Der Physiker, Mathematiker und Astronom Galileo Galilei behauptete im 17. Jahrhundert: Alle Planeten, auch die Erde, kreisen um die Sonne. Deshalb, so folgerte er, könne die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums sein. Mit dieser Behauptung stand er im krassen Gegensatz zur Lehre der katholischen Kirche. Die Inquisition zwang den Universalgelehrten, seine Behauptungen zu widerrufen. Aber:
"Und sie bewegt sich doch."
Soll er im Gerichtssaal trotzig gemurmelt haben, nachdem er zu lebenslanger Kerkerhaft verurteilt worden war. Damals geschah das abseits der Öffentlichkeit, so Anna Margaretha Horatschek von der Universität Kiel. Das Volk wusste nichts über Galilei und seine Foschungen.
"Also zu Zeiten von Galileo Galilei bestand überhaupt nicht der Anspruch, dass im Grunde jedem unter demokratischen Vorraussetzungen Zugang verschafft werden muss, um das Wissen, auch Spezialwissen in den Wissenschaften, um das zu ermöglichen. Diese Ansprüche gab’s da noch gar nicht."
Das sieht heute anders aus, weiß die Professorin für englische Literaturwissenschaften. Menschen sollen und wollen mitreden. Aber sie stellt fest, dass auch in unserer Demokratie nicht alle gleichermaßen am Wissen teilhaben können.
"Dass der Zugang zu Wissen und zu Wissenschaften auch sehr stark eingebunden ist in soziale Hierarchien, in Machtverhältnisse, in ökonomische Verhältnisse. Da spielt Gender eine Rolle, da spielt Klassenzugehörigkeit eine Rolle, da spielt sogar Region eine Rolle."
Es gibt in der Wissenschaft mehr als nur eine Wahrheit
Gleichzeitig, so Anna Horatschek werden Wissen und Wissenschaft immer wichtiger für die gesamte Gesellschaft. Die Politik braucht Experten, um Probleme zu bewältigen, Bürgerinnen und Bürger dürsten nach Informationen über gesunde Ernährung, ökologisches Bauen oder neue medizinische Therapien.
"Und die andere Seite ist aber, dass praktisch all diese Wissensbestände, wie wir das nennen, selten übereinstimmen. Es kommt überall was ganz anderes raus. Alle erzählen uns was anderes. Und wir wollten eigentlich gucken, nach welchen Kriterien wird eigentlich Wissen als das Richtige ausgewählt."
Die Menschen sind verunsichert. Was ist wahr und was ist falsch? Aber so kann man nicht frage, sagt Anna Margaretha Horatschek. Denn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Universitäten haben nicht mehr nur eine Wahrheit.
"Sondern es geht darum, dass man sich immer im Klaren ist, auch wissenschaftliches Wissen ist immer widerrufbar, muss ständig verändert werden, muss immer kritisch gegen sich selber sein, ist immer so eine Annäherung an das, was ist."
Man muss vorher über mögliche Folgen einer Technologie nachdenken
"Zwei Wahrheiten können sich nie widersprechen."
So der Universalgelehrte Galileo Galilei im 17. Jahrhundert. Damals mag das zutreffend gewesen sein. Aber spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, seit der Entwicklung der Atomtechnologie gilt das für die Wissenschaft nicht mehr. Sie muss abwägen und zweifeln, Verantwortung übernehmen, sich fragen, was passiert, wenn, erklärt Sabine Maasen. Die Professorin ist Wissenschaftsforscherin an der TU München.
"Und dann kamen so erste Ideen auf, wie man das vielleicht ändern könnte. Zum Beispiel so etwas zu betreiben wie Technologiefolgenabschätzung. Das war in den 60er-Jahren. Vorher darüber nachdenken, was die möglichen, vielleicht auch unbeabsichtigten Folgen einer Technologie sein könnte. Nicht erst nachher, wenn wir die schrecklichen Auswirkungen feststellen."
Was wir heute bräuchten, so die Soziologin, sei mehr als nur technologieorientierte Forschung. Die entscheidenden Fragen seien: Wie werden soziale Dienste, Gesundheit, Mobilität und Energie in der Zukunft aussehen? Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müssten reflektieren, für wen sie forschen und was damit bewirkt werden kann. Unumgänglich dabei sei die Zusammenarbeit aller Disziplinen.
"Die Wissenschaft funktioniert nur dann gut, wenn wir alle an einem Thema arbeiten und sagen: Aus meiner Perspektive und aus den Gründen und mit diesen Daten hab ich das gefunden. Und jemand anderer kommt und sagt, ich hab das noch mal geprüft. Und aus anderer Perspektive mit anderen Daten sieht man das. Vielleicht müssen wir beide noch mal schauen, wie es weitergeht. Damit verbessert sich Forschung."
Nicht-Wissenschaftler können nur vertrauen
Widerstreit in der Forschung sei wichtig, auch wenn das Menschen verunsichert, behauptet Sabine Maasen. Und auch wenn so viele Menschen wie nie an Wissenschaft interessiert seien: Teile der Wissenschaft blieben doch Spezialwissen.
"Forschung ist und bleibt was, was doch überwiegend gemacht wird, wo ich nicht bin. Da ist eine gewisse Distanz, ist eine kognitive Distanz. Wenn ich keine Wissenschaftlerin bin, wenn ich mich in dem Fach nicht auskenne, kann ich ja nur vertrauen. In diesem Bereich scheint das ganz eminent zu sein, weil Vertrauen das einzige Band ist, das zwischen Wissenschaftlern und Nicht-Wissenschaftlern besteht,"
"Die Neugier steht immer an erster Stelle des Problems, das gelöst werden will."
Soll das Universalgenie Galileo Galilei gesagt haben. Neugier leitet die Wissenschaftler immer noch, so Professor Albert Meier, emeritierter Medienwissenschaftler der Universität Kiel. Aber Neugier alleine führt längst nicht immer zu eindeutigen Ergebnissen.
"Denken sie nur an einen der elementaren Sätze der Philosophiegeschichte. Wenn Sokrates sagt: 'Ich weiß, dass ich nichts weiß', dann reflektiert er ja damit bereits die Grenzen seines Denkens, seines Erkennens. Und davon sind wir seitdem zum Glück nicht wirklich weggekommen."
Wissenschaft schafft nur sehr selten Wissen
Dass es Grenzen wissenschaftlicher Erkenntnis gibt, ist also kein neues Phänomen. Aber heute ist Wissenschaft öffentlich. Und eine Öffentlichkeit, die nicht richtig begreift, was Wissenschaft ist, ist schnell dabei, sie zu verteufeln, wenn ihre Ergebnisse sich widersprechen.
"Denken sie allein an die sich ständig abwechselnden Studien, ob Kaffeegenuss nun gesund oder nicht gesund, in welchen Mengen noch verträglich oder schon nicht mehr verträglich ist. Da erfährt man laufend gegenteilige Positionen. Alles gibt sich als Studie aus - als etwas, was man glauben sollte. Da man es selber aber als Nicht-Fachmensch nicht überprüfen kann, kann man nur verfolgen, die Wissenschaft selbst ist sich offenbar nicht einig über diese Dinge und das schafft Misstrauen. Das ist ganz normal."
Es sei aber ein wichtiger Grundsatz der Wissenschaft, dass alle bekannten Vorraussetzungen immer wieder neu überdacht, gewertet und interpretiert werden müssen.
"An die Wissenschaft soll man nicht glauben, wie man vielleicht an Gott glauben kann. Sondern der Wissenschaft gegenüber soll man sich misstrauisch verhalten und auch der Wissenschaftler soll der eigenen Wissenschaft gegenüber sich misstrauische verhalten, um auf diese Weise tatsächlich wissenschaftlich arbeiten zu können. Also um das überspitzt zu formulieren: Wissenschaft schafft nur sehr, sehr selten Wissen. Viel häufiger - und das ist genauso gut - Unwissen oder besser Einsicht in das, was wir nicht wissen, noch nicht wissen oder auch bald nicht wissen werden."
"Man kann einen Menschen nichts lehren, man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu entdecken."
Ein Ausspruch, der Galileo Galilei zugeschrieben wird. Und der bis heute seine Richtigkeit hat, glaubt der Philosoph Konrad Ott, Professor an der Universität Kiel. Man müsse heute vor allem das Nicht-Wissen der Wissenschaftler thematisieren, sagt er. Beispiel die Diskussion über Endlagerstätten für Atommüll.
"Letztlich können Wissenschaftler zwar was über Vorzüge und Risiken sagen, aber sie können letztlich der Politik oder der Gesellschaft nicht die Entscheidung abnehmen. Sie können nur Entscheidungsvorbereitung und zur Rationalisierung von Entscheidungsprozessen beitragen. Aber wie die Entscheidung letztendlich aussieht, kann man aus naturwissenschaftlichem Wissen nicht deduktiv bündig ableiten."
Wissenschaft fordert Mündigkeit auf allen Seiten
Hochradioaktives, also ein sehr negatives Gut möglichst sicher zu lagern, sei ein ziemlich chancenloses Unterfangen, sagt der Philosoph. Was da Sicherheit bedeute, wisse niemand.
"Wir reden über bestmögliche Sicherheit. Aber minimale Sicherheitsdifferenziale über extrem lange Zeiträume zu berechnen, das kann die Wissenschaft nicht."
Alle Disziplinen, Geologen, Physiker, Chemiker, Ingenieure, Soziologen und Psychologen stoßen hier an ihre Grenzen. Aber viele Menschen erwarten eine Lösung von der Wissenschaft.
"Die Menschen sind teilweise extrem wissenschaftsgläubig, wenn sie sagen, aber die Wissenschaft soll doch sagen, was ist der sicherste Endlagerpunkt. Und manchmal sind sie extrem wissenschaftskritisch und dann sagen sie, ach Gott, die Gutachter sind doch alle gekauft, die Forschung hängt doch ganz am Tropf von den Ministerien und sie übersehen im Grunde, was Wissenschaft kann. Aber auch, was Wissenschaft nicht kann. Wissenschaft denkt sehr stark hypothetisch und denkt in Modellen. Wenn x dann y, wenn a, dann b."
Letztendlich, sagt Konrad Ott, fordert Wissenschaft nicht nur Selbstreflexion und Verantwortungsbewusstsein in den eigenen Reihen sondern auch auf Seiten der Bürger. Mündige Bürger, die abwägen und kritisch nachfragen – auch bei Politikerinnen und Politikern. Wissenschaft kann empfehlen, aufzeigen, Vorschläge machen. Aber letztendlich sind es politische Entscheidungen, welche wissenschaftlichen Ergebnisse man umsetzt.
"Ich will die Politik nicht aus der Verantwortung nehmen. Es war der falsche Wissenschaftsglaube der 60er- und 70er-Jahre, dass man gesagt hat, die Wissenschaft sagt, was die beste Lösung ist und die Politik übernimmt das und entscheidet so. Nein. Die Politik sieht einen Raum von Entscheidungsmöglichkeiten, der nur auf demokratisch legitimem Wege, nicht durch wissenschaftliche Expertenwissen entschieden werden kann."