Giorgio Paolucci steht im Ringtunnel eines Teilchenbeschleunigers – dicke Betonwände, rauschende Lüftung - und mittendrin eine dünne, luftleer gepumpte Edelstahlröhre und viele wuchtige Magnete. Paolucci zeigt auf ein gelbes Warnschild auf einem der Magnete. "Hochspannung, Vorsicht, Lebensgefahr", steht darauf. Und zwar auf deutsch, obwohl der Beschleuniger mitten in Jordanien steht, nördlich der Hauptstadt Amman.
"Wir werden sehr von anderen Labors unterstützt, davon profitieren wir stark. Ohne diese Hilfe wäre es kaum möglich gewesen, mit nur 40 Mitarbeitern dieses Forschungszentrum hier aufzubauen."
Mit ausgemusterten Teilen neue Forschung unterstützen
Paolucci ist wissenschaftlicher Direktor von SESAME, so heißt die Beschleunigeranlage. Der Ring hat einen Durchmesser von 50 Metern und steht in einer knapp fußballfeldgroßen Halle. Zwar sind die meisten Teile neu. Doch manche Komponenten stammen von ausgemusterten Anlagen: So wurde ein alter, kleiner Speicherring namens BESSY 1 aus Berlin nach Jordanien gebracht und dient bei SESAME nun als Vorbeschleuniger.
Ein Spezialmagnet kommt aus der Schweiz, weitere ausgemusterte Komponenten stammen aus Frankreich. SESAME ist das erste wissenschaftliche Gemeinschaftsprojekt im Nahen Osten, bei dem sich teils verfeindete Länder zusammentun – darunter Iran, Pakistan, Ägypten, Israel und die Palästinenser. Der Zweck des Beschleunigers: Er soll hochintensive Strahlung liefern, sogenannte Synchrotronstrahlung.
"Diese Strahlung besitzt Eigenschaften, die man mit keinen anderen Lichtquellen erreichen kann. Mit ihr lassen sich die unterschiedlichsten Materialproben detailliert analysieren: Halbleiter, Mineralien, archäologische Fundstücke, aber auch Zellen und Proteine. Also eine äußerst vielfältige Palette."
Forschungsquelle vor der eigenen Haustür
Von diesen sogenannten Synchrotrons gibt es etwa 50 auf der Welt. SESAME zählt zwar nicht zu den Spitzenanlagen, aber zum oberen Mittelfeld und ist damit durchaus konkurrenzfähig.
Fachleute aus dem Nahen Osten, die bislang zu den Synchrotrons in Europa, Japan und den USA reisen mussten, haben nun eine Quelle quasi vor der Haustür.
"Das ist genau die Hoffnung, dass auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zurückkommen in ihr Heimatgebiet",
sagt Rolf Heuer, ehemaliger CERN-Generaldirektor und neuer Chef des Aufsichtsrats von SESAME. Als europäische Gemeinschaftseinrichtung ist das Teilchenforschungszentrum in Genf so etwas wie ein Vorbild für SESAME. Als schwierig gestaltete es sich jedoch, die 70 Millionen Euro für die Anlage zusammenzubekommen. Mehrmals verzögerten politische Probleme das Projekt, zum Beispiel:
"Als es die Sanktionen gegen den Iran gab, konnten die Iraner ihre Beiträge gar nicht erst bezahlen, weil keine Bank die Erlaubnis hatte, Geld aus dem Iran anzunehmen. Das sind ganz pragmatische Schwierigkeiten, die Sie kaum überwinden konnten."
Ein Vorbild für weitere Gemeinschaftsprojekte
Nun endlich, nach 20 Jahren Vorbereitung, geht die Anlage in Betrieb. Die Experten aus der Region freuen sich bereits auf die ersten Experimente.
"Ich wollte, dass der Iran bei SESAME eine wichtige Rolle spielt, wenn es um die Zusammenarbeit mit anderen Wissenschaftlern geht. Mein Ziel: Die Anlage so gut wie möglich zu bauen."
sagt Hossein Khosraobadi, Physiker aus dem Iran.
"Es ist nicht nur das erste Synchrotron hier in der Region. Es ist auch das erste wissenschaftliche Gemeinschaftsprojekt im Nahen Osten. Und hoffentlich ein Vorbild für andere gemeinsame Projekte. "
Ein Wunsch, den auch Mahmoud Abdellatief aus Ägypten teilt.
"Auch mit seinen Feinden muss man diskutieren, sonst kommt man zu keiner Lösung. Und SESAME ist ein guter Ort, um zu diskutieren – mit dem Ziel, die bestmögliche Wissenschaft zu betreiben. Denn von guten Forschungsergebnissen profitieren am Ende alle. Dann kann man vielleicht über andere Probleme hinwegsehen und aufhören, sich gegenseitig zu bekämpfen."
Eine Hoffnung, die jedoch schon einen Dämpfer erhielt. Denn die palästinensische Delegation hat die heutige Eröffnungszeremonie boykottiert, aus Solidarität zu jenen Landsleuten, die in israelischen Gefängnissen einsitzen und per Hungerstreik gegen die Haftbedingungen protestieren. So ganz lassen sich die politischen Konflikte dann wohl doch nicht aus dem wissenschaftlichen Miteinander bei SESAME heraushalten.