es kann ja auch ganz gut sein, mal einen frischen Blick von außen von jemand, der in der Forschungslandschaft jetzt noch nicht viele Erfahrungen gesammelt hat, auf die Prozesse und die Themen zu lenken. Und wenn das gepaart wird, also das Know-how, was im Ministerium vorhanden ist, und der frische Blick von außen, dann kann das durchaus produktiv sein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.